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Neue Surf-Anlage in Hallbergmoos: Surfen für alle oder Ressourcenverschwendung für Reiche?

Moritz Müllender
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Chris Boehm-Tettelbach weiß, wie man Großprojekte Wirklichkeit werden lässt. Gerade ist er dabei, etwas zu schaffen, was bisher in Deutschland einmalig wäre und woran viele andere zu scheitern drohen: Eine Surfwelle bauen, die wie im Ozean läuft. Dabei schlottern ihm selbst immer noch regelmäßig die Knie vor den Dimensionen der Baustelle. Wir haben nachgeforscht, was das Projekt gut macht und woran es Kritik gibt.

Umstritten in Krefeld, verklagt in Stade, verzögert in Werne – nirgendwo laufen die Planungen für Surfparks nach Plan. Wirklich nirgendwo? Doch, in der Nähe des Münchner Flughafens, in der kleinen Gemeinde Hallbergmoos entsteht ein Surfpark, der kurz vor der Eröffnung steht. Völlig unüblich für Großbaustellen in München und auch für Surfparks in Deutschland scheint für „Surftown MUC“ alles nach Plan zu laufen. Parteien, Behörden, Bevölkerung, sogar die Umweltverbände scheinen an Bo(a)rd. Nirgends regt sich Protest. „Alle ziehen an einem Strang“, sagt Chris Boehm-Tettelbach, der Initiator des Projekts. Warum schafft Boehm-Tettelbach, woran alle anderen zu scheitern drohen? Und läuft wirklich alles so glatt, wie es auf den ersten Blick scheint?

Chris Boehm-Tettelbach stapft in weißen Turnschuhen durch den braunen Baustellenmatsch. Er schüttelt die Hände von ein paar Bauarbeiter*innen, tuschelt kurz mit ihrem Chef. Irgendetwas scheint nicht ganz rund zu laufen. Gerade beschichten sie das Becken und die Wellenmaschine mit einem Edelstahl-PVC Laminat. An anderen Surfparks hat sich die Bodenbeschichtung als Schwachstelle herausgestellt. Boehm-Tettelbach, spricht sanft und tief: „Wenn da ein Riss drin ist, korrodiert der Stahl im Beton“, sagt Tettelbach. Er zeigt auf das weiße 10.000 Quadratmeter messende Becken. Der 59-jährige Münchner weiß, wie er Großprojekte umsetzt. Mit seiner Erlebnisagentur Planworx hat er schon die Praterinsel bespielt. Am Wittelsbacher Platz baute er eine Skirampe. Gerade der Umgang mit der Praterinsel stieß auch auf Kritik: Es habe weniger die geplanten Kulturveranstaltungen sondern eher luxuriöse Firmenevents gegeben.

Die Surftown Baustelle Ende 2023. Im Frühjahr bis Sommer 2024 sollen hier die ersten Wellen geritten werden. Foto: O2 Surftown MUC

Der Surfpark ist für Boehm-Tettelbach eine besondere Herausforderung: „Ich habe fast jeden Tag weiche Knie“, sagt er. Sein Blick schweift über das weiße Becken, die Kräne und den Rohbau des Gastronomie- und Aufenthaltsbereichs. „Die Dimensionen sind brutal.“ Ob es auch Kritik am Vorhaben gebe? „Nein“, antwortet Boehm-Tettelbach einsilbig. Man habe auf alles geachtet. Tettelbach verspricht, Surftown klimaneutral mit Energie zu versorgen.

Dazu werden die Dächer der Anlage mit Solaranlagen bestückt und ein Solarpark in der Nähe errichtet, der einen Großteil der Energie liefern sollen. Da der Surfpark im Gewerbepark in Flughafennähe entsteht, störe man auch niemanden und versiegele keine neuen Flächen. Das Becken werde einmalig mit Grundwasser befüllt und von da an gleiche sich Verdunstung und Niederschlag aus. Ein Mobilitätskonzept mit Bussen soll den Autoverkehr verringern. „Wir wollen Greensurfing, kein Greenwashing“, sagt Boehm-Tettelbach.

Surftown macht es besser als die anderen?

Ob Surftown dem gerecht werden kann, ist im Voraus allerdings kaum zu beurteilen. Nach dem ersten Betriebsjahr werde man einen umfassenden Nachhaltigkeitsbericht auf der Webseite „transparent kommunizieren“, verspricht ein Sprecher.

Und tatsächlich: Auch der Umweltverband BUND hält das Projekt für gelungen. Die Geschäftsführerin der BUND-Kreisgruppe München, Katharina Horn, sagt im Gespräch mit MUCBOOK über Surftown: „Die haben das ganz gut gemacht“. Das Nachhaltigkeitskonzept wirke überzeugend.

