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Brutalismus in München – eine architektonische Fahrradtour
München ist bekannt für seine pittoresken Gebäude, großzügigen Straßenzüge, Plätze und Parks. Aber München kann auch anders und hat durchaus das ein oder andere Schmankerl aus dem Brutalismus zu bieten. Brutalistische Gebäude sind vielleicht nicht jedermanns Sache, dennoch werden sie spannender, umso genauer man hinschaut und die Geschichten hinter den Gebäuden erfährt.
Der Baustil Brutalismus basiert im übrigen nicht auf dem Wort „brutal“, wie man meinen könnte, sondern kommt von dem französischen Wort „béton brut“ was so viel heißt, wie roher Beton und einfach nur das Hauptbaumaterial der Gebäude beschreibt. Brutalistisch wurde vor allem zwischen 1960 und 1980 gebaut, dann geriet der Baustil sehr in Verruf – weil man ihn als hässlich und dreckig empfand. Heute werden die Bauwerke zum Teil, nachdem in den 90ern etliche abgerissen oder viel mehr weg gesprengt wurden, unter Denkmalschutz gestellt, denn es ist unbestreitbar: die Betonriesen haben doch eine besondere Ästhetik – ganz egal, ob man sie mag, oder nicht.
Wir nehmen euch mit, auf eine Fahrradtour und zeigen euch einige der eindrucksvollsten brutalistischen Gebäude Münchens. Die Tour ist 24 km lang, das entspricht ungefähr einer reinen Fahrtzeit von 1,5 Stunden. Man sollte sich also schon einen halben Tag Zeit nehmen, um Gebäude und Umgebungen auf sich wirken lassen zu können. Die Route kann auch hier auf googlemaps angeschaut und abgefahren werden. Diese Tour ist im Folgenden nur mit knappen Beschreibungen und interessanten Details versehen, denn die Gebäude sprechen für sich und entfalten ihren ganzen Charme vor allem bei einer Besichtigung vor Ort.
1) St. Mauritius in Moosach
Wir starten in der Templestrasse 5 in Moosach. Hier steht das Kirchenzentrum der St. Mauritiusgemeinde welches im Jahr 1966 gebaut wurde. Die Besichtigung des quadratischen Innenraums, welcher nur auf vier Pfeilern steht, lohnt sich. Tageslicht fällt durch Kuppelfenster in neun der Deckenkassetten über dem Altarbereich. Die Architekten Herbert Groethuysen, Detlef Schreiber und Gernot Sachsse beschreiben den Bau selber mit „Knapp und durchschaubar, versehen mit dem Glanz edler Einfachheit.“ – wenn man sich etwas an das Grau und die kantigen Formen gewöhnt hat, trifft das durchaus zu.
2) Olympisches Dorf
Das Olympische Dorf war ein städtebauliches Experiment und wurde für die Olympischen Spiele 1972 errichtet. Nicht umsonst trägt es den Namen Dorf, denn es sollte damals schon als „Stadt in der Stadt“ funktionieren. So gibt es auch Schulen, Kindergärten, Geschäfte und Kirchen auf dem Gelände. Neben eigenen Terrassen am privaten Wohnraum, wurde schon während der Planung über Spielflächen für Kinder nachgedacht und das zieht bis heute viele Familien in den Komplex. Zudem ist das Dorf autofrei gestaltet und mit einer eigenen U-Bahn Station angebunden.
Mittlerweile gilt die Anlage mit 3.500 Wohneinheiten und 6.000 Bewohner*innen als einer der beliebtesten Wohngebiete in München und 90% der Umzüge finden innerhalb der Anlage statt. Sicher auch deshalb steht sie mittlerweile unter Denkmalschutz.
Bewohner – Eigentümer und Mieter –, die zwischen fünf und 35 Jahre im Olympiadorf leben, haben eine Bürgergesellschaft Olywelt eG gegründet, die sich dafür einsetzt, das die Nahversorgungszone attraktiv in Angebot und Optik ist und so die Lebensqualität im Olympiadorf, der Wert der Immobilien gesichert und gesteigert wird und „dörfliche Kundenbeziehungen“ entstehen können.
Ein Schlenker zu den Bungalows am Rand des Olympiaparks, in welchen damals ausschließlich die Sportlerinnen untergebracht wurden und nun Student*innen leben, lohnt sich!
3) Der Fuchsbau in Schwabing-Freimann
In der Ungererstrasse 19 findet man den Fuchsbau, welcher 1972 nach den Plänen des Architekten Wilhelm Steinel gebaut wurde. Es handelt sich um ein Wohn- und Geschäftshaus. Die 239 Wohnungen besitzen 15 unterschiedliche Grundrissvarianten: von 24 – 125 Quadratmetern. Fast alle Wohnungen haben dank der Gebäudearme und der gestaffelten Terrassenstruktur einen privaten Außenbereich. Für die Orientierung im Gebäude wurden sogar eigene Logos entworfen. Die verdichtete Wohnform mit vielen großzügigen Gemeinschaftsflächen und doch recht überschaubaren Wohnflächen entspricht dem Streben der Zeit um 1960 nach Urbanität, Individualität und gesellschaftlicher Vielfalt – und ist heute wieder ganz aktuell. Im Fuchsbau wurde 1991 die 197. Episode von Derrick gedreht, zudem gab es bis in die 90er Jahre noch ein Kino, ein Schwimmbad auf dem Dach und ein Theater.
