Stadt, Wohnen trotz München

Shabbyshabby: Brauchen wir Intimität?

Sharon Brehm

Am Gärtnerplatz ein Boot, in der Maximiliansstraße eine Jurte, ein Baldachin  über der Isar – die Shabbyshabby Apartments gehören noch bis zum 13. Oktober zu Münchens Stadtpanorama. Und weil das Projekt ein künstlerisch-architektonisches Experiment ist, zwingt sich ein Selbsttest quasi auf, der sich mit einer der zentralen Frage der „Urban Issues“ beschäftigt:

„Brauchen wir Intimität?“

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Aus dem Bauch heraus, so von ganz unten und ziemlich intuitiv, brüllt es erstmal „Ja, natürlich.“ Und dann fragt der skeptische Teil in mir „Wie viel Intimität brauchen wir – und welche Intimität?“
Denn Intimität, so bauliche, materielle, urbane Intimität – kann die an einem öffentlichen Platz entstehen, ohne dicke Wände, die Geheimnisse verschlucken, ohne die zarte Gewissheit, dass nachts nicht irgendein Wiesnbesucher vorbeischaut, wohlige Privatheit auf 4 qm?

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Weil jeder TV-Cop beim Aufdecken ungelöster Fragen einen Partner hat, nehme ich jemanden mit, der mega mutig ist und das Talent hat, es sich überall auf der Welt kuschlig schön zu machen: Stefanie Manna.

Schließlich ist Mittwoch und Fortuna scheint uns wohlgesinnt: es regnet, es ist furchtbar kalt, winter is coming. Also ab in die Trend-Kombination aus Leggings, Schlafanzughose, das zweite Paar selbst gestrickter Strümpfe, Shirt, Pullover, Winterjacke, Blanket-Schal und Mütze. Obwohl es Decken gibt, packen wir noch einen Schlafsack und Wärmflaschen ein. Für eine Winter-Expedition an den Baikalsee in Russland hätten wir jetzt das Outfit.

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Das Bindegewebe auf dem Alpenplatz in Giesing wird diese Nacht unser Zuhause sein und auf der Webseite wird uns viel versprochen: „Das Bindegewebe ist mehr als nur eine Wohnung, es ist ein Raum für Debatten und Clubbing, für Begegnung und Überraschung.“

Als wir in der Dunkelheit ankommen, begrüßt uns unsere persönliche Securitydame – mehr als traurig, dass bereits ein „Shabby“ verbrannt wurde und dass diese Maßnahme nun notwendig ist.

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Das von sechs Londoner Student_innen gehämmerte Shabby (auf dem Immobilienmarkt mindestens ein Wert von 250€) sieht aus wie ein Spielgerüst und lädt zum Entdecken ein. Im Untergeschoss stehen Sitz- und Blumentonnen, in der Netzablage finden sich Bücher mit verheißungsvollen Titeln wie „Wer sich selbst liebt, kann jeden heiraten“. Eine Räuberleiter führt hinauf in das wohl behaglichste Bettenlager Münchens.

Der Boden ist ein großes Netz, darauf eine Matratze, es ist so weich wie ein Wasserbett. Die Decken und Kissen im schwedischen Design füllen die kleine, dreieckige Kammer komplett aus und wir müssen uns sofort hineinwerfen und das durchsichtige Plastikdach bewundern.

Ein Ort zwischen Freiheit und Sicherheit, an dem wir den ganzen Sommer verbringen könnten!

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Zugegebenermaßen, Ohropax sind Pflicht, man muss sich mögen, weil man immer wieder in die Mitte rutscht und jedes Mal, wenn sich einer bewegt, wackelt die ganze Konstruktion. Sobald man schließlich die passende Schlafposition gefunden hat und merkt, dass man die Hälfte des Outfits nicht gebraucht hätte, könnte es eine überraschend erholsame Nacht werden – würde dieser Ort nicht dazu einladen, über Gott und die Welt zu reden.

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Intimität, also das Gefühl we-against-the-world, findet man mit Sicherheit im Bindegewebe, wenn nicht sogar eher als im Doppelbett in der Drei-Zimmer-Wohnung. Es hat etwas Verschwörerisch-Verbindendes, wenn unter einem Hundebesitzer entlang laufen, während man selbst über Erinnerungen und Zukunftsvisionen philosophiert. In diesem Wohlfühlszenarium zwei Meter über der Erde bekommt man die Impression, man wäre ganz alleine auf der Welt, als befände man sich in einer sicheren, kleinen Höh(l)e, in der einem nichts passieren kann, als gäbe es nichts Schlechtes.

Und wer braucht schon eine Küche, wenn die Kammerspiele am nächsten Morgen zum Frühstück einladen?

Das Konzept der Shabbyshabby Apartments spielt mit dem Dualismus aus totaler Öffentlichkeit und totaler Privatheit – und schafft damit genau die Art von Intimität, die auf Wunschzetteln steht. Natürlich könnten jetzt kritische Stimmen meinen, dass jedes Shabby anders ist, aber für einen Selbstversuch in einem der anderen 22 Buden ist ja noch ein wenig Zeit.

Shabby_Selbstversuch (5)

Mehr Infos:

Shabbyshabby Apartments in den Kammerspielen
Übernachten täglich vom 12.09. bis 13.10.2015
Check-in an der Tageskasse vom 12.09. bis 13.10. von 16 bis 22 Uhr
35 EUR, erm. 28 EUR pro 2-Personen-Apartment pro Nacht (inkl. Frühstück)
Ermäßigungen gelten für IKEA FAMILY Mitglieder sowie alle anderen Ermäßigungsberechtigten.
Sonderpreise für die Apartments „Parking Loft“ und „Rhombi House“.

Tickets an der Tageskasse der Münchner Kammerspiele
Maximilianstr. 28, 80539 München
Tel. 089 / 233 966 00

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