CO2-neutral und nachhaltig Arbeitsplätze und Naherholung schaffen. Mit dieser Kombination scheint Tettelbach zu punkten. Doch Ähnliches versprechen auch die anderen Projekte. Warum ist dort der Widerstand so viel größer? Und treffen die Kritikpunkte vielleicht auch auf Surftown zu?

Von den vier Surfpool-Projekten in Deutschland stehen zwei besonders in der Kritik: Stade und Krefeld. Der Surfpool in Stade soll an ein Naturschutzgebiet grenzen. In Krefeld soll die Wellenanlage an einen See gebaut werden. „In Seen zerstört man ganze Ökosysteme, das sehen wir kritisch“, sagt Katharina Horn vom BUND Kreis München. Der Bau „auf der grünen Wiese“ erzeuge zusätzlichen Verkehr und versiegele Flächen.

Die Lage scheint also entscheidend für die Akzeptanz eines solchen Projekts. In Krefeld und Stade werfen Kritiker*innen den Projekten vor, in die Natur einzugreifen. In Werne verzögert sich das Projekt zwar, man hat aber mit weniger Widerständen, als in Krefeld und Stade zu kämpfen. Wie bei Surftown scheint auch hier der Standort, zentraler Faktor für die Akzeptanz zu sein: Die Surfwelle in Werne soll in einem alten Zechengelände laufen. Es liegt seit den 1970er Jahren brach.

Chris Boehm-Tettelbach ist überzeugt von seinem Projekt. Er hat Erfahrung mit Großprojekten. Foto: O2 Surftown MUC

Auch Surftowns Standort im Gewerbegebiet in Hallbergmoos ist unumstritten. Ein paar kritische Töne gibt es dennoch. Katharina Horn vom BUND in München, gibt, trotz ihres anfänglichen Lobes, zu bedenken: „Man muss die Leute daran messen, was sie versprechen. Versprechen kann jeder, was er will.“ Besonders das Versprechen, nur einmal Grundwasser zu entnehmen, hält sie für fragwürdig.

Kritiker*innen bemängeln Grundwasser- und Energieverbrauch

Laut Bayerischem Landesamt für Umwelt bleiben Niederschlag und Verdunstung über das Jahr zwar annähernd konstant, aber Verteilung und Intensität ändern sich. Kurz: Es regnet zwar gleich viel aber anders, zum Beispiel seltener und heftiger. Das heißt, es gibt auch längere Trockenperioden, in denen mehr Wasser verdunstet, als es regnet. Dem Pool könnte das Wasser ausgehen. Das Versprechen Boehm Tettelbachs, nur einmalig Grundwasser zu entnehmen, scheint also schwer haltbar.

Dass Surftown in Trockenperioden dann erneut auf das Grundwasser zugreifen könnte, bestätigt auch ein Surftown-Sprecher: Sollte Wasser fehlen, müsse man Grundwasser nachpumpen. Vor Ort gibt es zwar relativ viel Grundwasser. Doch deutschlandweit sinken die Grundwasserstände. Auch die drei Grundwassermeldestellen rund um Surftown-MUC melden leicht sinkende Pegelstände. „Es wird auf jeden Fall trockener, wir brauchen das Wasser im Boden“, sagt Katharina Horn vom BUND.

Toni Wollschläger ist Grünen-Kreisrat und Landwirt. Er ist der einzige in seiner Partei, der sich vor Ort öffentlich gegen Surftown ausspricht: „Die brauchen Energie, wie ein ganzer Stadtteil“, sagt Wollschläger. „Wir sollten diese knappe und kostbare Energie nicht für solche dekadenten Projekte verschwenden.“

Um den Energiebedarf von Surftown zu decken, baut die Firma Vispiron einen laut Münchner Merkur 10 Hektar großen Solarpark mit einer Nennleistung von 10 Megawatt. Diese Energie könnte etwa 2500 Haushalte ein Jahr lang versorgen. „An trüben Tagen und zur Winterzeit wird die Photovoltaikanlage, je nach Einstrahlungswerten, nur einen Teil des Bedarfs von Surftown decken können“, sagt ein Vispiron-Verantwortlicher unserer Redaktion. Saisonbedingt werde aber auch der Energiebedarf von Surftown im Winter wohl geringer ausfallen. Im Sommer übersteige die produzierte Energie den Bedarf, der Überschuss werde ins Netz eingespeist. Eine Surftown-Sprecherin schreibt, man gehe davon aus, sich zu 80 Prozent durch die Solaranlagen autark versorgen zu können. Den Rest beziehe man per Ökostromvertrag aus dem Netz.