4) “Orpheus und Eurydike” in Schwabing
In der Ungererstrasse 65 in Schwabing findet man die Wohnanlage „Orpheus und Eurydike“ mit eigener Tankstelle und einer Gaststätte. Diese Plattenbauten mit 13 bzw. 9 Stockwerken wurden 1971-73 errichtet und bestehen aus zwei Komplexen mit insgesamt 148 Wohnungen – deshalb auch der Name. In der griechischen Sage waren die Liebenden Orpheus und Eurydike dazu verdammt, auf ewig voneinander getrennt zu bleiben. Entworfen wurden die Anlage, die seit 2018 unter Denkmalschutz steht, von den Architekten Jürgen Freiherr von Gagern, Peter Ludwig und Udo von der Mühlen, die zudem auch die Amalienpassage in der Maxvorstadt entwarfen. Eine Besonderheit des Komplexes ist die farbliche Gestaltung, für die die Frau des Architekten Jürgen Freiherr von Gagern verantwortlich war. Er selber sagte einmal im einem Interview: „Meine Frau hat das Farbkonzept entworfen. Wir haben die Farben an die Tankstelle angepasst. Die war schon vorher da und hatte ein Anrecht auf das Grundstück“
5) Das Pharaohaus in Oberföhring
Eines der bekanntesten Gebäude des Brutalismus in München, und der große Bruder des Fuchsbaus steht in Oberföhring: das Pharaohaus. Das pyramidenförmige Terrassenwohngebäude wurde 1974 von dem Architekt Helmut Bayer gebaut und wird im Volksmund auch als „Wohnmaschine“ bezeichnet. 18 Stockwerke hat das Gebäude und bietet Platz für 400 Wohnungen. Aber auch Läden und Gastronomie gehören zu dem Ensemble. Wie auch im Olympia Dorf sind alle Wohnungen entweder mit Terrassen oder Balkonen ausgestattet. Ein Blick in den Eingangsbereich lohnt sich, denn hier wird das „ägyptische Motto“ noch mal aufgegriffen. Wie auch im Olympia Dorf ist der Ruf schlechter als die tatsächliche Zufriedenheit der Bewohner*innen, das mag auch daran liegen, das in den 90er Jahren in 14 Wohnungen Drogen gehandelt wurden und es einen illegalen Escort-Service gab. Auch als Filmkulisse diente das Haus schon des Öfteren wie zum Beispiel für den Polizeiruf „Sumpfgebiete“ der im November 2016 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde.
6) Das Hügelhaus in Bogenhausen
Wir setzten unsere Tour in der Titurelstraße 5 fort und schauen und das Hügelhaus in Bogenhausen genauer an. Das Hügelhaus wurde zwischen 1968 und 1970 für Wissenschaftler*innen und Gastdozent*innen der Münchner Hochschulen nach Plänen von Walter Ebert errichtet. Die „Stiftung Volkswagenwerk für Wissenschaft und Forschung, Hannover“ gab das Gebäude damals in Auftrag. Jede der 59 Wohnungen hat durch die versetzte, pyramidenähnliche Bauweise einen großzügigen Balkon.
Im Obergeschoss waren wohl mal mehrere Clubräume geplant – ob sich die wohl nochmal aktivieren ließen!?
7) Das Arabellahaus im Arabellapark
Wer sich dieses Gebäude noch anschauen will, sollte das in den kommenden Jahren tun, denn es soll 2026 abgerissen werden. Die Substanz ist nicht sanierungsfähig und das Gebäude hatte wohl nicht genug Fans, um unter Denkmalschutz gestellt zu werden. Großteile des Gebäudes wurden im Zuge der Olympischen Spiele 1972 zu einem Hotel umgebaut, das Sheraton München Arabellapark Hotel, welches als größtes Tagungshotel Süddeutschlands gilt.
Im Keller des Gebäudes befand sich zudem ein Tonstudio in welchem The Rolling Stones, Led Zeppelin, Queen, Freddie Mercury, Electric Light Orchestra und Deep Purple Alben aufnahmen. Man munkelt, dass hier wohl auch die ein oder andere legendäre Party gefeiert wurde.
8) Der Gasteig
Wir beenden unsere Tour am Gasteig, welcher im Jahr 1984 eröffnet wurde und das größte Kulturzentrum Europas ist. Von den Münchner*innen nicht besonders gerne gemocht, erscheint der Gasteig nach so viel Beton mit seinem Backstein fast lieblich und könnte auch schon der Architektur der Postmoderne zugeordnet werden. Aber wer einen Blick in das Gebäude wagt, wird schnell feststellen, dass auch hier viel Beton verbaut wurde und Parallelen zu den bisher besichtigten Gebäuden zu finden sind: Gemeinschaftsbereiche, großzügige Außenflächen und viele Sichtachsen an scharfen Kanten. Das Gebäude am Isarhochufer ist zwar verpönt aber beherbergt mit mehreren großen Konzertsälen, der Münchner Stadtbibliothek, der Hochschule für Musik und Theater und der Volkshochschule viele gesellschaftlich relevante Institutionen der Stadt. Zudem ist es einer der wenigen innerstädtischen Orte in München, an dem man sich in Warmen aufhalten kann, ohne etwas konsumieren zu müssen. Eine persönliche Randbemerkung sei abschließen erlaubt: Nach zwei Jahren Studium in diesem Gebäude ist es mir sehr ans Herz gewachsen. Auch wenn der große Komponist Leonard Bernstein nach seinem Auftritt in das Gästebuch schrieb „Burn it!“ , weil ihm die Akustik so sehr missfiel, so bleibt es für mich in München einer der buntesten, durchmischtesten Orte der Stadt.
Bilder © Felix Berge