Fotobook, Kolumnen

Interview: “Ich kann mich unsichtbar machen”

 

Der irische Fotograf Richard Gilligan hat über Jahre hinweg inoffizielle Skate-Areas in den USA und Europa abgelichtet. Einen Abend lang waren seine Fotos im Carhartt-Store an der Münchner Freiheit zu sehen. Im Interview erzählt er, wie er die oft illegalen Spots gefunden hat, warum es ihm egal ist, ob Skater seine Fotos mögen und warum er selbst in den Flitterwochen nicht von Skateboard und Kamera lassen kann.

Ich bin ein bisschen irritiert: Du bist Skate-Fotograf, in deiner DIY-Serie geht es um Skate-Spots und wir sitzen hier in einem Skater-Laden. Eines aber zeigst du auf deinen Fotos fast nie: Skater.

 

Richard Gilligan: Stimmt, die Bilder sind das Gegenteil von Action, was? Aber das ist genau das, was ich machen wollte: mit den Erwartungen der Menschen brechen, eben nicht diese typischen, stereotypen und auf Extrem getrimmten Bilder von Skateboardern zeigen. Einerseits, weil ich diese Art der Fotografie ja bei meiner Arbeit für diverse Skate-Magazine ausleben kann. Andererseits, weil sich durch mein Studium der Dokumentar-Fotografie mein Blick doch sehr verändert hat. Seitdem habe ich eine große Leidenschaft für Landschafts-Fotografie und der Fokus auf bloße Action reizt mich einfach nicht mehr.

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Das merkt man. Jetzt wirken die Bilder eher wie Stillleben, die eine eigene Geschichte erzählen.

 

Richard Gilligan: Genau! Mein Ansatz war hier wesentlich reduzierter, die Bilder sind viel ruhiger und sehr authentisch. Reguläre Skate-Fotos sind ja auch oft etwas künstlich, da wird viel mit Blitzen gearbeitet und mit Fisheye-Objektiven, die sind immer ins Extreme gepusht. Das wollte ich hier einfach nicht. Stattdessen habe ich versucht, meine Leidenschaft für das Skaten und für die Landschafts-Fotografie zu verbinden. Ich finde, dass die Bilder dadurch sehr an Würde gewinnen. Es war mir auch egal, ob sie am Ende den Skatern gefallen. Sie sind für alle gemacht und diese Orte erzählen völlig für sich genommen schon so viel.

In der Ankündigung für dein Buch und diese Ausstellung heißt es: “Gilligans Bilder zeigen die globalen Parallelwelten von selbst gebauten Skateparks (…) DIY ist eine Bewegung der Skateboard-Szene, die außerhalb bürgerlicher und gesellschaftlicher Normen existiert.” Ist das für dich der interessanteste Aspekt des Projekts?

 

Richard Gilligan: Eigentlich nicht. Natürlich vereint diese Orte eine besondere Atmosphäre, eine gewisse Spannung. Sie wurden ja von Leuten gebaut, die sich nicht sagen lassen wollen, wo sie zu skaten haben. Da geht es auch um Freiheit und Rebellion. Aber für mich war das Projekt vor allem persönlich wichtig. Ich bin in erster Linie Skater und in zweiter Fotograf. Früher habe ich vor allem für Magazine fotografiert, seit dem Studium mache ich hauptsächlich Werbung und kommerzielle Fotografie. Das ist auch spannend, aber natürlich sehr am Kundenwunsch orientiert. Ich war so darauf gepolt, zu tun, was man mir sagt, dass ich dringend etwas ganz anderes, etwas eigenes machen wollte. Das DIY-Projekt hat mir Freiheit und Frieden geschenkt, ich konnte mich ein bisschen austoben und skaten, reisen und fotografieren. Was will man mehr? Es war großartig, dieses Projekt zu machen.

 

Abgesehen von der Idee: Wie hast du diese oft sehr verborgenen und meist illegal errichteten Orte überhaupt gefunden? Die sind ja nicht gerade ausgeschildert…

 

Richard Gilligan: Absolut nicht. Im Netz, auf Karten oder irgendwie offiziell existieren diese Plätze gar nicht. Und wo immer ich hingekommen bin, wusste ich auch erst mal nicht, wo sie sind. Ich habe sie aus einem einzigen Grund gefunden: weil ich selbst Skater bin. Wo ich hinkomme, stelle ich mich aufs Brett und skate mit den Locals. Das schafft Vertrauen, man hat eine Verbindung, teilt eine Leidenschaft, kommt ins Gespräch. So erfährt man von den Plätzen. Irgendwer kennt immer irgendwen der weiß, wo sie sind. Wenn man dann ein bisschen hartnäckig bleibt, dann klappt das. Leicht war es trotzdem nicht, manchmal bin ich ziemlich lange umhergeirrt.

