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„Die Leute halten hier mehr zusammen“ – Roger Rekless über Wohnen in Neuperlach

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Für viele ist Neuperlach nur groß, grau und hässlich. Insgesamt wohnen hier allerdings die meisten Münchner, ungefähr die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Wie also lebt es sich in diesem Stadtteil? Wir waren spazieren mit einem, für den Neuperlach das absolute Wunschviertel ist: David Mayonga aka Roger Rekless.

Zwei Männer schlagen aufeinander ein.

Die Sonne steht schon fast im Zenit, obwohl es erst kurz nach zehn ist. Auch heute hat es schon beinahe 30 Grad. Der eine weicht zurück und wischt sich mit den tätowierten Armen übers Gesicht. Schweiß tropft auf den roten Tartan-Boden. Der andere lässt ihm kaum einen Moment zum Durchschnaufen, sondern geht gleich wieder in die Offensive.

Er justiert noch einmal seinen Handschuh, räuspert sich  – dann ist der Bann gebrochen, denn die beiden brechen in lautes Gelächter aus. Es sind David Mayonga aka Roger Rekless und sein Freund Max. Seitdem sie sich vor ein paar Jahren beim Brazilian Jiu-Jitsu kennenlernten, treffen sie sich nun regelmäßig zum Boxen. Wenn man sie so beim Training beobachtet, wirken sie bedrohlich, wie solche, um die man lieber einen großen Bogen macht, seine Schritte beschleunigt, den Blick senkt und hofft, dass sie einen nicht bemerkt haben.

„In Wirklichkeit sind wir aber zwei voll nette Kerle, die hier ein bisschen Spaß haben“, grinst David und lockert seine Boxpratzen. Er ist studierter Pädagoge, Rapper, Moderator und der größte Fan von seiner Frau und seinem Hund Biggie. Sein Freund Max ist ein liebenswürdiger Nerd, der im Comicladen arbeitet.

An diesem Tag Mitte August führt uns David durch sein Neuperlach und zeigt uns Orte, die für ihn eine besondere Bedeutung haben, mit denen er Erinnerungen verknüpft. Sein persönlicher Einblick in ein Viertel, das oft als hässlich und als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird.

Wir beginnen unsere Tour auf dem Tartan-Platz, denn der steht symbolisch für so vieles in Neuperlach: Er war einmal als etwas Bestimmtes geplant, das dann nicht zu Ende gedacht wurde – und deshalb von den Neuperlachern anders genutzt wird, wie beispielsweise als Trainingsplatz zum Boxen.

Gut geplant, aber nicht zu Ende gebracht

In den 60er-Jahren war Neuperlach die Antwort auf ein Thema, das uns auch heute in München sehr beschäftigt: die Wohnungsnot. 23.000 neue Wohnungen wurden auf die grüne Wiese neben Altperlach gebaut – vor allem in Form von Hochhäusern. Eine große Anzahl an Sozialwohnungen mit familienfreundlichen Schnitten sollte dafür sorgen, dass Menschen aus allen sozialen Schichten hier ein Zuhause finden können.

Von vorne bis hinten durchgeplant, sollte der Stadtteil als Satellitenstadt den Menschen alles bieten, was sie zum guten Leben brauchen: eine Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufs- und Sportmöglichkeiten, kulturelles Angebot. Umgesetzt davon wurde nur wenig, die meisten kulturellen Einrichtungen wurden am Ende gestrichen, das Zentrum des Stadtteils nicht wirklich ausgebaut.

„Dadurch, dass dann viel nicht durchgezogen wurde, hattest du ein Viertel, wo du nicht wirklich was machen konntest. Du konntest dort leben, aber du musstest dir deine Lebenswelt irgendwo selbst erschaffen“, fasst David zusammen, wie das Neuperlach der Anfangsjahre aussah, während er uns gekonnt durch das Labyrinth aus Häuserschluchten führt. Für ihn erklärt das ganz gut, wie es vor allem in den 80ern und 90ern zu so viel Kriminalität kommen konnte: „Damals hätte ich auch keinen Bock gehabt hier zu leben.“

Inzwischen hat sich viel geändert, es gibt beispielsweise seit ein paar Jahren ein Kulturzentrum, ein kleines Künstlerzentrum mit Ateliers und auch die Kriminalität ist zurückgegangen. Geblieben ist vor allem eins: der Ruf als sozialer Brennpunkt, mit dem die Leute einen hohen Anteil an Migranten, Drogenverkäufern und Problemen mit brennenden Autos assoziieren. „Das Gute am schlechten Ruf Neuperlachs ist, dass die Mieten nicht so hochgehen.“ Das könnte sich in Zukunft allerdings ändern, da bei vielen Wohnungen die soziale Bindung abläuft. Sie können dann von den Eigentümern renoviert und zu deutlich teureren Preisen vermietet werden, wie es schon an so vielen Orten in München passiert ist.

Hinter der Fassade

Während die Sonne weiter unerbittlich vom Himmel brennt, sind wir am Marx-Zentrum angekommen. In einem Flachbau, der von ringförmig angeordneten Hochhäusern umgeben ist, finden sich einige Geschäfte, wie ein Textildiscounter und ein türkischer Supermarkt. „Hier im Zentrum werden oft Dokus gedreht, wenn Bilder für einen sozialen Brennpunkt gebraucht werden“, erklärt David und zeigt auf die umliegenden Fassaden, die mit dunkeln Wandpaletten versehen sind. Im hellen Sonnenlicht scheinen sie allerdings gar nicht so trist, wie man sich das für eine angeblich so prekäre Gegend vorstellt.

Wenn man mit David spricht, geht es viel um dieses Thema: Dass Leute und Orte anders wirken, als sie es tatsächlich sind. Wir sitzen auf Bänken an der Wiese vor seinem Block und teilen die Wassermelone, die er eben im türkischen Supermarkt erstanden hat. „Es wird immer dieser Stereotyp bedient, dass aus Hochhäusern Kriminelle kommen. Für mich bedeuten sie etwas anderes, denn ich verbinde mit ihnen ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis. Die Leute halten hier gefühlt mehr zusammen, als in Reihenhäusern. Außerdem ist es komplett gemischt hier und ich finde es toll, dass es meist keine Rolle spielt, woher du kommst.“

Er zieht seine Cap tiefer in den Nacken und hat wie immer entweder ein Lachen, einen Spruch oder eine Geschichte auf den Lippen. Doch man merkt, dass ihm dieses Thema sehr wichtig ist. „Man hat immer mit denselben Leuten zu tun. Wenn da zum Beispiel jemand ist, von dem du denkst: Oh, der ist groß, tätowiert und böse, dann siehst du ihn im nächsten Moment, wie er liebevoll mit einem Kind umgeht, und merkst: Ach so, so kann er also auch sein! Dann siehst du ihn noch mal und entdeckst wieder eine andere Dimension von ihm. Ich glaube, das hilft in so einem Viertel.“

Das gemeinschaftliche Leben in Hochhäusern ist allerdings nicht das einzige, was Neuperlach für David zu dem Viertel macht, in dem er sich bis jetzt am wohlsten gefühlt hat.

„Ich find diese Kombi aus urban und ländlich so super. In 10 Minuten bin ich mit meinem Hund mitten im Truderinger Forst.“ Auch im Viertel selbst gibt es viele Grünflächen und Bäume. Zum Abschluss drehen wir mit David und Biggie noch eine Runde in seinem Lieblingspark, der nur eine Straße von seiner Wohnung entfernt ist.

Hier lässt es sich definitiv gut leben – nicht nur mit Hund.

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Text: Annemarie Rencken, Fotos: Denis Pernath

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