Aktuell, Stadt

Nach Kaufhof-Aus – Wie mutig ist München?

Yannik Gschnell

Wie soll das München der Zukunft aussehen? Wohin wollen wir uns in und mit unserer Stadt entwickeln? Die Antworten, die wir jetzt auf solche Fragen geben, werden wichtige sein, denn die aktuelle Dynamik eröffnet den mutigen und schnellen Köpfen unserer Stadt gerade Räume und Möglichkeiten, von denen wir vor wenigen Monaten noch nicht einmal geträumt hätten.

Statt einem Raum für Alles, ein Raum für Alle!

Neun Stockwerke, knapp 12.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, ein Betonkoloss aus anderen Zeiten – der ­­­­Galeria Karstadt Kaufhof am Stachus thront im Herzen Münchens als Symbol des Konsums, als Einladung in eine der meistbesuchten Einkaufsstraßen Europas. Doch nun scheint Schluss zu sein. Die Verhandlungen zwischen Kaufhof und dem Immobilieneigentümer sind gescheitert und der Mietvertrag wird zum Ende diesen Monats gekündigt.

Dieser Paukenschlag hat sich angebahnt. Wie viele andere Konzerne, stolperte auch Kaufhof angeschlagen in die Corona-Krise, die im Kampf zwischen stationärem und Online-Handel als Katalysator wirkt. Neben der Stachus Filiale droht nun auch den Kaufhof-Standorten am Nordbad und im OEZ das gleiche Schicksal.

Für die Mitarbeiter*innen ist das ein herber Schlag und die Frustration, sowie das Unverständnis gegenüber Kaufhof ist groß. Doch ein Festhalten an überkommenen Konzepten, an einem durch-kommerzialisierten Stadtverständnis wäre falsch. München sucht öffentliche Orte. Jetzt muss diese vielleicht einmalige Gelegenheit genutzt werden, um die Stadt zurückzuerobern. Doch wie kann das funktionieren?

Statt Groß gegen Klein, Schnell gegen Langsam!

Zunächst braucht es dazu Mut und Experimentierfreude. Ein gutes Beispiel dafür zeigt sich in den zahlreichen Münchner Zwischennutzungen der letzten Jahre. Hier wurden Flächen für Freischaffende, Selbständige, Gründer*innen und Kreative geschaffen. Diese Treffpunkte des kreativen Lebens in München sind ein verbindender Moment, an dem Menschen aus unterschiedlichen Branchen zusammenkommen, wie zum Beispiel an den Standorten des MUCBOOK Clubhaus.

Wenn so viel kreative Energie an einem Ort konzentriert wird, kann Großartiges entstehen. Gerade durch die Diversität der Projekte, sieht man hier regelrechte Sammelbecken für Perspektiven, Ideen und Kontakte, die die Kreativwirtschaft nachhaltig voranbringen.

Diesen Ansatz hat kürzlich auch Alan Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TUM, in einem Interview mit der SZ betont. Es ginge nicht um die Großen gegen die Kleinen im Wettstreit um die Zukunft unseres Stadtbilds. Vielmehr müsse jetzt der Fokus auf den Schnellen liegen, die zeitnah Lösungen und Ideen liefern können. „Man muss Koalitionen bilden. Es müssten mehr Public-Private-Partnerships entstehen. “Der Mensch ist ein soziales Wesen, will sehen und gesehen werden. Aber er ist auch ein räumliches Wesen. Das Soziale findet immer im räumlichen Kontext statt.

12.000 Quadratmeter Raum – und was jetzt?

Das bald leerstehende Kaufhof-Skelett wäre doch ein solcher räumlicher Kontext und bietet Möglichkeiten für Zwischennutzungen in einer unvorstellbaren Größenordnung. Doch nun braucht es erst einmal Orientierung. Daher lohnt sich ein Blick in den neuen Baukulturbericht des Bundes. Die Experten für öffentlichen Raum plädieren hier für einen realexperimentellen Ansatz.

Der Fokus der städtebaulichen Entwicklung sollte, auch aus nachhaltigen Gründen, auf den bestehenden Gebäuden liegen, um nicht viel Geld und Zeit durch Neubauten zu verlieren. Im nächsten Schritt sollen nun durchlässige öffentliche Räume mit belebten Erdgeschossen geschaffen werden. Als Paradebeispiel kann man hier das Münchner Werksviertel präsentieren, auf dem Boden tummelt sich das Leben, während weiter oben Arbeit, Handel, Kultur und Wohnen nebeneinander koexistieren. Außerdem betont der Baukulturbericht die zentrale Stellung „engagierte Einzelpersonen als Impulsgeber“ für das kreative Wiederbeleben einer tot-kommerzialisierten Stadt.

