Leben

Vorlesung in der Freizeit? Ruhig mal Wissen in den Kopf stellen!

Christian Weiß
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Ein Geständnis vorneweg: Ich habe Politik, Religion und Kulturwissenschaften studiert, arbeite im Nachrichtenjournalismus und bin auch privat sehr an politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen interessiert. Trotzdem habe ich es nie geschafft, während meiner nicht gerade kurzen Studentenzeit einen akademischen Vortrag außerhalb der Universität zu besuchen, unabhängig vom Thema. Ich finde das schade.

Denn es ist nicht so, als hätte ich meine Freizeit sinnvoller verbracht. Mit Freunden habe ich mir in Kneipen zwei, drei oder fünf Bier in den Kopf gestellt, die Controller der Spielekonsole meines Mitbewohners heißgedaddelt oder freie Abende ohne nennenswerte Beschäftigung herumgebracht. Vorträge habe ich, wie erwähnt, nicht besucht. Nichtmal zur Abwechslung. An irgendetwas, sprich: dem inneren Schweinehund, ist es am Ende immer gescheitert.

Mal ordentlich den Altersdurchschnitt senken…

Ähnlich wie mir scheint es vielen meiner Altersgenossen zu gehen. Eine Kurzumfrage unter Freunden ergibt, dass sie wissenschaftliche Veranstaltungen nur aus dem Hörsaal kennen. Und auch an diesem Mittwochabend im Kardinal Wendel Haus der Katholischen Akademie Bayern, nur anderthalb Kilometer vom Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität entfernt, sehe ich neben mir und meiner Begleitung nur eine Handvoll Menschen, die nicht längst jenseits der 40 sind.

Dabei verspricht der Abend spannend und kontrovers zu werden. Es geht um ein Thema, das jeden einzelnen Münchner spätestens seit dem Terroralarm in der Silvesternacht direkt angeht: den sogenannten Islamischen Staat. Auch der erste Redner des Abends ist jemand, der die Gemüter erregt. Herfried Münkler ist einer der bekanntesten deutschen Politikwissenschaftler, dessen Bücher regelmäßig auf Bestsellerlisten stehen. Im letzten Jahr machte der Professor dann noch unfreiwillig Schlagzeilen, weil einige seiner Studenten Münklers Vorlesungen an der Berliner Humboldt-Universität auf dem anonymen Blog “Münkler-Watch” – sagen wir mal – kritisch rezensiert haben.

Was Terror und Busunfälle gemeinsam haben

Sicher, man kriegt einen Professor aus der Uni, aber die Uni nicht aus ihm. Nichtsdestotrotz liefert Münkler einen knapp dreiviertelstündigen Vortrag rund um den IS ab, der frei gehalten, mit markigen Sprüchen garniert und mit spannenden Infos gespickt ist. Die Zuhörer erfahren beispielsweise, dass hiesige Gefängnisse als “Rekrutierungsreservoir” der Terrormiliz dienen, dass der IS bis spätestens 2017 in seiner staatlichen Form besiegt sein wird, sich aber danach in ein loses Netzwerk aus “Todesvirtuosen” zurückverwandeln dürfte und deshalb der Kampf gegen islamistischen Terrorismus wohl niemals gewonnen sein wird.

Gegen Ende löst Münkler bei den gut vierhundert Gästen noch ein anhaltendes Unbehagen aus, als er erklärt, selbst Dorffeste seien nicht vor Anschlägen sicher, weshalb wir lernen sollten, im Angesicht des Terrors gelassener zu sein. Schließlich spielten sich die Opferzahlen etwa der Anschläge von Brüssel, bei denen 31 Menschen getötet wurden, in der Größenordnung eines schweren Busunfalls ab.

Ein Kopftuch sorgt für Unruhe im Publikum – come on!

Dass nicht jeder ruhig bleiben kann angesichts der Tatsache, dass der IS immer wieder junge Menschen aus dem Herzen Europas für sich begeistert, verdeutlicht im Anschluss die Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi. Sie betont, dass es neben purer Abenteuerlust die Einfachheit und Klarheit der Glaubensdoktrinen sei, die von der komplexen Welt überforderte und desorientierte junge Männer und Frauen in die Arme der selbsternannten Gotteskrieger treibe.

Die schiere Präsenz einer ins Kopftuch gekleideten muslimischen Theologin in den Gemäuern des katholischen Zentrums sorgt für milde Nervosität im Publikum. Ein älterer Herr in der Reihe vor mir winkt ein paar mal ab. Mehr passiert aber nicht. Es bleibt ruhig. Noch eine Fragerunde, dann ist der Abend vorbei.

Mit Münkler’scher Gelassenheit spaziere ich in die Münchner Nacht und bin froh, den inneren Schweinehund wenigstens dieses eine Mal besiegt zu haben. Fazit: Manchmal schadet es nicht, sich statt Bier ein bisschen Wissen in den Kopf zu stellen. Und sei es nur zur Abwechslung.


Fotocredit: Christian Weiß

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