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Victim Blaming, Rammstein-Konzerte und warum man Betroffenen zuhören muss 

Klara Felixberger

Hinweis: Der folgende Text beinhaltet Themen wie sexualisierte Gewalt und Missbrauch.

Vier Tage lang füllten hunderttausende Menschen das Münchner Olympiastadion für die Rammstein-Europatour. An allen vier Tagen protestierten wiederum knapp hundert Personen gegen den Auftritt des Frontsängers Till Lindemann. Ihm wurde in der letzten Zeit schwerer Missbrauch junger Frauen vorgeworfen. So sehr Fans den Sänger feiern, so sehr werden die betroffenen Frauen verurteilt und des Lügens beschuldigt.
Victim Blaming – wenn die Schuld des Täters dem Opfer zugeschrieben wird – ist leider immer noch weit verbreitet und passiert auch jetzt wieder. Den Frauen wird vorgeworfen, sie hätten es doch wissen müssen oder dass sie dem Ruf der Band schaden. Die Schuld wird bei den Betroffenen gesucht – und das geschieht nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei Angehörigen, Ärzt*innen oder gesetzlichen Rechtsvertretungen.
„Warum hast du nicht einfach Nein gesagt oder bist gegangen?“ ist ein Satz, den die meisten Frauen schon einmal gehört haben. Victim Blaming kann das Leiden der Betroffenen noch zusätzlich verschlimmern und lässt sie immer mehr verstummen. Damit muss endlich Schluss sein. Es wird Zeit, dass Opfern Beistand geleistet und zugehört wird.

Was soll auf den Konzerten der Band passiert sein? – Eine Hintergrunderklärung

Laut Recherchen der SZ und des NDR soll es ein System geben, das Frauen in der „Row Zero“ bei Rammstein-Konzerten auswähle, um bei privaten After-Show-Partys Till Lindemann zu treffen und Zeuginnenberichten zufolge Alkohol oder Drogen mit ihm zu konsumieren und als eventuelle Sexualpartnerinnen des Sängers zu agieren. Neben den Medienberichten gehen Frauen selbst an die Öffentlichkeit und erzählen von ihren Erfahrungen, das mittlerweile millionenfach geklickte Video der YouTuberin Kayla Shyx fasst die Ausgangssituation gut zusammen, falls ihr euch näher zu den Hintergründen informieren wollt.

„Solidarität mit Betroffenen sexualisierter Gewalt“ – Demonstrierende erlebten Ignoranz und Verhalten, das Täter schützt

Die Konzerte in München hatten nun also einen bitteren Beigeschmack. Als Frau, die selbst auf einer der Demonstrationen unter der Motto “Solidarität mit Betroffenen sexualisierter Gewalt“ im Olympiapark war, war ich zunächst eins: verängstigt. Was erwartet mich dort? Sind die Rammstein-Fans wirklich so ignorant oder vielleicht sogar aggressiv? Fühle ich mich alleine überhaupt sicher und bereit?
Alleine diese Gedanken zeigen, was die Thematik für eine Schwere hat. Und trotzdem zeigten mehrere Fans Mittelfinger, machten Fotos, zogen blank und rissen Sprüche wie „Lutscht mir doch einen!“. Es ist ein ignorantes Verhalten, das mutmaßliche Täter schützt und dazu führt, dass sich zukünftige Opfer immer weniger trauen, laut zu werden. Eine Frau neben mir meinte, sie verliere bei dem Anblick den Glauben an die Menschheit. Man kann ihr zustimmen: Während der Demo spielte eine Soundanlage Erzählungen der betroffenen Frauen ab – anstatt kurz zuzuhören, liefen die allermeisten Konzertbesucher*innen kopfschüttelnd und lachend daran vorbei. 

Über Machtmissbrauch, Schuldzuweisung und ein bleibendes Unwetter

Man könnte denken, seit der #Metoo-Bewegung hätte sich der Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt geändert. Doch gerade in diesen Branchen, in denen es um Machtpositionen und sehr viel Geld geht, sei so etwas doch „normal“ – so hieß es auch seitens des Managements von Kayla Shyx, die auf einer der Aftershow-Partys war. Es ist erschreckend, wie viele Kommentare es unter verschiedenen Instagram Posts der Betroffenen Shelby Lynn und dem YouTube Video von Kayla Shyx gibt, die den Frauen Schuld an der Situation geben. „Was manche Weiber für Aufmerksamkeit machen“ oder „Denken die Mädchen, sie gehen auf ein Teekränzchen mit Till?“ sind nur zwei Beispiele. Das sind Messerstiche für alle, die selbst schon einmal betroffen waren oder Betroffene kennen. Es ist eine unglaubliche Überwindung, mit solchen Anschuldigungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Genau aus diesem Grund: Betroffene bekommen weder “Fame“ noch Geld, sondern ihnen wird gedroht und sie werden des Lügens beschuldigt. Und es macht müde, immer wieder dieselben Debatten führen zu müssen. Eine gute Nachricht gibt es: Mittlerweile ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Till Lindemann wegen des Verdachts auf Sexualdelikte.

Während eines der vier Rammstein-Konzerte in München kam es zu einem kurzen Gewitter, was glücklicherweise schnell vorüber war. Lindemann kommentierte die Vorwürfe in diesem Zuge mit den abschließenden Worten: „Wir hatten ein Riesenglück mit den angekündigten Unwettern. Glaubt mir, das andere wird auch vorbeiziehen“.
Ob das Thema rund um Rammstein so schnell vorbeiziehen wird, sei einmal dahingestellt – Fakt ist, dass es bei der Debatte lange nicht mehr nur um den Frontsänger geht, sondern um ein System inklusive Mitwissenden, das Situationen wie diese nicht verhindert, sondern immer wieder herbeiführt. Wir alle sollten lernen, die Schuld in diesem System bei Tätern zu suchen. Der erste Schritt ist es, solche Themen gezielt anzusprechen und darüber zu diskutieren.
Also traut euch, werdet laut und lasst euch nicht unterkriegen.


Beitragsbild: Unsplash/Ehimetalor Akhere Unuabona

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