Kultur

Stereo Total РSuperbl̦dmachos und Starletten

Tini Kigle
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Stereo Total sind gerade mit ihrem neuen Album Baby Ouh auf Tour. In München haben Francoise Cactus und Brezel Göring vom Coolsein, von Hyperironie, Liebe in Zeiten der Auflösung von Geschlechterrollen und  vom Leben als Traum oder großem  Missverständnis erzählt. Ein Interview.

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mucbook: „Unsere Platten klingen doch eigentlich sowieso alle gleich, oder?“  hast Du in einem früheren Interview gesagt, Francoise. Und Brezel: „Ich kann es nicht beurteilen, ich habe genau dasselbe wie auf der letzten Platte gemacht, warum sie nicht genauso wie die letzte klingt, kann ich mir nicht erklären.“ Habt ihr beiden also eure innere Mitte gefunden, die Selbstfindung abgeschlossen, die Sinnkrisen überwunden?

Brezel: Neinnein, überhaupt nicht. Das Signifikante an Stereo Total ist ganz klar die Stimme von Francoise, wir sind stilistisch sofort einzuordnen. Es ist schon so, dass jede Platte eine andere Idee und ihre eigene Problemstellung hat. Es gibt immer einen Schwerpunkt, dieses Mal war es, dass wir nicht einverstanden sind mit der Durchtechnologisierung von Musik, die im Moment stattfindet. Das ist keine Zivilisations- oder Technikfeindlichkeit. Gute Ideen, gute Texte, ungewöhnliche Sachen, die man mit Instrumenten machen kann – das ist es, was mich an Musik interessiert. Alles, was mit Fleiß zu tun hat, ist mir egal. Wir haben dieses Mal mit dem Trick des „first take“ gearbeitet, wir haben also einmal eingespielt, mit Kassetten aufgenommen. Wir haben versucht, mit möglichst einfachen Mitteln Musik zu machen, aber nicht noch einfacher – Popmusik mit unpoppigen Mitteln. Trotzdem ist es keine Musik, die man vor 20 oder 30 Jahren hätte machen können, es ist schon Musik, die man so nur jetzt machen kann. Für mich ist das Popmusik, alles was wir machen. Popmusik, wie ich sie gerne im Radio hören würde.

Francoise: Das war ironisch gemeint, sie klingen nicht alle gleich. Es ist immer ein spezieller Sound, andere Themen, andere Atmosphäre. Nach drei Sekunden erkennt man eben, dass es Stereo Total ist, das finde ich nicht schlecht.

Dem Pop-Repertoire ist ein Titel eurer neuen Platte entnommen: Andy Warhol. Seid ihr Stars? Wollt ihr welche sein?

Francoise: Wahrscheinlich sind wir Starletten. Popstars in dem Sinne von Andy Warhol. Für ihn waren zum Beispiel abgedroschene Tunten, die einen auf Speed machen, alle Stars. In dem Sinne sind wir welche.

Brezel: Es ist nicht mein Ziel gewesen, jemals Star zu werden, sonst hätte ich ganz andere Musik gemacht. Das hatte ich gar nicht so sehr im Blickwinkel, ich hatte nicht mal möglichen Erfolg oder Misserfolg im Kopf, es ging mir um was ganz anderes.

mucbook: Im Kommentar zum Radiolied schreibt ihr „Es stellt dar, wie schlimm es ist Musiker zu sein. Aber wiederum ist das auch nicht sooo schlimm!“

Brezel: Oh je ja, das ist dieser gequälter Typ, der da zu Hause sitzt und dann das Lied schreibt. Das muss man in Anführungsstrichen lesen, das darf man nie ernst nehmen, diese lächerliche Idee aus dem 19. Jahrhundert vom feinsinnigen Genie, das sich gequält ein Wort nach dem anderen aus dem Finger saugt. Andererseits ist es genau so: Im Grunde versucht man sich weiterzuentwickeln, sich Neues auszudenken, dort weiterzudenken, wo es für andere gar nicht mehr nötig ist, sie den Fortschritt gar nicht mehr sehen. Komische Dialektik.

