tagebook der Kammerspiele

Streich das mal

Juliane Becker

Zusammen mit drei anderen Bloggern darf mucbook den Probenprozess von Exiles in den Münchner Kammerspielen begleiten – das Experiment startete gestern.

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Um halb zehn treffen wir uns mit Jeroen, dem Dramaturgen, in der Kantine. Er gibt uns einen Crashkurs zu James Joyce und umreißt die Thematik des Stückes. Neben den Parallelen zu Joyces Jahrhundertwerk Ulysses findet man in Exiles auch autobiographische Inhalte. Eine Skandalbeziehung, Eifersuchtsprobleme, schwindende Gefühle – Themen, mit denen sich jeder Erwachsene identifizieren kann. “Wir mussten viel wegstreichen”, erklärt Jeroen, “vieles war selbsterklärend und vorhersehbar”. Knapp 40 Seiten hat das überarbeitete Skript noch, im Original sind es etwa 160.

Sieben Wochen probt die Truppe um Regisseur Luk Perceval nun schon am einzigen Theaterstück des irischen Autors. Sieben Wochen, in denen sich offenbar einiges getan hat –  als wir Blogger dazustoßen, sind alle schon im Kostüm auf der Bühne. Letztere ist leer, bis auf einen Hund. Keinen echten zwar, das sah man zuletzt in Orpheus steigt herab, nun blickt uns ein riesiger Holzhund treu in die Augen.

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Perceval ist offenbar alles andere als ein exzentrischer Regisseur, der seine Arbeit bis zur Premiere unter Verschluss hält – Glück für uns. Ohne Umstände steigen die Schauspieler Kristof van Boven und Stephan Bissmeier in die Probe ein. Der Text sitzt, die Anzüge auch.

Man muss kritikfähig sein als Schauspieler, vielleicht mehr, als jeder andere. Kristof spielt sich in einer emotionalen Szene praktisch die Seele aus dem Leib, das sieht nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch wahnsinnig anstrengend aus. Luk sitzt in Reihe acht des Saals. “Ganz gut, Kristof. Mach gleich nochmal.”

Einer Probe beizuwohnen ist ein sehr unromantischer Akt. Wer sich gern im gedimmten Licht eines Theatersaals verliert, wer die Aufregung und das Geschnatter vor einer Aufführung genießt, wird sehr unsanft in die Realität katapultiert. Ein Schauspieler ist vor allem Handwerker, so scheint es, fähig, auch die intensivsten Emotionen hunderte Male abzuspulen. Ich würde davon sehr schnell sehr kaputt gehen, denke ich mir.

Außerdem ist es ein Trugschluss, dass der Regisseur bereits bei Probenbeginn ein genaues Bild davon hat, wie seine Inszenierung aussehen sollte. Mehr als einmal hören wir ein “Streich das mal” von Luk. Sätze werden ausradiert, Bewegungen korrigiert, Tonfall optimiert. Die Textarbeit ist intensiv. Zwischen den Szenen hocken alle auf der Bühne und diskutieren die einzelnen Aussagen der Figuren. Die Beschäftigung mit der zwischenmenschlichen und psychologischen Seite des Stückes wirkt außerordentlich genau, teilweise fühle ich mich, als würde ich gerade in der Uni sitzen. Korrektur: Der Schauspieler an sich ist ein außergewöhnlich nachdenklicher und besonnener Handwerker, der seine Emotionen nuanciert steuern kann. Ein bisschen wahnsinnig muss man für diesen Job ja schon sein.

Vier Stunden dauert die Probe, dazwischen gibt es fünfzehn Minuten Pause. Am Ende bin selbst ich als Zuschauer erschöpft – ein einfaches Stück ist das nicht gerade. Umso mehr Respekt habe ich vor allen Beteiligten. Leidenschaft ist wohl doch der beste Antrieb.

Heute sind es noch genau acht Tage bis zur Premiere.

Exiles von James Joyce, Regie Luk Perceval. Ab 19. Dezember in den Münchner Kammerspielen.