Aktuell, Kolumnen

Ach, München

Susann Westhoff

Ach, mein liebes München. Wie hast du mir den Kopf verdreht. Seit Wochen habe ich nun schon diesen Moment herbeigesehnt, an dem wir beide uns endlich wiedersehen. Habe die Tage gezählt, nein, die Stunden sogar, weil ich dich so sehr vermisst habe. Weißt du noch, wie du mich damals verführt hast mit deinem unwiderstehlichen Charme, den Museen für 1 Euro an Sonntagen, der Kultur, den Cafés und den riesigen Brezn? Ich erinnere mich als wäre es erst gestern gewesen. Frühstücken am Gärtnerplatz und dann flanieren in der Maximilianstraße, zünftige bayrische Blasmusik am Chinesischen Turm im Englischen Garten und dieser unvergessliche Glanz der Lichter am Odeonsplatz nachts um zwei. Für mich stand fest, ich kann und will nicht mehr länger ohne dich.

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Aus ist’s mit der Träumerei

Doch nun bin ich hier und was machst du mit mir? Beweist Mut zur Hässlichkeit. Zeigst mir dein wahres Gesicht und die Abgründe deiner Stadt. Aus ist’s mit der Träumerei. Das dachte ich zumindest, nur, um mich im nächsten Moment doch wieder Hals über Kopf in dich zu verlieben. Ich kann dir gar nicht böse sein. Was ist das nun für eine Liaison, die uns zwei verbindet? Bist du nur ein heißer Sommerflirt oder doch etwa die Liebe meines Lebens? München, nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Vielleicht beruht unsere Liebe am Ende doch allein auf Einseitigkeit. Warum solltest du auch ein Landei wie mich lieben. Du kannst uns jungen Dingern gut den Kopf verdrehen. Neben deiner ganzen aufgeschlossenen und lebhaften jungen Art bleibst du halt doch durch und durch bayrisch.

Ich habe mir als Neu-Münchnerin diese Mentalität einmal genauer erklären lassen: Einen Rheinländer gewinne ich ohne großes Bemühen schnell für mich und erlebe einen unvergleichlich lebhaften und feuchtfröhlichen Abend. Doch am nächsten Morgen hat er meinen Namen schon wieder vergessen. Das Herz eines Münchners jedoch, das muss ich mir mit Ausdauer und viel Mühe verdienen. Es kostet Zeit und Nerven, doch am Ende werde ich nicht enttäuscht. Einmal erobert, hält er mir die Treue. Und das ein Leben lang.

Ich will Amore!

Aber wie gelingt mir dieses scheinbar aussichtslose Vorhaben, als Fremde in München Anschluss zu finden? Überall lese ich ein unausgesprochenes Du kommst hier nicht rein in den Gesichtern deiner Stadt. Ich will das Phänomen deiner Bussi-Bussi Gesellschaft, der Grüppchenbildung und charakteristischen Arroganz, nach dem jeder Münchner zu Leben scheint, durchbrechen. Und das geht nur, wenn ich dich mit deinen eigenen Waffen schlage. Arrogant, selbstbewusst und unwiderstehlich. Mittendrin und doch schnell frustriert kämpfe ich nun also um deine Liebe. Liebe in Form von lauen Sommernächten, kaltem Eisbachwasser, Grillen am Isarufer, Konzerten unter freiem Himmel und durchzechten Nächten auf dem Radl. Die Suche nach einem Gefühl von Geborgensein, Leben und Unendlichkeit.

Und so schlage ich mich frustriert durch stickige U-Bahnhöfe, zahle utopische Preise für einen einfachen Kaffee und lasse geringschätzende Blicke der Schickeria über mich ergehen. Auffällig übrigens: Er scheint wirklich zu existieren, der unausgesprochene Codex deiner Stadt, dem ich mich erst noch anpassen muss. Ich will dein Auswahlverfahren bestehen und vielleicht gelingt es dir ja, mich zu einer Frau zu machen, die München würdig ist. Drei Monate bleiben mir, um im Rhythmus deines Herzschlages leichtfüßig tanzen zu lernen.

