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Hass dominiert Debatten, politische Fronten verhärten sich, und viele fühlen sich machtlos. Kann ein Literaturfestival da überhaupt etwas bewirken? Kurator Daniel Schreiber sagt: Ja – gerade jetzt. Unter dem Motto „Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben?“ werden dieses Jahr große Fragen auf der Bühne diskutiert – in Lesungen, Talks, Performances, Musikformaten und Shared Readings. Es geht um Empathie als Gegenpol zum Hass, warum das Thema „Liebe“ genau jetzt wichtig ist und darum, wie Literatur neue Räume für Widerstand und Hoffnung schaffen kann. Warum Zuversicht keine Naivität ist und wie ein Festival zur politischen Kraft wird? Das verrät uns Daniel Schreiber im Interview.
Der Titel “Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben?” klingt ja recht ansprechend – aber vielleicht auch etwas lieblich. Gibt es in diesen kriegerischen Zeiten kein wichtigeres Thema, dem sich dieses Literaturfest widmen müsste?
Schreiber: Ja, das ist natürlich eine berechtigte Frage.
Ich habe darauf zwei Antworten. Zum einen finde ich es faszinierend, dass an Kultur, Literatur, Kunst, Theater immer so das ganz Große herangetragen wird. Die Frage ist immer: Kann dieses Buch den Krieg in der Ukraine lösen? Oder was richtet dieses Theaterstück gegen die Demokratiekrise aus? Hat es überhaupt Sinn, sich mit Kunst zu beschäftigen, während der Klimawandel voranschreitet? Es macht den Eindruck, dass an die Politik sehr viel kleinere Ansprüche herangetragen werden als beispielsweise an ein Literaturfestival.
Und die zweite Antwort?
Ich würde sagen, das Festival selbst gibt diese zweite Antwort. Es stellt die grundsätzliche Frage, wie wir leben wollen – aus einer Perspektive der Liebe zur Welt. Wir werden uns darin mit Leidenschaften und Empathie beschäftigen, mit der Bereitschaft, Andersartigkeit anzuerkennen und über den eigenen Horizont hinauszuschauen. Sich mit diesen Themen in diesen Zeiten auseinanderzusetzen ist wichtiger denn je. Denn nur wenn wir uns darauf besinnen, was wir lieben, können wir es auch verteidigen. Nur so können wir den Aufbruch wagen und Dinge wirklich verändern. Nur so können wir der immer größer werdenden Welle des Hasses entgegentreten, die unsere Gesellschaft erfasst hat.
Wo erleben Sie diesen Hass?
Lange war dieser Hass vor allem ein Phänomen in den Online-Kommentarspalten oder in sozialen Medien. Das ist heute anders. Heute gewinnt dieser Hass weltweit Wahlen. Hass ist ansteckend, er bietet Ablenkung und Ventil für Probleme, die politisch nicht gelöst werden. Das merkt man nicht nur an dem Erfolg von Parteien, deren Existenz auf einer Idee von Hass beruht, sondern auch an den Programmen anderer demokratischer Parteien, die sich ebenfalls immer mehr daran orientieren. Man merkt es daran, wie sich Diskussionen verengen, man merkt es daran, wie eigene Freundinnen- und Bekanntenkreise wie Dominosteine umfallen und politisch die Seite wechseln. Plötzlich entdeckt man, dass dort auch jemand ist, der Elon Musks Idee teilt, dass Empathie die schlimmste Eigenschaft der westlichen Gesellschaft ist. Dass dort auch jemand ist, der glaubt, dass Demokratie ein Ausdruck von Schwäche und nicht von Stärke ist. Es ist überlebenswichtig, all dem etwas entgegenzustellen. Deshalb dieses Festival.
Das ist aber genau der Punkt, weil eigentlich sitzen wir ja alle da, fassungslos, fast schon apathisch und hören diesen Stimmen aus Washington oder Moskau zu. Und man fragt sich, wo sind denn die anderen Stimmen, die laut werden? Fehlt Ihnen der Aufschrei der Zuversichtlichen?