Francoise: Ich glaube schon immer noch daran.

Brezel: Ja, es ist irgendwie so. Man sitzt alleine zu Hause, überlegt sich irgendwas. Aber man muss sich fragen, woher die Inspiration kommt, man schafft sich da nicht irgendwas aus dem Nichts, sondern baut auf sehr vielen Sachen auf, die schon da sind. Ideen gehen durch einen hindurch. Wichtig ist, wie man mit ihnen umgeht, was man mit ihnen macht, wie man sie umwertet, verdreht, welches Gedankenspiel man anstellt.

mucbook: Es ist ja auch eine Frage der Inszenierung. Und die Grenze zwischen Star und Normalo ist schon eine, die gerade scharf gezogen wird.

Brezel: Da ist ja alles Ideologie, so viele Schichten von Manipulation, so viele kapitalistische Interessen, wenn da jemand im Fernsehen als Superpopstar präsentiert wird. Das sind ja nur noch Stars, mit Musik hat das nicht mehr unbedingt was zu tun.

Francoise: Oder mit Kunst. Im Moment entsteht da eine neue Form von Stars, das gab es früher nicht so. So Typen oder so Tanten wie Paris Hilton. Die machen eigentlich gar nichts, sind nicht kreativ, nur reich und schön und gehen auf allen Party aus. Das reicht aus, dass sie ein Star sind. Mmmh ich muss mich etwas wundern.

Brezel: Insofern sind wir keine Stars. Ich geh ja ganz normal einkaufen, ich…

Francoise: Ich kann trotzdem ein Kilo Kartoffeln einkaufen ohne Bodyguards und ohne Paparazzi hinter mir. Wenn ich ausgehe abends und Typen kommen, die ein Autogramm wollen, dann ist das ok, das stört mich nicht, geb’ ich ihnen eins. Wenn ich nicht möchte, dass man mich kennt, würde ich doch nicht auf die Bühne klettern.

mucbook: In einem früheren Interview habt ihr euch als Band bezeichnet, die „alle Grenzen abschaffen und sich für die Befreiung aller Frauen auf der ganzen Erde einsetzen möchte“. Macht ihr so eine Art Gleichstellungsmusik? Und wie kann Liebe, Romantik, Erotik in Zeiten der Auflösung von Geschlechterrollen überhaupt funktionieren? „Please be a man so that I can be a woman“, habe ich vor kurzem wo gelesen. Also doch nicht alle gleich werden?

Francoise: Es gibt immer noch ganz klare Grenzen. Für Mädchen ist einiges leichter geworden, weil viele von ihnen feministische Mütter haben, die die Arbeit für sie gemacht haben. Ich kann mich an Streits in der Uni erinnern – obwohl das mittlerweile bei mir schon länger her ist – da war es als Frau quasi unmöglich, den Mund aufzumachen, ohne dass sofort ein Superblödmacho widersprochen hat. Trotzdem ist es unmöglich, dass Frauen und Männer sich verstehen, das gibt’s ja gar nicht. Ich meine man kann’s versuchen. Zum Beispiel Brezel und ich, wir verstehen uns schon, einigermaßen, aber auch nicht immer. Weil es einfach nicht möglich ist, Frauen und Männer sind so unterschiedlich, das funktioniert nicht zusammen, das ist so eine Absurdität. Also neinnein, nicht alle gleich. Aber wenn sie alle sind wie Frauen, dann find ichs gut. Aber wenn sie alle sind wie Typen, dann finde ich es scheiße, wenn Du mich fragst. Typen sind aggressiver, bauen mehr Autounfälle und lachen die ganze Zeit nur rum. Bon, das Weibliche in der Welt gefällt mir besser als das, was männlich ist.

mucbook: Was ist denn ein cooles Mädchen?

