Kultur, Nach(t)kritik

Man sollte ihr die Beine mit einer Axt abhacken!

Markus Michalek

Wer Gewalten von Clemens Meyer noch nicht gelesen hat, sollte das besser tun. Einen Eindruck konnte man gestern beim dritten Geburtstag der Münchner Lesungsreihe Kellergeister in der Unilounge hören – Literatur, wie sie lebt, leibt und ordentlich reinknallt.

So auch der Autor, der es sich nicht nehmen lässt, einerseits auf seine sächsische Herkunft zu verweisen und andererseits im Moderatoren-Gespräch mit dem Münchner Schriftsteller Daniel Grohn eine ordentliche Keule in Richtung Literaturkritik auspackt. Mein Buch mit dem Satz, ein Mann, ein Colt, ein Dosenbier (SZ-Rezension) zu charakterisieren, das heißt entweder, es wurde nicht gelesen, oder schlimmer noch, nicht begriffen … Und auch gegen störende Geräusche hat er eine passende Erwiderung parat. Einer den Lesungsraum durchschreitenden Frau solle man doch bitteschön die Beine mit einer Axt abhacken, also dieses Bamm, Bamm, Bamm, das ist doch unverschämt!

Also was genau verbirgt sich hinter dem Phänomen Clemens Meyer und seinem vielumstrittenen Tagebuch Gewalten?

Elf Geschichten, die ein Protagonist namens Clemens Meyer erlebt. Sie tragen Titel wie Draussen vor der Tür, im Bernstein, oder in den Strömen und immer ist es ein Alter Ego des Autors, das abschweift, den Alltag beschreibt, politisch-aktuelle Diskurse bespricht, da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Leicht zugänglich ist dieses Werk nicht unbedingt, aber ein Kunstwerk und ein literarisch hochwertiges, das ist es allemal. Schon allein deswegen, weil Meyer als Autor in diesem Fall nicht mehr an irgendwelche Marktanforderungen gebunden war. Denn entstanden sind die Gewalten als Stipendienbegleitende Veröffentlichung. Da schert man sich eben nicht um den ein oder anderen Trend, der gerade in den Marketingabteilungen der Verlage en Vogue sein mag. Fast nebenbei in der Lektüre enthalten: gesellschaftsfähige Tips für den Alltag, z.B. wie man einen verplombten Stromzähler wieder lauffähig bekommt …

Clemens Meyer war allerdings nicht der einzige Lesende an diesem Abend. Im traditionellen Vorprogramm der Kellergeister las David Vondratschek, Absolvent des LMU-manuskriptum-Kurses aus seinem noch entstehenden Text (ebenfalls Tagebuch) einige wichtige Gedanken, ein Tagebuch zwischen München und Prag. Selbst wenn hier die Meyersche Größe noch längst nicht erreicht ist und ein wenig zuviel Bildungsbürgertum mitschwingen mag – die sprachlich ausgefeilte Ironie des Autors macht Lust auf mehr und lässt gerechtfertigt die Hoffnung offen, auch diesen Text eines Tages in Buchform zu sehen. Es wäre dem Autor zu wünschen – und dem Markt, den was wir definitiv brauchen, sind mehr gute Bücher.

Nachtrag: Was Clemens Meyer neben seiner schriftstellerischen Größe als Mensch auszeichnet: Im Publikum nachzufragen, wer welche Episode aus Gewalten bereits von ihm gelesen gehört hat – um Redundanzen zu vermeiden. Das passiert sicherlich nicht alle Tage auf einer Lesung …

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons