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‚Killing‘ Joker: Wie der neue Film mit Joaquin Phoenix den Zuschauer spaltet

Fiona Rachel Fischer

„Ich dachte immer, mein Leben wär’ ne Tragödie, aber jetzt weiß ich, das ist eine Komödie“, resümiert Arthur Fleck im Verlauf des Filmes, der etappenweise seine Transformation zum berühmten Batman-Antagonisten Joker zeigt. Der Flimmerstreifen ist tatsächlich über und über voll mit schrägen Gegensätzen und Kontrasten, der Größte davon vielleicht der zwischen der Wahrnehmung des Protagonisten und der seines Publikums.

Der Gotham-Bürger ist ein einfacher Mann, der als buchbarer Clown seinen Lebensunterhalt verdient – so scheint es zu Beginn. Doch bereits als er das erste Mal sein beinahe markerschütterndes Lachen erschallen lässt, wird der Irrtum klar. Stück für Stück entfaltet sich die Geschichte eines Menschen, der sein Leben lang Opfer seines grausamen sozialen Milieus war – es ist die Geschichte seiner Metamorphose.

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Die Szenen, die ebenso ästhetisch wie schräg-farbenfroh Arthur Flecks zunehmenden Wahnsinn in Bildern darstellen, hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Die erzeugte Stimmung verlässt auch mit dem schrill in Grün auf die Leinwand geschriebenen „The end“ und dem einsetzenden Abspann nicht die Zuschauer. Die Gesichter der Besucher, die aus dem Saal trudeln, sind gedankenverloren, verstört, von Grund auf befriedigt, die Faszination ist ihnen anzusehen.

Es ist ein Film, der alles infrage stellt und relativ erscheinen lässt: Wahnsinn, Wahrheit und Emotionen. Das neurotische Lachen von Joaquin Phoenix begleitet durch die ganze Geschichte. Doch was sich am Anfang für die noch naiven Ohren der Zuschauer höchstens ein wenig irre anhörte, bekommt immer mehr den Klang eines hysterischen, krampfhaft unterdrückten Weinens. Das hat den gewünschten Effekt: Mitlachen? Für ihn weinen? Die Zerrissenheit in den Zuschauer*innen wächst mit dem Irrsinn im Film.

Solche Gegensätzlichkeiten ziehen sich durch den ganzen Streifen hindurch. Während der zu Joker werdende Arthur sein Leben von einer Tragödie in eine Komödie umdeutet, beobachtet man im Publikum das genaue Gegenteil: die Lebensgeschichte eines gebrannten Kindes, die durch verschiedene Ereignisse und Erkenntnisse immer mehr auch retrospektiv betrachtet in Chaos zerfällt und ganz Gotham in Brandt setzt. Nichts, was Arthur Fleck von sich zu wissen glaubte oder für die unumstößliche Realität hielt, bleibt ihm erhalten.

Realitätsverlust vom Feinsten

Ebenso geht es den Zuschauer*innen. Man kann der Entwicklung des Wahnsinns beinahe zusehen und muss trotzdem immer wieder erkennen, wie oft man selbst einer Illusion erlegen ist. Gerade eben noch beinahe körperlich in den Film gesogen, wird man durch eine Erkenntnis wieder zurück in den Kinositz geschleudert und kann nur noch händeringend beobachten, wie Arthur Fleck einen weiteren Schritt auf der Wendeltreppe seines Niedergangs – oder Aufstiegs – als Joker geht. Diese verschiedenen Perspektiven, in die das Publikum versetzt wird, gelingen jedoch erst durch Joaquin Phoenix´ Gänsehaut verursachende Performance als werdender Joker.

Der Film erlaubt dem Zuschauer einige seiner gewaltsamsten Schrecken vorauszuahnen, sie zu fürchten und heraufzubeschwören – und trotz dieser Erwartung treten sie unmittelbarer auf, als man es wahrhaben will. Plötzlicher, ja, aber vor allem detailverliebter. Mit größtem Wiederstreben im Angesicht des ständigen, bitter gewordenen Irrsinns verguckt man sich dennoch geradezu in die ästhetisch ausgefeilten Gewaltdarstellungen.

Ein weiterer, beinahe schmerzlicher Gegensatz findet sich in der gelungen und ironischen Musikuntermalung. Vor allem die direkte Gegenüberstellung von belebt-fröhlichem Feel-Food-Swing ,wie dem von Frank Sinatra und Fred Astaire, und düsterer Orchestermusik mit Paukenschlag, lassen die zuerst befreiend wirkenden Sequenzen des Wahnsinns in ihr Gegenteil umschlagen. Die Lyrics sind ironisch passend, denn sie greifen in vielerlei Hinsicht das Geschehen auf und scheinen es gönnerhaft zu kommentieren. Damit kitzeln sie die Gänsehaut nur noch viel mehr, die bereits durch einen Mann erschaffen wurde, dem auch im unmittelbaren Moment seiner willkürlichen Gewalt noch Mitleid und Verständnis des Publikums gehört, der in seinen wahnsinnigsten und gefährlichsten Momenten am glücklichsten zu sein scheint.

Nur in einer, der finalen, Szene ist seine Entschuldigung nicht sein Leid, sondern er spricht ein Motiv aus, gaukelt eine Absicht vor, derer er eigentlich nicht mehr fähig erscheint. Nur in diesem Moment wird das weinerliche, mittlerweile erwachsene, gebrannte Kind mit den großen Augen, der weinerlichen Stimme und der Zwangsneurose zu Dem Bösen schlechthin, das der Gewalt und seinen Opfern freudig ins Gesicht strahlt.

Zu empfehlen, aber mit Vorsicht zu genießen

Auch wenn die Geschichte für sich steht und weniger von Joker erzählt, als von dem Mann, der zu ihm werden sollte, werden auch DC-Fans und eingeschworene Batman-Freunde ihre Freude an diesem Streifen haben und durch Arthur Flecks Augen Bekanntschaft mit Bruce Wayne und seiner Familie machen.

Es ist kein schöner Film, doch er ist extrem ästhetisch und definitiv gelungen. Das Fazit: Zu empfehlen, aber mit Vorsicht zu genießen. Und im Zweifelsfall muss man auch als Zuschauer*in das wahrnehmen, was der Sänger Jimmy Durante dem gebrochenen Arthur so spöttisch im Hintergrund singend empfiehlt: „Smile though your heart is aching.“

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