Kreatives Stadtzentrum

München ist eine Stadt, die auf den ersten Blick fast alles hat, das lädt zum Ausruhen ein. Teil des geforderten Neu-Denkens ist es nun, perspektivisch die Frage nach dem “Wohin” zu stellen, denn es gibt einiges zu tun. Vielleicht kann ein solch zentraler Standort am Stachus mit so viel Raum das fehlende Puzzleteil sein, um eine Art kreative Schaltzentrale zu schaffen. Von dort aus können die Probleme der Stadt wahrgenommen und mit den verfügbaren Kapazitäten bewältigt werden.

Neben den Zwischennutzungs-Classics, also Co-Working-Spaces, Ausstellungsflächen und Marktplätzen, für die es in der Regel nicht mehr als Strom, W-Lan und eine Kaffeemaschine braucht, können in den insgesamt neun Stockwerken auch weitaus größere Projekte angegangen werden.

Neues wagen im Stadtbau-Labor

So könnten die beiden gigantischen Untergeschosse der Münchner Clubszene neues Leben einhauchen. Hier ist genug Raum, um neue Hygiene-Konzepte für Konzert- und Clublocations unter Realbedingungen zu testen. Nur so kann man lernen, wie Feiern und Corona im Einklang funktionieren kann.

Der bereits zitierte Professor Thierstein sieht auch einen weiteren Anwendungsbereich: So könnten Zwischennutzungen auch Räumlichkeiten für die Pflege und die medizinische Betreuung bereitstellen und würden gerade mit Blick auf den Herbst und den Winter damit einige Wartezimmer entlasten.

Mut zu mehr Demokratie!

Zu guter Letzt lohnt es sich, noch einmal auf den Baukulturbericht zurückzukommen. Eine zentrale Forderung des Berichts ist die Demokratisierung des Öffentlichen Raums. Unser städtisches Umfeld spielt in der Demokratie eine wichtige Rolle und darf deshalb nicht widerstandlos an kommerzielle Anbieter abgetreten werden. „Die Qualität unseres Zusammenlebens zeigt sich in öffentlichen Räumen.“

Der öffentliche Raum muss nutzbar sein, damit Menschen in der Öffentlichkeit zusammenkommen. Gerade nach der Quarantäne hat sich gezeigt, wie wichtig das gesellschaftliche Leben außerhalb der eigenen vier Wände oder den durch-kommerzialisierten Sphären ist. Wir brauchen Raum für politische Diskussionen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Auch diesen Ansprüchen kann und muss eine Zwischennutzung dieser Größenordnung gerecht werden.

Nun braucht es viel Mut und Engagement aus der Kreativ- und Kulturbranche, sowie einen Bürgermeister, der bereit ist, sich voll und ganz dem Wohlergehen und der Zukunftsausrichtung der Stadt zu widmen.
Hier kann Großes entstehen!


Beitragsbild: © kwan fung

2 Comments
  • Robert
    Posted at 10:53h, 02 August

    Auf dem Foto ist doch der Kaufhof am Marienplatz zu sehen und nicht der vom Stachus…..

  • Olaf
    Posted at 10:48h, 30 Oktober

    Kreativität und Raum sind in der Tat untrennbar miteinander verbunden, und das Potenzial des bald leerstehenden Kaufhof-Gebäudes als neuer Kreativhub für München könnte nicht zeitgemäßer sein. Die Idee, diesen Ort als experimentelle Plattform für unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten zu nutzen, spricht Bände über den Wandel, den Städte erfahren müssen. Diversität und Experimentierfreude könnten hier ein neues Münchner Herzstück schaffen. Zwischennutzungen, wie sie der Autor vorschlägt, könnten nicht nur der Kreativ- und Kulturbranche, sondern auch anderen Sektoren wie der Gesundheitsversorgung, zugutekommen.
    Doch wie kann sichergestellt werden, dass diese Pläne nicht nur ein kurzfristiger Hype bleiben? Yannik, hast du Ideen, wie die Bevölkerung in diesen Prozess integriert werden kann, um die Zukunft dieses Raums langfristig zu sichern?

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