Aktuell, Kultur

Was kommt nach dem Willkommen?

Über Geflüchtete wurde schon viel gesagt und geschrieben. Für Geflüchtete wurde auch vieles gemacht und vieles nicht gemacht. Aber was sagen die Flüchtlinge selbst, was machen sie oder was wollen sie machen? In der Halle der PLATFORM haben sich am 22. Juni die Kulturakteur_innen zusammengesetzt, die mit den Flüchtlingen neue Kultur schaffen (wollen). Ziel des Themenabends „Was kommt nach dem Willkommen?“ war, die Willkommenskultur der Münchner_innen kritisch zu hinterfragen.

Die Gäste waren sich einig, dass die Geflüchteten kurz nach dem Ankommen üblicherweise sehr glücklich und optimistisch sind. Aber was kommt danach? Wie kann man die Flüchtlinge in das kulturelle Leben einbeziehen? Wie verändert die Migration unser kulturelles Schaffen? Und schließlich: Wie sollte man diese neue Kultur definieren? Über diese und andere Fragen haben Gäste, die gemeinsam mit Flüchtlingen einige wundervolle Projekte gestalten, gemeinsam diskutiert. Wir von MUCBOOK haben da natürlich die Ohren gespitzt, weil wir erfahren wollten, was die Kulturszene für und mit Flüchtlingen tun kann.

Die PLATFORM ist ein Pilotprojekt der Stadt München und des Referats für Arbeit und Wirtschaft und will ganz wörtlich eine Plattform für Kulturakteur_innen bieten. Der Themenabend fängt mit einer Präsentationsrunde an.

Christine Umpfenbach und Suli Kurban starten mit ihrem Projekt „Arriving in Munich“. Dabei versuchen Filmemacher, Theaterregisseure, Journalisten, Fotografen u.a. dem langen Prozess des Ankommens nachzuspüren. Durch Filme, Interviews, Fotos oder Gedichte erzählen die Geflüchteten von ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit der Flucht und mit dem Ankommen in München. Die Autor_innen von “Arriving in Munich” bringen diese Geschichten auf eine Karte. Die Flüchtlinge finden sie meistens über Bekannte, da manche von ihnen selbst einen Migrationshintergrund haben oder manchmal auch über Flüchtlingsvereine.

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Die Zündfunk-Reporterin Kathrin Grünhoff macht mit „Messages of Refugees“ oder „Flüchtlingsbotschaften“ weiter – das erste Flüchtlingsradio Bayerns, wo die unbegleiteten, jungen Geflüchteten die Themen selbst aussuchen, recherchieren und die Sendung auch selbst gestalten. Selbstverständlich sollen manche Geschichten übersetzt werden. Das Motto der Radiosendung steht aber fest: nicht nur über, sondern auch mit Flüchtlingen berichten.

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Sarah Bomkapre © A.T. Birkenholz

Mareike Schemmerling und Sarah Bomkapre stellten zunächst ein ganz besonderes Filmfestival „Kino Asyl“ vor, das in diesem Jahr einen Sonderpreis der Kulturstaatsministerin erhielt. Das Festival wird von einem Team aus Flüchtlingen mit Unterstützung von Fachleuten gestaltet. Hier bekommen die jungen Geflüchteten eine Chance, ihre Kultur einem breiten Publikum vorzustellen, in dem sie Filme aus ihren Herkunftsländern zeigen. Die Filme sind unterschiedlich – es sei aber wichtig, das sie das Alltagsleben und die Kultur des jeweiligen Landes wiedergeben.

Alex Rühle erzählt von „Bellevue di Monaco“, das sich als ein sozialgenossenschaftliches Kultur- und Wohnprojekt für junge Flüchtlinge und Münchner_innen versteht. Das Ziel ist, eine offene Stadt München zu schaffen und die Flüchtlinge in die Mitte der Stadt zu bringen. In den Wohnhäusern von „Bellevue di Monaco“ werden Jugendliche mit und ohne Fluchthintergrund in ein selbstständiges Leben begleitet.