Dieses Festival ist ein Teil des Aufschreis der Zuversichtlichen, den Sie vermissen. Eine Eigenschaft von Soft Powers wie Liebe, Empathie, Zuversicht besteht darin, dass sie meistens leiser daherkommen. Sie lassen sich nicht in Kreisläufen der Empörung, der Entrüstung und des Hasses einverleiben. Sie eignen sich nicht zum Aufschrei. Es braucht länger, sie zu kultivieren. Sie sind in vieler Hinsicht komplexer, psychologisch und emotional herausfordernder. Sie beruhen eben nicht auf den einfachen Antworten, die die politischen Programme des Hasses liefern. Und ja, mir fehlt auch eine breitere Art von Widerstand. Aber ich habe die Hoffnung, dass das Literaturfest ein zumindest kleiner Raum des Widerstands sein kann. Ein Raum für Widerstand und Trost.
Oder auch ein Nährboden vielleicht für wachsenden Widerstand?
Das ist auch ein Grund, warum wir uns für verschiedene partizipative Formen der Literatur entschieden haben. Wir haben zum Beispiel die Shared-Reading-Initiative eingeladen, die eine neue kollektive Leseform initiiert. Menschen unterschiedlicher Couleur finden sich in kleinen Gruppen zusammen und tauschen sich über Literatur aus.

Shared Reading: »An Worten wachsen« (3./4./7./8./9./10./11. April) © Shared Reading
Das müssen Sie kurz nochmal erklären. Wie genau läuft dieses Shared Reading ab?
Das läuft so ab, dass sich 15 Leute an unterschiedlichen kleineren Orten in München treffen. Diese kleinen Lesekreise sollen verschiedene Menschen zusammenbringen. Sie sind gratis, man muss sich nur anmelden. Das heißt, es ist wirklich sehr niedrigschwellig und es können Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen, aus unterschiedlichen Schichten, aus unterschiedlichen sozialen Herkünften, mit unterschiedlichen Weltansichten und politischen Überzeugungen zusammenkommen und mithilfe der Literatur ins Gespräch kommen. Es wird immer ein Gedicht und eine Kurzgeschichte gelesen werden und angeleitet vom Shared-Reading-Initiator Carsten Sommerfeldt wird sich darüber ausgetauscht. Diese Gespräche werden meistens sehr schnell privat, das ist ihre große Stärke, durch die Intimität der Gruppen passiert anhand von Literatur häufig etwas Großes. Es ist klassischerweise immer eine Aufgabe von Literatur gewesen, sich in kleineren Gruppen zusammenzufinden und zu verständigen. Das wird hier wiederbelebt.
Ja, das passt ja auch ganz gut zu den Themen Ihrer eigenen Bücher: Da geht es auch oft um Alleinsein und Gemeinschaft.
Ich glaube, dass wir alle eine Art Kontinuum an Themen haben, die wir
im Leben abarbeiten. Und dieses Thema der “Sprachen der Liebe“ steht in diesem politischen und kulturellen Kontext auch persönlich für mich an.
In einer Veranstaltung geht es auch über Transgender-Leben. Eigentlich denkt man, dass man diese Themen in München gar nicht mehr thematisieren muss. Vielfalt und Queerness ist anerkannt und wird ganz natürlich gewertschätzt. Sehen Sie diese Offenheit auch bei uns in Deutschland wieder in Gefahr?
Ja, massiv. Gerade wenn man selbst queer ist, erfährt man das sehr deutlich. Man kann schon an den Statistiken von Hate Crimes nachweisen, wie akut diese Gefahr geworden ist. Und die Veranstaltung über das Leben und Schreiben von Trans-Personen war mir besonders wichtig. Zum einen, weil wir gerade in Amerika anhand von Transmenschen sehen, dass uns allen die basalsten Menschenrechte einfach wieder weggenommen werden können, dass sie innerhalb eines Tages einfach per Gesetz zunichte gemacht werden können. Wir können uns mit den vielen Errungenschaften unserer demokratischen Gesellschaft nicht auf der sicheren Seite wähnen. Ich muss in diesem Kontext immer daran denken, dass Afghanistan 1919 als eines der ersten Länder der Welt das Frauenwahlrecht eingeführt hat. Heute ist es eines der frauenfeindlichsten Länder der Welt. Man möchte sich das nicht vorstellen, dass sowas auch bei uns passieren kann. Das kann es aber. Immer. Und bestimmte Akteure und Parteien arbeiten genau daran.

