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Höher, Schneller, Weiter? – Was wir von Soziologin Johanna Hopp über gerechte Mobilität lernen können (Interview)

[Das folgende Interview ist Teil der MUCBOOK Printausgabe #18 zum Thema „Mobilität“. Hier gibt’s das ganze Heft zu kaufen.]

Unterwegs zu sein – so scheint es – gehört zum glücklichen Leben dazu. Am Rande von Nachhaltigkeitsdebatten wird aber auch die schädliche Seite unseres dauermobilen Lebensstils deutlich. Die ganze Welt in Bewegung: Das würde nicht funktionieren. Aber wer darf dann? Mobilitätsforscherin Johanna Hopp* von MCube** (Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen) beschäftigt sich mit gerechter Mobilität. Warum auch Immobilität ein Privileg sein kann und wo wir fairere Lösungen finden müssen, hat sie uns im Interview verraten.

MUCBOOK: Mobilität und Gerechtigkeit, zwei Begriffe die auf den ersten Blick scheinbar wenig miteinander zu tun haben. Johanna, du beschäftigst dich in deiner Promotion damit. Was heißt Mobilitätsgerechtigkeit für dich?  

Wie so oft in der Wissenschaft gibt es nicht die eine Definition. Um sich dem Begriff anzunähern, finde ich es hilfreich, sich zu fragen: Wer kann sich eigentlich wie, wo und zu welchen Konditionen fortbewegen? Oft hängen körperliche Merkmale und der Zugang zu Transportmitteln eng zusammen. Man merkt dann, dass Geschlecht, Hautfarbe, Alter oder auch psychische oder physische Erkrankungen maßgeblich beeinflussen, wie sich Menschen fortbewegen. Auch Geld spielt eine Rolle. Wer kann sich welche Art von Fortbewegung finanziell oder zeitlich leisten? Forschung kann solche Diskriminierungen sichtbar machen und zu einer gerechteren Gestaltung von Mobilität beitragen.

Hinzu kommt: Unsere Mobilitätssysteme basieren maßgeblich auf dem klimaschädlichen Abbau fossiler Rohstoffe und auf der Ausbeutung von Mensch und Umwelt im globalen Süden. Wir müssen uns auch der Frage stellen, wer eigentlich die Kosten für unser umweltschädliches Mobilitätsverhalten im globalen Norden trägt.

Wie „gerecht“ bewegen wir Deutschen uns denn? 

Angesichts der Klimakrise ist unser Mobilitätssystem global betrachtet enorm ungerecht. Die CO2-Emissionen durch Pkw-Verkehr in Deutschland sind in den vergangenen Jahren – trotz Trend zur Elektrifizierung – gestiegen. Das ist einerseits ungerecht gegenüber nachfolgenden Generationen, die mit den immensen schädlichen Folgen menschlicher Einwirkung auf dem Planeten leben müssen. Es ist aber auch ungerecht gegenüber den Menschen, die jetzt schon mit Umweltveränderungen wie Meeresspiegelanstieg oder Starkwetterereignissen zu kämpfen haben.

So gesehen wird Mobilität zum Problem…  

Mobilität wird häufig gleichgesetzt mit Teilhabe, mit Freiheit und Autonomie, mit etwas genuin Positivem. Wir bewegen uns in kapitalistischen Gesellschaften jedoch nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“. Das hat seine Konsequenzen, die verschiedene Menschen unterschiedlich stark zu spüren bekommen. Die Sinnfrage, wozu wir uns bewegen und was wir damit anstreben, wird dabei viel zu selten gestellt.

Man könnte überlegen, wie ein Zusammenleben aussieht, das nicht von Hypermobilität und Beschleunigung geprägt ist.

Das sind philosophische und gesellschaftspolitische Fragen, die in meinen Augen fundamental sind, um zu entscheiden, wie die Zukunft der Mobilität aussehen soll. Leider kommen sie in öffentlichen Debatten zu kurz. Dabei kann Mobilität definitiv auch zur Last werden.

Kannst du hierfür ein Beispiel geben?

Ein Beispiel ist das Pendeln: Studien zeigen, dass lange Pendelzeiten, insbesondere im Pkw, häufig als belastend empfunden werden. In Deutschland sind besonders Menschen mit geringem Einkommen von langen Pendelzeiten betroffen.

Ein anderes Beispiel zeigt sich am Hamburger Hauptbahnhof. In der Bahnhofshalle läuft seit Jahren klassische Musik, um drogenkonsumierenden Menschen den Aufenthalt dort so unangenehm wie möglich zu machen und sie so zur „Mobilität“ zu bewegen. Die subtile Botschaft lautet: Ihr seid hier nicht willkommen. Das sind zwei Beispiele, anhand derer wir sehen, dass Mobilität nicht immer gleich Freiheit bedeutet. Daran knüpft sich die Frage der Souveränität: Wer entscheidet darüber, wie sich Menschen bewegen können oder sogar müssen? Selbstbestimmt zu entscheiden, wie groß mein Mobilitätsradius ist und beispielsweise an einem Ort fest bleiben und soziale Beziehungen aufbauen zu können, kann ein großes Privileg sein. Denn es heißt, dass ich in einem begrenzten Radius das, was ich als gutes Leben verstehe, realisieren kann – ganz ohne übermäßig mobil sein zu müssen.