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Rania Mleihi © A.T. Birkenholz

Dramaturgin Rania Mleihi von den Münchner Kammerspielen war auch da und hat vom „OPEN BORDER ENSEMBLE“ berichtet. Im Rahmen dieses Projektes können die geflüchteten Künstler_innen ihren Beruf hier in München weiter ausüben. Viele von ihnen haben langjährige, praktische Erfahrung als Schauspieler_innen, Regisseur_innen, Tänzer_innen etc., dürfen aber hier nicht arbeiten, weil sie keine hier anerkannte Ausbildung haben. Dafür setzt sich das „OPEN BORDER ENSEMBLE“ ein, das mittlerweile mit 17 geflüchteten Künstler_innen arbeitet.

Schließlich erzählt der Modedesigner Miro Craemer von seinem gemeinsamen Projekt mit der Pinakothek der Moderne – „TOGETTHERE_fACTory“ und beweist, dass Mode hier ganz und gar nicht aus dem Kontext gerissen ist! Die Kleidung stellt er sich als ein identitätsstiftendes Element vor und die Mode als die gemeinsame Sprache der Menschen. Im März 2016 hat er mit dem Integrationsprojekt „TOGETTHERE“ angefangen. Die Regisseurin und Choreographin Klaudia Schmidt erarbeitete für die ca. 40 Teilnehmer aus Nigeria, Somalia, Kongo, Syrien und München Choreographien und Haltungen zum Thema “Klischee, Begegnung und Wandlung”. Am 19. Juni haben sie ihre Ergebnisse den 2000 Besuchern in der Pinakothek der Moderne gezeigt!

Der Podiumsdiskussion schließen sich zwei Berliner Künstler Paul Huf und Ralf Homann an. Paul Huf erzählt die Geschichte hinter seinem Projekt „You have to be as cool as Alain Delon“. Ein junger Jugoslawe antwortete so auf die Frage, welche Fähigkeiten man für die Flucht bräuchte, als Paul Huf als Jugendlicher aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland zusammen mit zwei Jugoslawen gereist ist. Nach ihrer Ankunft in Deutschland freuen sich die meisten Geflüchteten auf das neue Leben in einem neuen Land. Diese Begeisterung geht aber viel zu oft in eine Depression über. Dieses Projekt will den jungen Geflüchteten helfen, ihre Depressionen zu bekämpfen. In einem Fotostudio lernen sie die Grundlagen der Fotografie, bearbeiten die Fotos, drucken und montieren sie zusammen. Paul Huf organisiert  zudem regelmäßige Lauf-Events. Viele Studien zeigen nämlich, dass Langstreckenläufe bei Depressionen helfen können.

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Alex Rühle © A.T. Birkenholz

Durch diese und andere Projekten versuchen die Kulturakteur_innen, die Skepsis gegenüber Geflüchteten zu beseitigen und sie in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das größte Problem bleibt dennoch die Bezahlung, die selbstverständlich für die meisten Geflüchteten die erste Priorität ist. Aus gesetzlichen Gründen werden nur wenige Beteiligte bezahlt, was häufig dazu führt, dass die Flüchtlinge nur kurzfristig an diesen Projekten teilnehmen.

Ungelöst bleibt auch die Frage, wie man diese kulturellen Aktionen definieren und kommunizieren soll. Der bildende Künstler Ralf Homann lehnt Benennungen wie Kunst für Flüchtlinge ab – wir sollten auf solche Labels, ja, gar auf die Nationalitäten verzichten. Flüchtlinge müssen auf Augenhöhe behandelt werden, nicht weil sie Flüchtlinge sind, sondern es muss sich selbstverständlich ergeben. Aber ist unsere Gesellschaft schon in einem Zustand, in dem wir keine Quoten mehr brauchen und wo die Flüchtlinge genauso große Chancen haben wie alle andere?

Was kann die Kultur wirklich tun? Die Gäste des Themenabends meinen die Kultur sollte nicht über die Flüchtlinge reden, ohne ihnen zuzuhören. Und wir sollten auch nicht versuchen, unsere eigene Kultur den Geflüchteten überzustülpen, sondern versuchen, Kultur gemeinsam zu schaffen. Denn wie Paul Huf meint: die geflüchteten Künstler, sind mindestens so cool wie Alain Delon!


Fotografie: A.T. Birkenholz

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