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Stadtbäche: München, mach dich (wieder) frei!

Caroline Priwitzer

Viele Stadtbäche gibt es nicht in München. Die meisten sind versiegelt, verbuddelt oder wurden verlegt. In der Herzog-Wilhelm-Straße aber – zwischen Stachus und Sendlinger Tor – kehrt bald einer an die Oberfläche zurück. Warum nicht mehr?

Der Eisbach ist wohl eine der schönsten Attraktionen Münchens: Elegant schlängelt er sich durch den Englischen Garten, lädt zum Flanieren ein und die Surfwelle an der Prinzregentenstraße ist längst international bekannt. Es gab eine Zeit, da durchzogen viele Bäche München und prägten das Stadtbild. 175 Kilometer lang war das Netz der Stadtbäche, die im 19. Jahrhundert zeitweise offen durch die Stadt flossen. „Klein-Venedig“ wurde München deshalb gerne mal genannt. Heute erinnern nur noch Straßen- und Stadtteilnamen wie Glockenbachviertel, Müllerstraße oder Dreimühlenviertel an diese Epoche. 

„Alles, was man heute mit Strom macht, hat man früher mit Wasser gemacht“, erklärt Wolfgang Heidenreich vom Verein Green City e.V. Die Isar – der letzte Wildfluss Deutschlands – habe sich dafür wegen ihrer starken Strömung besonders gut geeignet: „Sie hat im Laufe der Zeit immer wieder ihren Lauf verändert. In der Stadt hat man versucht, sie einerseits zu zähmen und andererseits besser zu nutzen“, sagt er. Ihr Wasser floss durch Burggräben und trieb Mühlen an. Dazu mussten Kanäle gebaut werden. Die Stadtbäche wurden aber auch als Müllabfuhr genutzt: „Da wurde alles hineingekippt, und aus hygienischen Gründen begann man schon damals, die Bäche zu überdecken.“

In den 1960er-Jahren verschwinden viele Bäche

Das Verschwinden der historischen Stadtbäche war ein Prozess. Vorangetrieben wurde er durch die Industrialisierung, als ihre Funktionen zunehmend wegfielen und man den Platz anderweitig nutzen wollte. Das endgültige Aus für viele kam mit dem Bau der U-Bahn in den 1960er- und 1970er-Jahren: Sie wurden verkleinert, unterirdisch durch Rohre geleitet, oberirdisch versiegelt und teilweise zubetoniert. Bei den zubetonierten Bächen sieht Heidenreich „eigentlich keine Chance mehr, die Bäche zu reaktivieren“. Aber das Hochpumpen von Stadtbächen dort, wo sie noch fließen, habe Potenzial, findet er. 

Was sich erst mal einfach anhört, die Offenlegung von verdeckten Bächen, ist in der Umsetzung technisch wahnsinnig komplex. Es gibt detaillierte Aufzeichnungen über das Bachnetz, sodass man trotz der Versiegelung bis heute genau weiß, wo die unterirdischen Bachläufe verlaufen. Also hat er sich auf den Weg gemacht und ist einige Kilometer der Stadtbäche mit dem Fahrrad abgefahren, um mit eigenen Augen zu sehen, wo eine Offenlegung möglich sein könnte. Das historische Wissen allein hilft nicht: Aktuelle Gegebenheiten wie Straßenführung, Bebauung und Bewuchs müssen berücksichtigt werden.

„Stadtbäche bedeuten mehr Lebensqualität“

Auch dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Münchner Grünen, Dr. Florian Roth, liegt die Offenlegung der Stadtbäche am Herzen, weshalb er sich als Stadtrat seit einigen Jahren politisch dafür einsetzt: „Ich habe es als sehr attraktiv empfunden, an einem Bach zu leben, und ich glaube, dass es vielen so geht oder gehen würde.“ Auch ihm war die Vielzahl historischer Bäche lange Zeit nicht bekannt. Anlässlich der 850-Jahr-Feier Münchens im Jahr 2008 wurde im Glockenbachviertel ein Kunstprojekt durchgeführt, bei dem blaue Linien auf die Gehwege gemalt wurden, die den Verlauf der Stadtbäche nachzeichneten. „Das fand ich super interessant. Weil ich mir zunächst dachte: Was? Da waren Bäche?!“

Eine Studie gibt Aufschluss

Seit 2015 setzt sich auch Green City e.V. für die Sache ein. Kein Wunder, offene Stadtbäche erfüllen so ziemlich alle Aspekte, für die sich der Verein auch sonst starkmacht: Sie verbessern das Mikroklima in der Stadt, tragen zur Abkühlung bei, dienen der Naherholung und verschönern das Stadtbild. Um konkret etwas bewegen zu können, hat Green City eine Machbarkeitsstudie bei einem Ingenieurbüro in Auftrag gegeben. Die Studie untersuchte die technische Machbarkeit von Öffnungen an verschiedenen Stellen. Auch die Kosten und die gestalterische Planung wurden beleuchtet.

Wo also würde eine Offenlegung funktionieren? Für den Glockenbach schaut es zum Beispiel schlecht aus. Die Pestalozzistraße taucht sogar als Negativbeispiel in der Studie auf: Die Rahmenbedingungen sowie die Platzverhältnisse, die Lage des Kanals und die dichte Infrastruktur seien ungeeignet, heißt es da. Viel besser steht die Lage am westlichen Stadtgrabenbach, in der Herzog-Wilhelm-Straße zwischen Karlsplatz und Sendlinger Tor. Die Studie kommt zum Ergebnis: Der dort vier Meter tiefe Stadtbach könnte mithilfe von Pumpen und Turbinen – die der Bach zudem selbst antreibt – für diese Passage an die Oberfläche geholt werden.

Die Pläne sind konkret

Inzwischen findet auch der Stadtrat die Idee gut. Die Altstadt soll ohnehin sukzessive verkehrsberuhigt werden. Kurzzeitig war sogar die Rede davon, den Bach in die Sonnenstraße, für die dort geplante Flaniermeile, umzuleiten. „Es ist ein Gesamtprojekt, da muss man sich städtebaulich viele Gedanken machen – auch wo es erholungstechnisch Sinn macht“, sagt Heidenreich.

Beim Bach in der Herzog-Wilhelm-Straße hält Roth einen Baubeginn im Jahr 2024 für plausibel. Und vielleicht gibt das den nötigen Impuls, um weitere Projekte schneller ins Fließen bringen: „Ich denke, erst mal wird die Herzog-Wilhelm Straße realistisch sein. Dann gibt es bald noch die Bachrunde, ein Dialog der Stadt mit der Zivilgesellschaft, in der weitere Bäche diskutiert werden.“

Ein kleines Venedig wird aus München vielleicht nicht mehr so schnell. Dazu hat sich das Stadtbild seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehr verändert. Aber dort, wo es möglich ist, kann man nur Mut wünschen.

Beitragsbild: Pfisterbach nördlich (heutige Sparkassenstraße) um 1907 (Ausschnitt; Aufnahme: Hans Grässel, Stadtbaurat)

Bild historische Karte: Hintergrund/Background: OpenStreetMapUser:Chumwa; Bachverläufe : User:Vuxi – Hintergrund: File:München – Basiskarte farbig – Flaucher bis Englischer Garten.png; Bachverläufe nach: Christine Rädlinger; Stadtarchiv München (Hrsg.): Geschichte der Münchner Stadtbäche. Verlag Franz Schiermeier, München 2004.

Bilder Visualisierung Herzog-Wilhelm-Straße: © Ingenieurbüro-Patscheider-und-Partner / Green City e.V.

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