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 Münchens,deine kalte Schulter

Ist doch so, empfangen hast du mich erst einmal kühl und grau. Lost in Munich, ohne Plan, hilflos und allein. Hauptbahnhof, Rush Hour, es ist schwül. Dreck liegt auf den Straßen, die Supermarkt-Regale sind leer und dieser undefinierbare Geruch aus abgestandenem Bier und nassem Asphalt ist allgegenwärtig. Irgendwer grölt, aber ich kann kein Wort verstehen. Ein Typ. Betrunkene Teenies vielleicht. Erster Tag. Okay, hier um den Bahnhof kann ich vielleicht nicht mehr erwarten. Weitergehen. Ich lasse mich nicht so schnell abschrecken. Zweiter Tag. Grau, nass, kalt. Perfekt. Als ahnungsloser Tourist starte ich am Marienplatz, wo auch sonst, und bereue meine Entscheidung sofort. Ich zwänge mich an einem Rudel mit Selfiesticks bewaffneter Japaner vorbei und suche vergeblich einen Ausweg. Zu voll, zu laut, zu chaotisch. Nein, München, nicht hier und nicht so. Wo bist du nur?

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Es stimmt schon, du hast was Wunderschönes. Vorbei am alten Glanz von Frauen- und Theatinerkirche, Oper und Residenz lasse ich mich von den Massen bis zum Odeonsplatz treiben. Ich bewundere deine Anmut und Grazie. Was mir jedoch fehlt, sind Seele und Herz. Das ist alles bloß Fassade. Ein traditionelles und ewiges Gewand, hübsch aufbereitet für das tägliche Blitzlichtgewitter. Und das 365 Tage im Jahr. Du spielst deine Rolle gut, aber ich wünsche mir so sehr den Blick hinter deine starre Maske. So ziemlich alles, was ich in diesen ersten Stunden von dir zu sehen bekomme, ist das, was du jedem zeigst, der zu dir kommt. Klischees und Tradition. Irgendwie sowas. Eine Schallplatte mit Sprung, ein Oldie, den man zwar immer wieder gerne anhört, der aber nicht mehr wirklich vom Hocker reißt. Unermüdlich hetzte (ja, HETZE) ich durch deine zahlreichen Straßen und Viertel, kann die Liste der Sehenswürdigkeiten im Sekundentakt abarbeiten und wäre sogar soweit, nach 48 Stunden touristischem Overkill wieder die Heimreise anzutreten. Alles gesehen, aber nichts gespürt. Habe ich jedenfalls so gedacht.

Neuverliebt und ewig treu

Aber da warst du wieder und verstehst es doch noch, mich nicht zu enttäuschen. Im Gegenteil. Vergessen die Schrecken und der Stress der ersten Tage durch das Geschenk deiner unvergleichlichen Münchenmomente. Es verschlägt mir den Atem, wenn mich deine Schönheit mit allen Sinnen packt. Plätze in der Sommersonne nach Feierabend in Glockenbach, der Duft von frischem Kaffee der unzähligen Cafés in der Maxvorstadt, das Scheppern der Tram auf dem Weg nach Haidhausen, das kühle Nass der Isar an blanken Füßen und der Geschmack zünftiger bayrischer Hausmannskost in deinen Biergärten. Eben dann weiß ich wieder, warum ich hier bin und warum ich mich für dich entschieden habe. Ja, München, ich gebe dir noch eine Chance. Wie könnte ich auch nicht. Du hast mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick meinen mag. Ich will nicht nur hier sein, sondern auch hier leben.

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Jeden Tag mache ich mich aufs Neue auf – zu dir, mit dir, wegen dir. Immer sicherer bewege ich mich und setze einen Fuß vor den anderen. Die schnellste Verbindung zum Sendlinger Tor, die Stoßzeiten am Marienplatz, oder die aktuellsten News aus der SZ gehören mittlerweile zu meinem Repertoire, als hätte ich mich nie mit etwas anderem beschäftigt. Du treibst mich an, München. Du willst entdeckt und erobert werden und ich mache mich auf die Suche nach den kleinen Dingen, die dich so wunderbar machen. Definitiv mehr als Touri-Hotspots und Lederhosen-Klischees. Nicht nur Oktoberfest, Dackel, Haxn und Co. Deine Vielfalt, deine Subkultur, deine Facetten und Geheimnisse. Was für Münchner, die echten oder solche die es werden wollen. Ich reihe mich gerne ein, denn du bist es wert.
Ich bin jetzt genau vier Tage, 25 Minuten und sieben Sekunden hier. Ich dachte vielleicht, dich schnell zu verstehen, aber da habe ich weit gefehlt. Ach München, wart’s ab, am Ende willst du mein Herz nie wieder hergeben.


Beitragsbild: Mohammad Saifullah via Unsplash

Fotos: © Susann Westhoff

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2 Comments
  • Gabriele Westhoff
    Posted at 06:29h, 10 Juni

    Ganz toll!

  • Jutta Hutmacher
    Posted at 10:50h, 15 Juni

    Das greift ans Herz! Wahnsinns Beitrag

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