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Manche Orte sehen auch echt wild aus. Was war die schrägste Geschichte, die du bei der Suche erlebt hast?

 

Richard Gilligan: Während meiner Flitterwochen habe ich mit meiner Frau einen Abstecher nach New Orleans gemacht. Ich wollte natürlich nicht ständig mit der Kamera und dem Skateboard losziehen – meine Frau ist da zwar echt verständnisvoll, aber hey, wir waren in den Flitterwochen. Allerdings hatte mir jemand von diesem  abgelegenen Spot erzählt, also habe ich mich trotzdem auf die Suche gemacht. Das Problem war, dass der Skate-Spot in einer sehr harten Gegend lag, ein richtiges Ghetto. Niemand wollte mitkommen und alle haben mich gewarnt, dort hinzugehen. Es war dann auch wirklich krass: Überall Obdachlose, Crackheads, Prostituierte – und ich bin ewig unter so einer Brücke umhergeirrt. Als ich den Platz schließlich gefunden hatte, dauerte es keine fünf Minuten und einige wirklich furchteinflößend aussehenden Typen tauchten auf. Ich hatte echt Angst. Das eigentlich Schräge war aber, dass die sehr neugierig waren und im Grunde nur wissen wollten, was ich hier mache, warum ich hergekommen bin und so weiter. Als ich erzählte, dass ich aus Irland komme – von dem Land hatten sie noch nie gehört – und für ein Projekt hier fotografiere, waren sie total verwirrt. Die konnten das einfach überhaupt nicht verstehen.

Du sagst, dass du all diese Orte nicht gefunden hättest, wenn du nicht selbst Skater wärst. Hat dir das sonst auch geholfen?

Richard Gilligan: Auf jeden Fall. Ich skate seit meinem zwölften Lebensjahr, alle meine Ursprünge liegen im Skateboarding. Sehr lange Zeit hat mich kaum etwas anderes interessiert. Skateboarding hat mich viel gelehrt: Demut, Durchhaltevermögen, Disziplin. Es ist ja wirklich leicht, so zu tun, als ob man Skater wäre – man zieht die richtigen Klamotten an und klemmt sich ein Brett unter den Arm. Aber die Tricks zu lernen und wirklich zu skaten, dafür braucht man extrem viel Leidenschaft. Ich fühle mich sehr privilegiert, mich in dieser Szene bewegen zu können und etwas zu haben, wofür ich wirklich brenne. Man kann seine Gefühle ausdrücken, lernt viele Menschen kennen, bekommt diesen besonderen Blick. Und wenn du mitmachen kannst, gewöhnen sich die Leute an dich und deine Kamera – das ist dann der Punkt, an dem ich mich einfach unsichtbar machen kann. Für die Fotos ist das wunderbar.

Planst du denn, das DIY-Projekt fortzuführen?

 

Richard Gilligan: Nein. Natürlich hätte ich ewig weitermachen können und wäre sehr gerne zum Beispiel noch nach Russland, Asien und Australien gereist. Aber ganz ehrlich, dann wäre ich nie fertig geworden. Das gute an Buchprojekten ist ja, dass man eine Deadline hat und Leute, die einen daran erinnern. Es war klar, dass die Arbeit zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein muss. Ich bin zufrieden damit, so wie es ist – und habe bereits das nächste Projekt im Kopf.

Nämlich?

 

Richard Gilligan: Das ist nur ganz vage in meinem Gedanken, ich kann das noch gar nicht formulieren.

Viele Bilder sind aus den USA, aber du hast zum Beispiel auch in Frankreich, Polen, Schweden, Finnland, Österreich und Deutschland fotografiert. Ist auch was aus München dabei?

 

Richard Gilligan: Klar! Das Foto hängt gleich da drüben. Ein Freund aus Irland, der mittlerweile hier wohnt, hat mir diesen Ort gezeigt. Eine Art Scheune, die in der Nähe des Flughafens steht. Wenn man aus dem Fenster schaut, hat man diesen tollen Panorama-Blick. Ein großartiger Ort.

Machst du eigentlich nur Bilder oder skatest du an diesen Orten auch?

 

Richard Gilligan: Ich bin an jedem Ort, den ich fotografiert habe, auch geskatet. Meist so eine halbe Stunde oder so, um den Raum zu erfassen. Dann habe ich meine Fotos gemacht, und gleich anschließend ging es wieder aufs Brett.

Info: Das Buch zur Ausstellung wurde vom Verlag 19/80 Editions in Zusammenarbeit mit Carhartt Work in Progress herausgebracht und kostet 44,99 Euro.

Fotos: Alexander Zimmermann

 

 

 

 

 

 

 

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