Francoise: Ein cooles Mädchen? Eine, die macht, was sie will, die ein bisschen frech ist. Die keine Angst hat, aber trotzdem auch überlegt und guckt, was sie machen kann, nicht nur für sich selber. Was mich zum Beispiel total nervt, das sind diese Frauenzeitschriften, die total für die Katz sind. „Wie bin ich im Job erfolgreich?“ Tests wie „Bin ich eine Zicke?“ „Wie bin ich supersexy im Bett“ und „Wie werde ich noch dünner?“ Dieses Ideal von einer Frau, das da dargestellt wird, das ist so blöd, so unter aller Sau, dass ich es gar nicht lese, sonst regt mich das auf. Mülleimer aufmachen und rumms alle reinschmeißen. Die sind richtig doofe Scheiße, Petra, Brigitte und wie die heißen. Was mir auch nicht gefällt, ist, dass die überhaupt nichts mit Kultur zu tun haben – nach dem Motto „Wir schreiben für Frauen, also schreiben wir über ihre Taille, ihren Job, ihre Liebhaber, ihre Sexyness“.

mucbook: Brezel, was ist ein cooler Junge?

Francoise: Ja du!!

Brezel: Hm, das weiß ich gar nicht so genau, gute Frage, das weiß ich nicht. Für mich ist es immer einfacher, alles aufzuzählen, was ich total uncool finde.

Francoise: Und was übrig bleibt, das ist dann der coole Junge.

Brezel: Frauenzeitungen – das bedeutet ja, dass alles andere Männerzeitungen sind. Diese männliche Idee von Hierarchie, die die ganze Welt dominiert und es überhaupt keine Möglichkeit gibt, dem zu entkommen. Jedem Jungen wird eingebläut, diese anstrengende Rolle anzunehmen und mitzumachen. Was mir gefällt sind Leute, die es schaffen, diese Geschlechterrollen aufzubrechen, auf den Kopf zu stellen, sie zu karikieren, sich darüber lustig zu machen, sie zu zerstören, damit so zu spielen, dass es einem das Gehirn verdreht. Das finde ich cool, ja.

mucbook: Vor ein paar Jahren musste ich mir in einem ziemlich runtergerockten Kiosk mit ziemlich runtergerockten Männern darin ein Feuerzeug kaufen, auf dem sich eine nackte Frau räkelte. Es gab dort nur solche und ich musste es auch mit Absicht machen gegen diese Typen dort. Abends beim Ausgehen meinte dann ein Typ „verdammt, ihr Frauen seid cool, wenn ihr so was macht. Aber was soll ich als Mann denn heute noch machen, um cool zu sein?“ Hatte der das Gefühl, einem abgefahrenen Zug hinterherzusehen?

Brezel: Es gibt wahnsinnig viele Erscheinungen, Frauenbands, die wahnsinnig gut sind, tolle Literatur von Frauen, total aufregende Sachen, die da passieren. Trotzdem sind da seit circa 1969 Fragen, die noch immer nicht gelöst sind. Komische Diskrepanz. Es läuft doch immer auf Ungleichheit und ein Ausbeutungsverhältnis hinaus, solange es nicht genauso viele Politikerinnen wie Politiker, Spitzenmanagerinnen wie Spitzenmanager, Ministerinnen wie Minister gibt, 50:50 Prozent, alle gleich bezahlt. Das wäre die Richtung des Zuges, in die er erstmal fahren müsste, das wäre ein Gleichgewicht als Ausgangsbasis. Es ist aber auch nicht alles gut, was Frauen machen. Was mir gefällt, hängt nicht mit dem Geschlecht zusammen, manchmal lache ich über sexistische Witze von Typen. Das  ist dann so eine Hyperironie. Sich als Frau ein Pornofeuerzeug zu kaufen, das ist auch so eine Hyperironie.

mucbook: Seid ihr denn ‚politisch’?

Francoise: In unseren Liedern kommen immer ziemlich freche Tanten vor, die ich als lustige Feministinnen beschreiben würde. Auch wenn da nicht alle, die unter der Ich-Form reden, unbedingt Ich sind, lasse ich sie nie einen auf „Ich warte hier zu Hause und weine und mein Herz ist so schwer“ machen. Jammerlappen stell’ ich gar nicht dar.

