Kultur, Nach(t)kritik

Klatschen statt Klicken

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Der Mann aus dem Internet ist unscheinbar. Andy McKee hat abgenommen und den schwarzen Rauschebart abrasiert. Mit ruhigen Schritten überquert er die Bühne, bleibt in der Mitte stehen und raunt ein “Hello” ins Publikum. Es jubelt. Es weiß, was kommt. Kennt jeden Song, jede Bewegung, jedes Instrument. Die Menschen hier – biertrinkende Gitarristen, kichernde Mädchen, herausgeputzte Rentner – haben das alles schon tausendmal gesehen. Auf ihren Computerbildschirmen.

Dort begann die Karriere des Akustik-Gitarristen Andy McKee vor gut fünf Jahren. Damals hatte sein kleines Label die Idee, Videos ins Internet zu stellen, um ihn etwas bekannter zu machen. Der Plan ging mehr als auf: innerhalb kürzester Zeit avancierte der Gitarrist aus Kansas zum Star der Videoplattform. Seine Songs wurden millionenfach angeklickt, schafften es auf die Startseite und brachten seiner Musik internationale Aufmerksamkeit.

In der Alten Kongresshalle scheint Youtube unterdessen weit weg. McKee greift nach seiner Gitarre, stimmt die Saiten nach. Stille legt sich über die Besucher, die Live-Atmosphäre wird greifbar. Hier und da wird tuschelnd spekuliert, was er wohl spielen wird.

McKee beginnt mit einer Instrumental-Adaption von “Everybody wants to rule the world” von Tears for Fears und Totos “Africa“ – die Musik der 80er hat es ihm angetan. Rund 770.000 “Daumen hoch hat das Lied auf Youtube bekommen, jetzt belohnt das Publikum den Künstler mit Beifallsstürmen. Klatschen statt Klicken. “You rock!”, brüllt jemand durch den Saal und McKee lächelt. “Ich versuche meine Bestes”, sagt er, schließt die Augen und taucht wieder ab in seine Musik. Beim Spielen hebt er kaum je den Blick, wirkt weit weg. Doch zwischen den Songs taut der 32-Jährige auf, plaudert über die Entstehungsgeschichten seiner Songs, seine Karriere, musikalische Einflüsse und seine Instrumente. Seine Western-Akustikgitarre hat krumme Bünde, damit die Intonation genauer ist. Neben einer Bariton-Gitarre mit längerer Mensur und damit höherem Tonumfang spielt er auch noch eine Gitarrenharfe. Er nennt sie “Bazooka”. Auf ihr sind neben den üblichen Gitarrensaiten auf dem verschwungenen Korpus zusätzlich Basssaiten aufgespannt. Die Anlage brummt wohlig, wenn er sie anschlägt.

McKee spielt seine Gitarre, als wäre sie eine ganze Band. Er klopft die Percussion auf dem Korpus, zupft eine Basslinie, spielt mit der anderen Hand eine Melodie und schafft mit stehenden Obertönen einen Flächenklang, der den ganzen Sound zusammenhält. Er stimmt seine Gitarre nach fast jedem Song um und nutzt viele Open-Tunings (dabei werden die Saiten so gestimmt, dass sie beim Anschlagen ohne Greifen einen Akkord ergeben). Das Ergebnis ist ein offener, schwebender Klang.

Es geht viel um Vorbilder bei einem Konzert von Andy McKee. Er ist bescheiden und erzählt gerne, wo er sich die Zutaten seines Stils abgeschaut hat. Die Einflüsse von Michael Hedges, Don Ross, Preston Reed und Billy McLaughlin klingen aus seiner Musik. McKee wird nicht müde, die Gitarrenkünstler immer wieder zu erwähnen; spricht liebevoll ehrfürchtig von ihnen. Trotzdem hat er sich von seinen musikalischen Vorbildern emanzipiert, einen eignen Stil entwickelt, eigene Songs geschrieben und es damit vom Bildschirm auf die Bühne geschafft. Zu Recht – McKee ist die Anti-These zu einem überladenen Business, er kommt ohne Show, Allüren und Getöse aus.

Zwischen die treibenden Stücke schleichen sich immer wieder zarte Melodien wie “For my father” oder “Heather’s song”. Das erste Stück schrieb McKee für seinen Vater, der ihm seine erste Gitarre schenkte –  im Alter von 13 Jahren. Den zweiten Song hat er seiner Schwester gewidmet. Es gibt bei McKee viele Widmungen, nur wenige Songs tragen eine bestimmte Geschichte in sich. Zum Beispiel handelt “Joyland” vom Ãlterwerden und benutzt dafür das Bild eines verlassenen Vergnügungsparks. Die meisten Stücke kommen jedoch ohne eine Hintergrundgeschichte aus. Aber das ist nicht schlimm. Die Idee hinter Andy McKees Musik ist die Schönheit. Und die Liebe zu einem Instrument, das klingen kann wie ein ganzes Ensemble.

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Foto: Christian Pfaffinger

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