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NICHTS. Was im Leben wichtig ist

Letzte Artikel von Deborah Sing (Alle anzeigen)

Metropoltheater-NICHTS-8

„Nichts hat eine Bedeutung- das habe ich gerade herausgefunden.“

Mit diesen Worten steht der Siebtklässler Pierre Anton mitten im Unterricht auf, um von nun an als logische Konsequenz seiner Erkenntnis, in einem Pflaumenbaum zu sitzen und ein Teil von Nichts zu sein.Er lässt Mitschüler zurück, in deren Bewusstsein sich dieser Gedanke immer mehr einnistet und leichtes Spiel hat, das von den Erwachsenen vorgegebene Mantra „aus euch soll etwas werden“ als einzigen Lebensinhalt, -ziel und -sinn ins Wanken zu bringen.
Von Lehrern und Eltern bleibt das Ganze vollkommen ignoriert, denn es steht außer Diskussion, die etablierte Weltanschauung in Frage zu stellen.
So bleiben die Schüler allein mit Pierre Anton und seinen nihilistischen Phrasen, die er zusammen mit klebrigen Pflaumenkernen auf sie herab spuckt.

Es gilt etwas als Gegenbeweis zu finden, etwas das Bedeutung hat. Denn weder Rufe, noch Wetter, noch Gewalt werden Pierre Anton von seinem Baum herunterholen.
Nach und nach wird von jedem der Schüler verlangt eine Sache abzuliefern, die für ihn von besonderem Wert ist und so wächst langsam ein Berg aus Bedeutung, dessen Bestandteile mit immer weniger gegenseitigem Mitleid und Empathie eingefordert werden. In diesen stilisierten Szenen stehen Täter und Opfer auch räumlich distanziert für sich- durch kein Mitgefühl mehr verbunden, sondern zwischen ihnen nur noch leerer Raum.
Der Verlust der eigenen Habseligkeit wird zum Antrieb die Schmerzgrenze für den nächsten noch ein bisschen höher zu setzen und die Bedeutung als Schirmherr dieser Aktion legitimiert jegliches Opfer, das den Berg wachsen lässt.

Dieses System verselbstständigt sich bis der Gitarre-spielende Jan-Johann sich von seinem rechten Zeigefinger trennen soll und so letztendlich die irrwitzige Bedeutungssuche der Schüler samt dessen Erzeugnis „ein übelriechender Haufen makabren Inhalts“ entdeckt wird.
Der „Haufen“ wird polizeilich abgesperrt, in der Presse verteufelt, bewundert, zu Kunst erklärt und schließlich, wie es sich für eine anständiges Kunstwerk gehört, zu einem siebenstelligen Preis ans Museum verkauft.
Nichts von all dem bewegt Pierre Anton sein Domizil im Pflaumenbaum zu verlassen und da das Gegenargument im Austausch für einen Scheck ans Museum überschrieben worden ist, gibt es nichts mehr um es gegen Pierre Antons Thesen zu stellen. Es bleibt nur noch er selbst und der letzte verzweifelte Akt der Schüler diesem Berg, und alles wofür er steht, wieder Bedeutung einzuhauchen.

Oft möchte man vergessen, dass die Akteure zum Zeitpunkt des Geschehens erst 13 Jahre alt waren und doch wird man immer wieder daran erinnert.
Es wurde gänzlich versagt, diesen Kindern einen Sinn zu vermitteln, abseits eines vorgefertigten Lebenslaufs, dessen Stationen nur noch nacheinander abzuhaken sind.
Die Konsequenz kann man in diesem emotional dichten Stück verfolgen, das eindrucksvoll von Jochen Schölch inszeniert wurde und definitiv unter die Haut geht. Vieles von diesem Irrsinn wird erzählt oder spielerisch nur angedeutet und lässt so Raum Bilder in der eigenen Vorstellung weiterspinnen zu lassen.

Die Schauspiel-Studenten der August-Everding-Theaterakademie nehmen sich der deutschen Bühnenadaption von Jane Tellers Jugendroman, der zuerst verboten und dann zur Pflichtlektüre erklärt wurde, souverän an. Sie bewältigen es erstaunlich, zwischen höchster Emotion und der Neutralität einer bloßen Rolle, die dem Publikum die acht Jahre zurückliegende Geschehnisse schildert, zu wechseln und verstärken diesen eindringlichen Abend mit überraschend passenden Beatles-Songs.

Das Stück feierte am 20.06. im Metropoltheater Premiere und ist noch an folgenden Terminen zu sehen:

Do., 11.07. bis Sa., 13.07.2013, 20 Uhr
So., 14.07.2013, 19 Uhr
Di., 16.07. bis Sa., 20.07.2013, 20 Uhr
Fr., 26.07. und Sa., 27.07.2013, 20 Uhr

Foto: Hilda Lobinger

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