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Lasst den Stadtbach an die frische Luft!

FullSizeRender„So, jetzt brauch ich mal ein paar starke Finger!“ 

Wir stehen mit Martin Glöckner, Geschäftsführer von Green City e.V., um einen Gullideckel am Sendlinger-Tor-Platz. Unter uns, in vier Metern Tiefe, fließt mit beachtlicher Geschwindigkeit ein Stadtbach die Herzog-Wilhelm-Straße entlang. Der ehemalige Stadtgrabenkanal ist nur einer von vielen unterirdischen Stadtbächen, die einst maßgeblich zum Wachstum und zur Entwicklung Münchens beigetragen haben, im 19. Jahrhundert aber der Bebauung weichen mussten. Spätestens mit dem Ausbau des U-Bahn-Netzes wurden die meisten Bachläufe zugeschüttet. Aber es gibt sie noch!

175 Kilometer Wasser fließen unterirdisch durch München – und ein Teil davon soll nun wieder an die Oberfläche gebracht werden.

Stadtbäche sehen nicht nur schön aus – wie die Visualisierung des Ingenieurbüros Patscheider und Partner zeigt – sie tragen auch zur Verbesserung des Stadtklimas bei. München bzw. Oberbayern hat besonders hart mit Hitzeinseln zu kämpfen: Es droht eine Erwärmung um vier, schlimmstenfalls sogar bis zu acht Grad. Ein Stadtbach könnte hier eine entscheidende Kühlfunktion beitragen und außerdem von Starkregenfällen verursachte Wassermengen etwas abfangen. Und: Eine Offenlegung würde uns Münchnern wieder ins Bewusstsein rufen, was da eigentlich historisch und umweltschutztechnisch Wertvolles unter unseren Straßen fließt.

Machbar? Machbar!

Die Umstände könnten besser nicht sein. Das hat jetzt eine Machbarkeitsstudie, finanziert von der Tochterfirma Green City Energy AG, gezeigt.

Erste Überlegungen von einer Öffnung, sprich: dem Entfernen der Decke, wurden angesichts der vier Meter Tiefe schnell verworfen. Stattdessen soll eine elektrische Pumpe das Bachwasser anheben.

Das kann sogar vollkommen energieautark geschehen: mit seiner sehr hohen Fließgeschwindigkeit von 2 Kubikmetern/Sekunde kann der Bach die kinetischen Turbinen nämlich selbst antreiben, mit denen der Strom dafür gewonnen wird. Es muss kein zusätzlicher Storm angekauft werden.

Außerdem steht die Grünanlage zwischen Sendlinger Tor und Joseph-Spital-Straße, durch die der Stadtbach zukünftig fließen soll, nicht in Konkurrenz mit bestehenden Verkehrswegen. Dieses Problem hat zuvor das Vorhaben verhindert, dem Glockenbachviertel seinen Glockenbach wiederzugeben. Es wäre zu zu großen Einbußen des Verkehrs auf der Pestalozzistraße gekommen, die ja den Glockenbach teilweise begräbt. Zwar wäre die Reduktion des Straßenverkehrs durch Platzabgaben an Radfahrer oder eben Stadtbäche ganz im Sinne der Grünen, es erschwert allerdings auch die Durchsetzung des Beschlusses im Stadtrat.

Herzog-Wilhelm-Str_Lageskizze_C_Ingenieurbüro Patscheider und Partner

Dem Projekt Herzog-Wilhelm-Straße steht jedoch auch politisch nichts im Wege. Bei den Grünen werden mit den aktuellen Bemühungen, wie Fraktionsvorsitzender Florian Roth in der Pressekonferenz so schön sagte, “offene Tore eingerannt” – sie hatten bereits 2015 einen Antrag auf Offenlegung eingereicht.

Auch bei der CSU findet das Vorhaben guten Anklang – bei den Bürgern sowieso. Das einzige, was noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte, ist eine wasserrechtliche Prüfung durch das Referat für Gesundheit und Umwelt. Die Stadtwerke München nützen den unterirdischen Stadtbach als Kältequelle – eine Offenlegung hätte einen Temperaturanstieg zur Folge.

Jedoch wurde hier von Anfang an klein gedacht: Mit einer Öffnung des Bachs über gerade einmal 300 Meter Länge ist die Entnahme so gering, dass der ebenfalls nur  sehr geringe Temperaturanstieg in Kauf genommen werden kann. Das Münchner Forum hat, wie Klaus Bäumler, Vorsitzender des Programmausschusses, verlauten ließ, jedoch auch hierfür schon eine Lösung parat. So könnte das Isarwerk 3, das Wasser abzugeben hat, den westlichen Stadtgraben mit zusätzlichen Wassermengen beschicken, um den Temperaturanstieg zu verhindern. Ein Verfahren wurde bereits in die Wege geleitet.

Wann geht’s los?

Bei einer Bearbeitungsfrist von drei Monaten könnte der Grundsatzbeschluss noch dieses Jahr im Stadtrat durchgebracht werden. Bis zum tatsächlichen Baubeginn wird es zwar dann noch einige Jahre dauern, aber das politische, wirtschaftliche und bürgerliche Engagement, das die Stadtbach-Offenlegung in der Herzog-Wilhelm-Straße erfährt, verspricht nur eins: Er kommt. Und schon bald können wir uns hoffentlich nach stressigen Shopping-Eskapaden in der Sendlinger Straße an ein kleines, kühles Fleckchen in Ruhe zurückziehen und dem beruhigenden Rauschen unseres Stadtbaches lauschen.


Fotos: Visualisierungen des Ingenieurbüros Patschender und Partner/Oriana Taddeo

Giulia Gangl
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