Neben dem Energieverbrauch kritisiert der Grünen-Kreisrat Toni Wollschläger auch den Standort des Solarparks im Landschaftsschutzgebiet: „Das sind gute Flächen, die der Landwirtschaft entzogen werden.“ Toni Wollschläger ist enttäuscht, dass das Projekt nicht kritischer diskutiert worden ist. „Ich hätte mir schon sowohl von den Naturschutzverbänden, als auch von den Grünen erwartet, dass da mehr kommt“, sagt Wollschläger. Sein Parteikollege Robert Wäger sieht das, wie der Großteil seiner Partei vor Ort jedoch anders: „Die PV-Anlage ermöglicht hier eine Blühwiese als Alternative zur Monokultur“, sagt Wäger. Das sei gut für die Natur. Ihm war mit Surftown vor allem wichtig, das Gewerbegebiet in Hallbergmoos aufzuwerten. Eine Klimabilanz habe, seines Wissens nach, für die Zusage für das Projekt jedoch keine Rolle gespielt. Das bestätigte auch eine Sprecherin der Gemeinde Hallbergmoos.

Surf-Szene nicht nur begeistert

Grundsätzliche Kritik an Surfparks kommt auch aus der Szene selbst. So hinterfragt etwa die Surfrider-Foundation Europe, zu deren Botschafter*innen die Surflegende Tom Curren und Profi-Surfer*innen wie Aritz Aranburu und Pauline Ado zählen, den Sinn von Surfparks. Die Stiftung kritisiert die Denaturierung von Land sowie den hohen Wasser- und Energieverbrauch. Die Kritik bezieht sich jedoch besonders auf Surfpark-Projekte in der Nähe von natürlichen Wellen. „Jetzt ist nicht die Zeit für exzessiven Konsum, ökonomisches Wachstumsstreben oder Projekte, die von den klimatischen Herausforderungen entkoppelt sind, denen wir gegenüberstehen“, schreibt die Surfrider Foundation. Surftown sei die Stellungnahme der Surfrider Foundation bekannt, schreibt eine Sprecherin: „Da wir von Anfang an, in allen Planungen und Umsetzungen der o2 SURFTOWN MUC, einen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt haben, haben wir hierzu eine andere Haltung.”

Anruf bei Lamia Messari-Becker. Die 50-Jährige ist Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Sie beriet von 2016 bis 2020 die Bundesregierung im Sachverständigenrat für Umweltfragen und sitzt seit 2020 im Expert*innenkreis „Zukunft Bau“ des Bundesbauministeriums. Laut der Expertin gibt es in der Praxis kein einheitliches Verständnis von Klimaneutralität. Gilt das nur für den Betrieb, etwa für die Heizung oder wird auch die Herstellung des Bauwerks an sich berücksichtigt? Wird das Bauvorhaben nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft geplant und ausgeführt? Gibt es beispielsweise Recycling-Pläne für Materialien und Bauteile? Messari-Becker plädiert für ein umfassendes Verständnis von Klimaneutralität: „Alle Umwelteffekte sollten im gesamten Lebenszyklus des Bauwerks, also von der Wiege bis zur Bahre erfasst, transparent gemacht und optimiert werden“, sagt die Expertin unserer Redaktion.

So soll der Surfpark einmal aussehen, wenn er in Betrieb. Visualiseriung: O2 Surftown MUC

Zurück auf der Großbaustelle. Es knirscht unter Boehm-Tettelbachs weißen Sneakern. Der Unternehmer ist überzeugt von seinem Projekt. Er will einen Hotspot für die deutsche Surf-Szene schaffen. Surftown wird die offizielle Trainingsstätte vom Deutschen Wellenreitverband. Hier sollen also die zukünftigen Surf-Olympioniken des Landes trainieren. Auch Schulen sollen zum Schulsport vorbei kommen. Einige hätten sogar schon angefragt. „Lieber ein paar Wellen reiten als Felgaufschwung am Reck“, freut sich Boehm-Tettelbach. Der 59-Jährige ist selbst leidenschaftlicher Surfer und Wassersportler. Mit dem breiten Kreuz und dem sonnengebräunten Gesicht mit den Lachfalten nimmt man ihm das auch getrost ab.

Der Surfer, der sich die Wellen selber baut

Mit sechs Jahren hat er Segeln gelernt, mit zwölf Jahren Windsurfen. „Danach war ich völlig hooked“, sagt Boehm-Tettelbach über diese Zeit. Noch während der Schulzeit mit 18 Jahren eröffnete er einen kleinen Laden für Windsurf-Ausrüstung: Münchens damals wohl kleinster Surfshop auf 12 Quadratmetern. Mit dem Shop finanzierte er sich seine Reisen ans Meer. Nach der Schule heuerte er auf einem Segelboot an, um Windsurfen zu gehen. Bei Flaute versuchte er sich damals das erste Mal im Wellenreiten.

Zurück in München nahm ein Freund ihn dann mit an den Eisbach. Von da an surfte Boehm-Tettelbach dort fast jeden Tag. Mittlerweile hat er auch noch das Kitesurfen für sich entdeckt. „Ich liebe alles, was mit Wasser zu tun hat“, schwärmt er. Am liebsten windsurfe er zwar, doch auch mit dem Wellenreiten verbindet er besondere Momente: „Wenn du entweder ganz früh morgens bei Sonnenaufgang beim ersten Tageslicht oder abends bei Sonnenuntergang beim letzten Licht im Wasser bist, mit nur zwei, drei anderen Leuten und die letzten Wellen surfst, das ist unbezahlbar.“

Nicht unbezahlbar, aber sehr teuer sind auch die meisten Surfpools. Es ist einer der Punkte, den viele Kritiker*innen neben Klimafragen ansprechen. So auch Björna Althoff von der Klimaliste Krefeld, die sich dort und auch generell gegen den Surfpark engagiert: „Surfparks sind ein krasses Beispiel für Ressourcenverschwendung durch eine Elite und damit das Gegenteil von Klimagerechtigkeit“, sagt Althoff. „Das Surfen in Surfparks können sich nur sehr Privilegierte leisten, die 60 bis 100 Euro pro Stunde plus Ausrüstung bezahlen können.“

Surfen für Reiche?

Althoffs Preisangabe ist realistisch. Im von München aus nächstgelegenen Surfpool, „Alaia Bay“ in der Schweiz, zahlen Surfer*innen für eine einstündige Session mindestens 109 Schweizer Franken (etwa 115 Euro). So teuer soll es in München nicht werden, verspricht Boehm-Tettelbach. Bisher bietet Surftown im Vorverkauf ausschließlich vergünstigte Pakete mit mehreren Sessions an. Je nachdem, wie viele Sessions das Paket beinhaltet, variieren die Preise. Ein konkreter Preis für eine Session ist noch nicht bekannt. Den Angaben auf der Webseite zufolge, wird es aber wohl auf einen Preis um die 90 Euro pro etwa einstündiger Session hinauslaufen.

„In dieser Zeit kannst du bei uns bis zu 20 Wellen erwischen, das ist so viel, wie andere im ganzen Urlaub nicht schaffen. Da glühen dir die Schenkel“, sagt Boehm-Tettelbach. Zur Preisgestaltung sagt er: „Das sind so viele Faktoren: Personal, Surfguides, Energie. Das muss alles in den Preis einfließen.“ Beim Besuch auf der Baustelle versicherte er noch, es solle preislich so attraktiv sein, dass man das öfter machen könne: „Jeder soll hier mit einem fetten Grinsen völlig stoked aus dem Wasser kommen und sagen: Ich will mehr!“ Fragt sich nur, wer sich das dann auch leisten kann.

Auch für Bau- und Energie-Expertin Messari-Becker ist die soziale Frage essenziell: „Wir brauchen für die Zukunft sozial gerechte Quartiere, Städte und Gemeinden“, sagt sie. Neben umfassenden Konzepten für Ressourceneffizienz und Klimaneutralität plädiert sie daher bei Bauprojekten wie Surftown auch für Konzepte der sozialen Teilhabe – nicht zuletzt, um die Akzeptanz in der Stadtgesellschaft zu stärken.

Eine Surftown-Sprecherin verweist auf Nachfrage auf die umfangreichen Leistungen, wie Coaching und Ausrüstung, die im Preis inbegriffen sind. Darüber hinaus werde es weitere Projekte geben, etwa zur Kinder- und Jugendförderung, Integration und Sozialisation, Surftherapie und Mental Health sowie zu anderen Themen.

Vielleicht gelingt es Chris Boehm-Tettelbach mit Surftown-MUC im ersten Betriebsjahr, alle Bedenken auszuräumen und die Versprechen zur Klimaneutralität einzuhalten. Das muss die Bilanz zeigen, die Surftown transparent machen will. Ein soziales Konzept für weniger gut betuchte Surfer*innen wäre eine Initiative, die den Initiator*innen sicherlich gut zu Gesicht stünde.


Beitragsbild: Moritz Müllender

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