Du lebst seit einem halben Jahr in München: Wie erlebst du die Situation hier als neu Zugezogene?  

Ich habe vorher in Köln gelebt, wo die Radwege katastrophal sind. Das nehme ich hier in München schon als viel besser wahr. Aber es gibt auch hier Luft nach oben. München hat mit dem beschlossenen Altstadt-Radlring beispielsweise Zusagen gemacht, die noch nicht eingelöst wurden. Zudem dreht sich in München vieles ums Auto. Das finde ich auffällig. Mein erster „richtiger“ Münchenbesuch fand letztes Jahr zur IAA statt – eigentlich nur, um mir die Stadt anzuschauen und zu entscheiden, ob ich herziehen möchte.

Das war natürlich ein Ausnahmezustand, aber es irritiert mich dennoch, wie stark das Auto insbesondere auch als Statussymbol im Stadtzentrum Raum einnimmt.

Wo werden soziale Ungerechtigkeiten in München sichtbar?

Eines unserer Forschungsprojekte, die wir im Rahmen von MCube durchführen, ist in Berg am Laim. In einem sehr diversen Wohngebiet rund um den Piusplatz sind es insbesondere Frauen, die das Fahrradfahren nicht beherrschen und es nun durch eine Nachbarschaftsinitiative erlernen können. Das zeigt: Die Forderungen nach Bikesharing und mehr Radverkehr – als nachhaltige Fortbewegungsmittel – bedeuten für diese Frauen etwas ganz anderes als für den gut trainierten mittelalten Mann, der morgens ins Büro radelt. Hier zeigt sich, dass es unerlässlich ist, neue und vermeintlich nachhaltige Mobilitätslösungen in der Praxis von allen Seiten aus zu betrachten und Fragen der sozialen Gerechtigkeit grundlegend mitzudenken.

Können wir als Einzelpersonen etwas zu einer gerechteren Mobilität beitragen?  

Ich glaube, es hilft nicht, die persönlichen und strukturellen Ebenen gegeneinander auszuspielen. Wir enden dann im Fingerzeig-Spiel und das lässt die neoliberale, aber in meinen Augen unzuträgliche Geschichte wahr werden, dass das Individuum für die Weltrettung verantwortlich ist – und zwar am besten noch durch „bessere“ Konsumentscheidungen. 

Aber trotzdem trägt jeder Einzelne von uns doch eine Mitverantwortung?

Klar, jeder Meter, den ich nicht-motorisiert zurücklege, spart reale Emissionen. Auch in Bezug auf Diskriminierungen kann ich als Individuum etwas beitragen. Etwa, indem ich mich mit Fragen von Rassismus, Sexismus, Ableismus (die Diskriminierung von Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen; Anm. d. Red.) oder Klassismus auseinandersetze. Indem ich auf dem Schirm habe, dass Menschen sich in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel unsicher fühlen könnten aufgrund ihrer Herkunft oder Identität. Wichtig ist aber auch, Allianzen zu bilden, sich in sozialen Bewegungen zu engagieren und dann auch Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft in die Verantwortung zu nehmen.

Was brauchen wir, damit München in Zukunft gerechter wird?

Wir müssen Utopien wagen – und das auch in einer bildlichen Form.

Es gibt zum Beispiel dieses Video vom BUND Naturschutz über den „Munich Central Park“ auf der Sonnenstraße. Ein Video-Künstler hat für diese zentrale Münchner Straße Bilder geschaffen, die zeigen, wie sie aussieht, wenn wir den Autoverkehr auf je eine Spur begrenzen. Wenn wir Freiflächen schaffen und Begegnungsräume entstehen lassen, die nicht kommerziell sind. Ich glaube, wir sollten uns öfter solche Bilder vor Augen holen, um zu sehen, was möglich wäre – sie geben Antrieb für reale Veränderung.

…das komplette Interview liest du in unserer aktuellen MUCBOOK Ausgabe zum Thema „München mobil“. Noch mehr freuen wir uns, wenn du dich für unser Member-Probe-Abo entscheidest – mit allen Vorteilen unseres Member-Clubs und 30 Tage Probezeit.

Interview: Barbara Lersch; Illustration: The Scissorhands; Bilder vom Interview: Sebastian Preiss


* Wer ist Johanna Hopp?

Johanna Hopp arbeitet seit Dezember 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Innovationsforschung am Department of Science, Technology and Society der TU München. Im Rahmen ihrer Promotion setzt sie sich als Teil des Münchner Clusters für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen (MCube) mit Fragen von Mobilitätsgerechtigkeit und sozial-ökologischer Transformation auseinander. Zuvor hat sie Kulturwissenschaften in Lüneburg sowie Umwelt-Humanwissenschaften in Oxford studiert, wo sie ihre Masterarbeit zu Geschlechterfragen beim Trampen schrieb.“

** Was ist M-Cube?

* Mit dem MCube-Projekt (Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen) ist München Standort eines großen Forschungsprojekts zum Thema Mobilität der Zukunft. Es umfasst ein regionales Netzwerk von Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Öffentlicher Hand und Gesellschaft. Geforscht wird in verschiedenen Teilprojekten zu den Herausforderungen unseres Mobilitätsverhaltens – an der TU München zum Thema Mobilitätsgerechtigkeit.