Kultur, Nach(t)kritik

Realität und Literatur

Markus Michalek

comp_IMG_5794_430

Ein fulminanter Start ins neue Jahr für die Münchner Lesebühne speak&spin, die Veranstalter dürfen stolz sein! Das Duo Nadaville, zwei Münchner Autorinnen (Katrin Baumer, Jessica Riccó) und Gast Ben Everding unterhalten einen Abend lang das gut gefüllte Cafe Gap. Progammatischer Leitfaden: das Nachtleben. Hier könnte meinen, es wäre schon alles gesagt. Dass dem längst nicht so ist, beweisen die Mädels von Nadaville und ihr Gast mit Leichtigkeit.

comp_IMG_5846_430

Einerseits leicht übergewichtig an diesem Abend und für eine literarische Lesebühne vielleicht ein wenig unerwartet: gnadenlose Realitätstexte, (Zitat: “die Geschichte hab ich genauso erlebt/gehört, das ist alles wirklich passiert”) die eine literarische Ãœberhöhung vermissen lassen, stattdessen auf Comedyeffekte setzen.

Natürlich ließe sich jetzt von Seiten erboster Sittenwächter einwenden, Literatur begänne erst, wenn die Wirklichkeit aufhöre zu sein. Einwand: Wenn die Wirklichkeit derart saukomisch ist, wie von Ben Everding vorgetragen, dann ist das eben so. Und das ist gut so!

Ein begnadeter Comedian ist er, der junge Hannoveraner, der gerade mit seinem Debütroman O Vanitas Vanitates auf Lesereise ist. Sollte er das literarische Handwerk nur annähernd gleich beherrschen wie die Comedy, dann dürfte das ein empfehlenswertes Buch sein. Und auch Jessica Riccó steht ihrem Kollegen hier in wenig nach.

comp_IMG_5821_430

Auf der anderen Seite steht die Prosa von Katrin Baumer, einer Absolventin des LMU creative-writing-Kurses manuskriptum. Schnörkellos, aber mit unerwarteten Brüchen, handwerklich sauber und dennoch nicht uninspiriert, nähern sich ihre Geschichten dem Absurden, Grotesken an, ohne dabei lächerlich oder gar unplausibel zu wirken.

Im Gegenteil, es scheint fast normal, wenn der Protagonist nach einer eher unfreiwilligen Nacht mit einem Transvestiten neben der leergeräumten Wohnung noch eine Aidsschleife als kleines Dankeschön vorfindet.

„… ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder an der Schleife herumstreichle, als wär´ sie was wert. Und dann möchte ich mich ohrfeigen dafür.“

Wenige Worte mit großer Wirkung, wie in ihrer Kurzgeschichte rote Satinschleifen. Die steht einer realitätsbezogenen Comedy mit großer Publikumswirkung in nichts nach. So kann Literatur eben auch sein.

Der nächste speak&spin Leseabend präsentiert: Max Scharnigg (jetzt.de), Literaturstipendiat der Stadt München. Am zweiten Montag im Februar, Cafe Gap, 20 Uhr. Mehr Infos unter www.speakandspin.de

Mehr Infos zu Nadaville hier.

comp_IMG_5849_430

Fotos: Karsten Gohm

Ähnliche Artikel

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons