Vernissage HauseRaus
Anzeige, tagebook von KulturRaum München

10 Wege für Teilhabe an Kultur in Zeiten von Corona

KulturRaum München

Abgesagte Veranstaltungen, Online-Streaming von Events, limitierte Besucher*innenzahl, fast keine Planbarkeit – das ist für die vielen Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, das neue Normal geworden.

Auch für unseren Verein, den KulturRaum München, hat das Virus unsere Arbeit von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Normalerweise sehen wir unsere Aufgabe darin, Menschen, die sich das nicht leisten können, zu Kulturbesuchen einzuladen. Die Karten erhalten wir von den Kulturveranstaltern als Spende. Wir sind quasi abhängig davon, dass es einen gut funktionierenden und florierenden Kultursektor mit geöffneten Theatern, Kinos und Konzerten gibt.

Aufgrund der nötigen Corona-Maßnahmen mussten auch wir – wie so viele andere – umdenken. Klar: Dass Theater und Konzertsäle schließen müssen oder nur wenige Besucher*innen aufnehmen, ist ein Problem für alle kulturinteressierten Menschen. Aber unsere KulturGäste sind schon ohne Pandemie häufig nicht auf der Sonnenseite des Lebens anzutreffen.

Wir haben uns daher in den letzten Monaten ordentlich angestrengt um Alternativen zu finden, wie wir unseren KulturGästen weiterhin Teilhabe an Kultur ermöglichen können oder sonst irgendwie das Leben leichter machen können. Hier unsere Liste an Handlungsmöglichkeiten und Aktionen, die wir uns in dieser Zeit ausgedacht haben:

In Kontakt bleiben und erreichbar sein

Wir kommunizieren mit unseren KulturGästen in der Regel per Telefon. Ehrenamtliche Vermittler*innen bieten in einem Telefongespräch Karten für Kulturveranstaltungen an. Auch in Zeiten von geschlossenen Kultureinrichtungen rufen unsere Vermittler*innen unsere Gäste an und erkundigen sich nach ihrem Wohlergehen. Die Gespräche drehen sich um unterschiedlichste Sorgen und Probleme in der Pandemie, z.B.: Was kann man unternehmen, wenn fast alles geschlossen ist? Wie umgehen mit Einsamkeit und Isolation? Die Freude der Menschen über eine freundliche Stimme am Telefon ist spürbar. Auch in Zeiten des Lockdowns ist unser Telefon zu den normalen Bürozeiten durchgehend besetzt. Und wenn die Kulturangebote knapp sind, bekommen unsere KulturGäste dennoch regelmäßig Post von uns: in ihrem Email-Fach oder Briefkasten. An den vielen Reaktionen der Menschen können wir sehen, wie wichtig dieser Kontakt ist.

Hilfestellungen im Alltag bieten

Bei unseren Telefongesprächen mit KulturGästen hat sich u.a. herausgestellt, dass viele Unterstützung im Umgang mit Computern, Smartphones und dem Internet benötigen. Und schon war ein neues Projekt geboren: Gemeinsam mit dem Medienzentrum München / PIXEL – Raum für Medien, Kultur und Partizipation, bieten wir seit Mai eine kostenlose Telefonberatung für Menschen an, die „digitale Hilfe“ benötigen. Zudem gibt es bei „PIXEL – Raum für Medien, Kultur“ am Gasteig jeden Dienstag von 12 Uhr bis 16 Uhr eine Sprechstunde für “Digitale Hilfe an der Theke”. Viele KulturGäste, insbesondere Senior*innen, besitzen gar kein Gerät, mit dem sie etwa gestreamte Kulturevents oder auch nur die Nachrichten verfolgen können. Unser Novemberbrief für KulturGäste enthielt daher auch den Hinweis, dass Bürger*innen über 60 mit geringem Einkommen bei der Stadt München 250 € Zuschuss für die Anschaffung eines Tablets oder Laptops beantragen können. An den vielen vielen Rückmeldungen der KulturGäste haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, solche Informationen weiterzugeben.

Auch vor Ort präsent bleiben

Mit unserem Vermittlungsangebot Kultur.vor.Ort gehen wir an Orte, an denen Kultur normalerweise nicht stattfindet. Im persönlichen Gespräch wollen wir die Menschen am Kulturangebot der Stadt beteiligen und Interesse am eigenständigen, kreativen Schaffen wecken. So sind wir regelmäßig an verschiedenen Lebensmittelausgabestellen der Münchner Tafel etwa in Sendling, Neuhausen oder im Westend präsent. Diese Aktivitäten vor Ort sind – mit ein paar Anpassungen – auch in Zeiten einer Pandemie möglich. Auch hier war die Devise: Flexibel sein und da anpacken, wo es gebraucht wird. Deshalb hat das Kultur.vor.Ort-Team im März spontan einen „Bag Shuttle Service“ organisiert, um den älteren oder körperlich eingeschränkten Tafel- und KulturGästen, die aus der ganzen Stadt zur zentralen Lebensmittelausgabe der Großmarkthalle kommen mussten, beim Tragen und Schleppen von Lebensmitteln zur U-Bahnhaltestelle zu helfen. Auch die Flyer mit den Tipps für kostenlose Kultur („Eintritt.Frei Tipps“), die den Menschen in den Warteschlangen unter Einhaltung der AHA-Regeln überreicht werden, wurden rasch auf digitale Angebote und Outdoor-Aktivitäten umgestellt.

Kreative Mitmachangebote pandemietauglich machen

Unter dem Dach von Kultur.vor.Ort sind in den letzten Jahren einige Mitmachangebote für Menschen entstanden, die selber gerne kreativ werden wollen. Diese Aktivitäten haben sich natürlich auch den neuen Umständen mit Kontaktbeschränkungen, Abstand und Alltagsmaske angepasst: Spezielle ToGo-Tüten des Schreib.Salons und von Werken.vor.Ort wurden an den verschiedenen Standorten verteilt. So konnten kleine kreative Sprach- und Schreibübungen oder Bastelanleitungen z.B. für „Fangbecher“ an Erwachsene und Kinder für zuhause weitergegeben werden. Später verlegten unsere künstlerischen Leitungen ihre Mitmach-Formate raus ins Freie. Auf dem Vorplatz unseres Bürogebäudes führten sie als Rahmenprogramm der HauseRaus-Ausstellung (dazu später mehr) Schreib-Workshops und Werken.vor.Ort durch.

Den Schritt ins Freie hat auch das Kultur.vor.Ort-Ensemble gemacht: Seit fast drei Jahren gibt es diesen Chor unter der Leitung von Andrea Pancur und Ian Chapman, der sich ursprünglich aus Kultur.vor.Ort an der Münchner Tafel entwickelte. Die Teilnehmer*innen des Musik.vor.Ort-Ensemble trafen sich vor der Pandemie wöchentlich im Danklsalon, um gemeinsam zu Singen, zu Musizieren und im Anschluss gesellig miteinander zu „tafeln“. Im Sommer haben sie mehrmals im Freien und mit Abstand an verschiedenen Orten geprobt und Auftritte, etwa bei unserem Lesefest absolviert. Zurzeit finden die Treffen wieder über Zoom statt… Auch die kids.community.music für Kinder zwischen 3 und 7 Jahren macht nach einer kurzen Unterbrechung im März / April mit Freiluft-Angeboten weiter. Seit Oktober waren die beiden Musiker*innen Chrisa Lazariotou & Abathar Kmash jeden Dienstag im Kreativquartier. Für die Pandemie-bedingte Pause im Dezember bekommen die Kinder jeweils ein Klang-/Raschel- Instrument und ein paar Lebkuchen.

Mehr Infos zu Kultur.vor.Ort in Zeiten von Corona hier.

Ausdrucksmöglichkeiten schaffen

Der Ausbruch der Corona-Pandemie mit all ihren Folgen bewegt viele Menschen zutiefst. Gefühle der Verunsicherung und Angst, Isolation und des Kontrollverlusts, aber auch der Hoffnung erfüllen die Menschen. Zugleich sind viele Formen der menschlichen Begegnung und des Austauschs gerade nicht möglich. Sich auszudrücken und kreativ zu werden kann in einer solchen Situation sehr hilfreich sein. Alle unsere KulturGäste sind eingeladen, uns ihre Gedanken oder auch „Rezensionen“ zu Kulturerlebnissen zu schicken. Und im Sommer haben wir eine Laien-Ausstellung mit „Tagebucheinträgen & Zwischenergebnissen aus der Quarantänezeit“ auf die Beine gestellt. In unserem weitläufigen Treppenhaus waren aktuelle Beiträge von ganz normalen Münchner*innen und einigen professionellen Künstler*innen zu sehen: Gedichte, Geschichten, Gedanken, Bilder, Tonspuren und Musik. Die Inspiration für den Titel der Ausstellung „HauseRaus“ entstammt Christian Morgensterns Gedicht „Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst“. Zum Abschluss im September veranstalteten wir an verschiedenen Stationen im Viertel und auf dem Vorplatz unseres Bürogebäudes ein Lesefest, an dem sich auch sehr viele der Laien-Künstler*innen beteiligten. Eine Teilnehmerin des Schreib.Salons schrieb uns danach: „Ich danke Euch für die Arbeit der Menschlichkeit die ich gestern mit einem kleinen Beitrag begleiten durfte. Es ist wunderbar, dass ihr so idealistisch, informativ und sozial den Menschen in diesen Zeiten zum Selbstausdruck eine Bühne gebt. Dass ihr Berührung entstehen lasst ohne die “Regeln” außer Acht zu lassen.“

Kultur in jeder Form zugänglicher machen

Diese Zeit der Pandemie hat uns gezeigt wie wichtig die Digitalisierung nicht nur für unsere Arbeitsbeziehungen ist. Vereinstreffen, Weihnachtsfeiern und eben auch Kulturveranstaltungen müssen neue Wege finden die Menschen zusammenzubringen. Das erfordert nicht nur die Schaffung der technischen Voraussetzungen, sondern auch Übung im Umgang mit digitalen Formaten und den Zugang zu Informationen. Vor allem bei letzterem unterstützen wir unsere KulturGäste nach Kräften: Im Sommer ging es vor allem darum Freiluft-Angebote wie den „Sommer in der Stadt“ oder die Sommerbühne im Olympiastadion bekannter zu machen. Spätestens seit Beginn der Herbstsaison konzentriert sich jedoch das kulturelle Geschehen im Digitalen. Daher hält das ganze KulturRaum Team täglich Ausschau nach den besten Radio-, TV- und Online-Angeboten aus dem Kulturbereich für alle Altersgruppen. Vom Live-Stream aus der bayerischen Staatsoper bis zum Theater-Podcast des Resi, vom Online-Jodelkurs bis zur Arte Dokumentation über die Entstehung der Schrift: unsere Vermittler*innen am Telefon und vor Ort erinnern die Menschen an das reichhaltige Angebot und ermuntern dazu sich auch ohne Präsenzveranstaltungen Zeit zu nehmen für Kultur. Unerlässlich dabei sind allerdings ein Internetzugang und ein Gerät sowie das Wissen zum Umgang. Hier nehmen wir unsere Aufgabe als Ansprechpartner*in für unsere KulturGäste war und helfen ihnen die richtige Stelle zu finden: zum Beispiel die „Digitale Hilfe“ oder die städtischen und sozialen Einrichtungen, die bei der Anschaffung von Geräten Hilfe und finanzielle Unterstützung bieten (siehe oben). Allen KulturGästen, die die technische Hürde genommen haben, können wir in der Weihnachtszeit eine besondere Freude machen: Die “Weihnachtsgschicht” von unserer Schirmpatin Amelie Diana und Andi Bittl gibt es dieses Jahr als Online-Stream für daheim! Und der Vorteil bei Streaming ist: die Plätze sind nicht begrenzt.

Kultur mobil machen und zu den Menschen bringen

Unsere Erfahrung des Sommers und beginnenden Herbstes: Man kann Kultur auch pandemie-gerecht zu den Menschen an ungewöhnliche Orte bringen. Weil Kulturbesuche für soziale Einrichtungen, die Kinder betreuen, kaum möglich waren, haben wir im Sommer das Theater zu den KulturKindern gebracht. Zum Einen hat das Münchner Theater für Kinder mit seinem mobilen Kindertheater und dem Stück “Oh wie schön ist Panama!” auch bei fünf unserer SozialPartner-Einrichtungen Station gemacht. Zum anderen haben die Theater(Spiel)Welten ihre Stücke und Workshops der kostenlosen Sommerbühne für Kinder und Jugendliche auch an drei exklusiven Nachmittagen in soziale Einrichtungen aus unserem Netzwerk gebracht. Auch bei Kultur.vor.Ort an den verschiedenen Tafel-Standorten gibt es laufend Live-Auftritte: Im Westend ist es das Gesangsduo Andreas Bittl und Anna Veit, gelegentlich unterstützt von besonderen Gästen wie Titus Waldenfels oder durch die australische Opernsängerin Valda Wilson, die jede Woche die Wartezeit der Tafel- und KulturGäste mit ihrem Programm verkürzen. Am Standort Großmarkthalle sind es insgesamt 10 Konzerte von unterschiedlichsten Musiker*innen und Ensembles aus dem Bereich Neue Volksmusik, Jazz, Klassik und so weiter. Eine Wohltat für die geplagten Kulturschaffenden und das ausgehungerte Publikum.

Noch mehr Kultur zu den Menschen bringen wo Pandemie-Auflagen es erlauben

Derzeit probieren wir auch noch etwas anderes aus. Statt nur in soziale Einrichtungen und Tafel-Standorte bringen wir Kultur neuerdings auch in Schulen. Für November und Dezember haben wir uns eine besondere Lesereihe ausgedacht: Der Journalist und Kinderbuchautor Alex Rühle macht an vier Schulen in München mit seinem Buch “Zippel, das wirklich wahre Schlossgespenst” Station. Kinder im Alter von 6-12 können für ein paar Momente wieder einmal live und in Farbe in ein Buchvergnügen eintauchen. “Ich habe meine Drittklässler schon so lange nicht mehr so viel und lange lachen gehört!” das war die Reaktion einer glücklichen Sozialpädagogin während der Lesung in der Grundschule am Ravensburger Ring. Wir wollen in diese Richtung auf jeden Fall weitergehen und probieren welche Angebote unter den geltenden Auflagen möglich sind.

Probier doch mal die gute alte Post

Eine weitere Art Kultur mobil zu machen ist für uns momentan die altmodische Post ins Haus: Die KulturGäste, die keine e-mails empfangen können, haben wir im Frühsommer mit einer Postkarte überrascht und im November mit einem Brief mit vielen Tipps und Anregungen für diese schwierige Zeit. Weitere Mailings werden sicher folgen. Auch durch zahlreiche Bücherspenden (Neuerscheinungen für Kinder und Erwachsene), gespendete DVDs und CDs können wir derzeit vielen unserer KulturGästen und KulturKindern eine Kulturlieferung nach Hause machen. Jetzt, da gerade Senior*innen viel zu Hause sind, ist eine kleine Leseüberraschung für viele sehr willkommen. Und wir freuen uns auch über Rückmeldungen wie diese: „Nach langer Vorfreude hat mich das Buch jetzt erreicht. Die Post war so nett und hat das beschädigte Kuvert mit einer Klarsichthülle umschlossen. Ich habe mich sehr gefreut und danke Ihnen ganz herzlich! Ihnen allen, die so viel Positives erreichen, wünsche ich eine besinnliche Adventszeit! Ihr mehrt die Liebe in der Welt!“ Für die KulturKinder verschicken wir Kreativpäckchen von PA Spielkultur – garantiert besser als jede amazon Lieferung!

Weitersagen: Die Stadt kostet keinen Eintritt!

Auch der Eintritt.Frei Kalender, in dem normalerweise kostenlose Kulturveranstaltungen gesammelt werden, hat sich den neuen Umständen angepasst. In der Rubrik „Entdecke die Stadt“ zeigen wir dass es auch abseits von Bühnen, Museen oder Leinwänden einiges an Kunst und Kultur in München zu erleben gibt und machen Vorschläge für Entdeckungsreisen in der eigenen Stadt. Demnächst übrigens auch als gedruckte Beilage in der Gäste-Post. Außerdem sammeln wir ständig neue Tipps aus dem großen und vielseitigen Angebot an Podcasts, Livestreams, Online-Konzerten oder digitalen Ausstellungen.

Kultur – ein knappes Gut?

Trotz aller Zuversicht: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den gesamten privatwirtschaftlichen und öffentlich geförderten Kulturbetrieb sind heftig. Es ist daher zu befürchten, dass Kultur zu einem knappen Gut wird, das noch mehr als vorher unter dem Rechtfertigungszwang der Wirtschaftlichkeit steht. Wenige, die es sich leisten können, werden den Zugang erhalten. Auf der Strecke bleibt dann die Vielfalt und die Teilhabegerechtigkeit. Damit werden und wollen wir als KulturRaum München uns nicht abfinden. Wir haben da schon ein paar Ideen…(to be continued)

Übrigens: Wer in der Weihnachtszeit etwas für kulturelle Teilhabe tun möchte und zugleich Münchner Kulturschaffende direkt unterstützen möchte, kann das mit einer Spende am virtuellen KulturWunschBaum von KulturRaum München tun.

Text: Sophie Marshall


Beitragsbild: © Dimitri Davies, Fotostudio Belichtungswert

Fotos: Presse KulturRaum, Magdalena Schoen, Dimitri Davies, Fotostudio Belichtungswert,

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