Brezel: Ich hätte immer gedacht, wir sind in dem Sinne ne politische Band, indem wir immer bei kleinen Plattenfirmen sind, wir spielen auf der ganzen Welt, versuchen so unabhängig wir möglich unterwegs zu sein, einen Bogen um die Musikindustrie zu machen, möglichst die Kontrolle über das, was wir machen, zu behalten, ein faires Verhältnis zu denen zu haben, mit denen wir arbeiten, niemanden zu funktionalisieren oder auszubeuten, unsere T-Shirts nicht dort produzieren zu lassen, wo der Profit am größten ist, wir wollen faire Arbeitssituationen unterstützen. In dem Sinne haben wir ein politisches Bewusstsein. Aber neulich dachte ich, eigentlich bin ich überhaupt nicht politisch. Ich denke gar nicht in Kategorien wie „Wer ist denn gerade Umweltminister?“. Früher als Teenie habe ich mich total für Politik interessiert, habe als Autonomer in besetzten Häusern gelebt. Ich habe also schon eine Phase heftiger Politisierung gelebt. Aber auch wenn ich mich jetzt nicht mehr für Tagespolitik interessiere, gibt es trotzdem total viele Sachen, die einfach inakzeptabel sind.

mucbook: In euren Texten geht es um Mädchen, um Jungs. Welche Rolle spielt diese Verniedlichung? Geht es um das Bewahren einer kindlichen Neugierde, einer Unschuld? Oder auch währet den Anfängen: immer Amateur bleiben?

Francoise: Mir gefallen einfach die Wörter „Mädchen“, „Jungs“ besser, obwohl ich natürlich echt kein Mädchen mehr bin. Und obwohl ich weiß, dass „Mädchen“ hier häufig abfällig verstanden wird. Ich finde das nicht. Alles, was ich nicht will, ist so zu sein, wie diese typischen Erwachsenen, die alles schon kennen, alles schon gehört haben, zu allem was sagen können. Die diese wahnsinnig tote Auffassung haben mit kulturellen Sachen wie Büchern, Musik, Theater umzugehen. Wo es nur darum geht, alles einordnen zu können. Ich hab Erwachsene immer schon total zum Kotzen gefunden. Was die machen, ist, ihr Leben immer mehr zu reduzieren und anderen vorzuschreiben, wie man irgendwas tut. Ich hab immer versucht, so kindisch zu bleiben wie möglich. Früher dachte ich immer, ich will nie älter als 20 werden, die sind sowieso alles nur Arschlöcher.

Brezel: Auf dem Klo habe ich vorhin einen Satz gelesen, da musste ich total lachen: „To old to die young“.

mucbook: „Es zeigt auch, es sei womöglich möglich als Fantast und naiver Romantiker durchzukommen“, ist der Kommentar zum Radiolied. Das finde ich eine schöne Vorstellung.

Brezel: Ich meine wir wissen das ja nicht. Das kann ja alles auch ein Riesenirrtum sein. Da bräuchte man eine Zeitmaschine. So erkennt man vielleicht in einigen Jahren, dass das ein großer Fehler war, ich viele Chancen verspielt habe.  Aber ja, als Handlungsanweisung kann ich mir nur das, wie wir oder wie ich das mache, vorstellen. Manchmal denke ich mir schon, ich laufe wie ein Träumer durchs Leben, ich sollte mich lieber…

Francoise: … den harten Realitäten stellen…

Brezel: … ja, den harten Realitäten stellen. Ich sollte Verträge abschließen, mich um Facebook und Emailerneuerung kümmern, die richtigen Leute kennenlernen, Karriereplanung betreiben. Andererseits wiederum interessiert’s mich überhaupt nicht. Vielleicht ist das eine Nachlässigkeit. Vielleicht durchschaue ich irgendwann, dass es ein Fehler war. Vielleicht aber auch nicht. Wenn man sich den Autor von Radiolied anschaut, dann hat es zumindest in seinem Kosmos Sinn gemacht.

Francoise: So.

mucbook: Noch eine Frage : Seid ihr eigentlich zusammen, also ein Paar meine ich ?

Francoise, Brezel: Ja.

mucbook: Francoise, Brezel, merci baucoup pour l’interview.

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