Daniel Schreiber (Kurator LITERATURFEST MÜNCHEN 2025) © Catherina Hess
Trotz allem setzen Sie ja in Ihrem jüngsten Buch “Die Zeit der Verluste” auf die Zuversicht. Nach dem, was wir die letzten Jahre erlebt haben, gibt es noch Grund, zuversichtlich zu bleiben?
Wir leben in einer Zeit, in der Überwältigung und Ermüdung zur Herrschaftsstrategie geworden sind. In der immer wieder Wellen der Entrüstung, der Wut und des Hasses fabriziert werden, die sich in der Gesellschaft verfangen. Man hat häufig den Eindruck, dass es überhaupt keine Möglichkeit mehr gibt, wirklich auf die politischen, klimatischen, sozialen Entwicklungen zu reagieren. Den Eindruck von Lähmung, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Ein Ziel des Festivals ist es, aufzuzeigen, wie viel Grund zur Zuversicht wir haben, was wir selbst dazu beitragen können, dass die Welt ein besserer Ort wird. Auch wenn es nur kleine Sachen sind. Es wird etwa ein Symposium über „Leidenschaften“ geben, in dem es darum geht, dass wir alle bestimmte Talente haben, mit denen wir die Welt tatsächlich besser machen können.
Aber gerade bei diesem Leidenschaftssymposium geht es ja auch um Themen wie die Leidenschaft für das Gärtnern. Man könnte das auch als problematischen Rückzug ins Private sehen.
Ja, natürlich stellen diese Leidenschaften häufig eine Art Rückzug ins Private dar. Doch dieser Rückzug ins Private ist auch wichtig: Wir müssen irgendwo
Kräfte sammeln, um öffentlich tätig werden zu können. Wir müssen einen Weg finden, mit dieser Welt umzugehen, um diese Welt mitzuverändern. Und wir müssen uns Inseln schaffen. Inseln, in denen wir sicher kommunizieren können, in denen wir Ideen entwickeln können. Inseln der Liebe, der Zuversicht, der Hoffnung. Diese Inseln werden nicht für uns geschaffen. Wir müssen es selbst tun.
Sie sind unter anderem bekannt geworden mit Ihrer gefeierten Biografie über Susan Sontag, die für ein Amerika steht, das wir alle so geschätzt haben und zu dem wir immer auch irgendwie anerkennend nach oben geschaut haben. Haben Sie denn noch Hoffnung für die USA?
Ich habe lange in USA gelebt und liebe dieses Land. Momentan spüre ich vor allem eine für mich unvorstellbare Bestürzung und Trauer. Wenn ich mir anschaue, wie die Entwicklung in Ländern wie Ungarn oder Türkei vonstatten gegangen ist, den großen Vorbildern für Trumps Project 2025, gibt es kurzfristig, glaube ich, nicht viel Anlass zur Hoffnung. Aber niemand kann die Zukunft sehen. Hoffnung macht das Beispiel von Polen, wo es eine autokratische Regierung gab, die die Demokratie Stück für Stück abgebaut hat, die das Gerichtssystem verändert hat und so weiter. Und wo es trotzdem wieder zu einem demokratischen Umschwung kam. Anzunehmen, dass die Zukunft geschrieben ist, nur weil es uns Leute wie Trump und Musk und Vance und Rubio erzählen, ist nicht nur resignativ, sondern auch grundlegend falsch.
Danke für das Gespräch.
Event Highlights 2025
Von Lesungen im Literaturhaus bis zu Poetry-Performances im Muffatwerk, von Debatten in der Monacensia bis zu Club-Events im Bellevue di Monaco – das Festival zeigt, wie vielschichtig Literatur sein kann. Mehr zu den Highlights 2025 erfahrt ihr hier.

Plakatmotiv LITERATURFEST MÜNCHEN 2025 / koralle © Marion Blomeyer / Lowlypaper unter Verwendung des Bildes THE KISS von Amaia G. Marzabal
Beitragsbild: Daniel Schreiber (Kurator LITERATURFEST MÜNCHEN 2025) © Catherina Hess