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Nerds aus der Asche: So war der Atomic Café Relaunch!

Text: Nils Ketterer

Dass das Atomic Café in Form einer Partyreihe wieder eröffnet, ist eine kleine Nachtleben-Sensation. Wie feiert man weiter neun Jahre nach der Schließung? Unser Autor war vor Ort und denkt an seine Zeit im Kultladen zurück.

Ich war wirklich nie die coolste Platte im Laden, aber im Atomic Café war das plötzlich anders. Meine Freunde und ich, wir waren nie die Fußballkapitäne, nie die Cheerleader, wir waren ein bisschen zu nerdy für all das. Aber hier drinnen kannten wir die Djs und die tausend Indiebands, die aufgelegt wurden und auftraten. Wir kamen immer sofort rein, wir shakten hands, gaben Bussis, bekamen Umarmungen – plötzlich waren wir die Kings. Die Kings of the Nerds.

Irgendwas mit Lärmbelästigung

Das Atomic war ein… ein Vibe, würde man heute sagen. Hinter der massiven Tür mit der grossen Beule drin, fand man Brittwochs die engsten Hosen der Stadt. Die coolsten Bands des ganzen Landes. Grüne Leggins, Lederjacken, Sonnenbrillen, Flanel und Glitzer, Streifen, Pünktchen, Blümchen. Alle wollten aussehen wie Pete Doherty und Kate Moss, bevor das alles den Bach runter ging und er überall Heroin rumgespritzt hat. Bisschen Pogo, bisschen Weltromantik. Bisschen Rock, bisschen punk. Bisschen cringe auch. Haare vorm Gesicht, Haare auf den Schultern. Haare wie Vorhänge vor Stirnen. Überall waren Haare, das weiß ich noch.

2014 war plötzlich Schluss. Irgendwas mit Lärmbelästigung. Irgendwas mit einem Lacoste-Store. Die Indie-Bubble war plötzlich auch vorbei und verpuffte in der Techno Bubble. Das Atomic Café wanderte ins Münchner Stadtmuseum. Und jetzt? Blieb uns wohl oder übel nichts anderes übrig, als doch irgendwie langsam erwachsen zu werden. An Karrieren zu arbeiten. Familien zu gründen. Vernünftige Entscheidungen zu treffen halt.

Eine vernünftige Entscheidung war es wahrscheinlich nicht, an ~diesem Freitag~ 9 Jahre nach dem Closing in der Schlange vor dem Atomic Café Relaunch zu stehen. ~21 Uhr~, da hab ich normalerweise schon Zähne geputzt. Meine Freunde von damals waren alle nicht da. Die Schlange zu lang. Die Arbeit zu hart. Der Weg zu weit. Aber ich bin einfach ein Nostalgie-Junkie. Da musste ich jetzt durch. Den Stempel zu bekommen war viel einfacher als früher. Ich hielt einfach meine Karte an das Gerät, ein Pieps und ich war drin. Früher hatte mir den Stempel noch immer irgendwer abgeleckt und draufgedrückt oder mit einem Edding nachgemalt oder von einer CD runterkopiert, während wir vom 1,49€ Rose von Plus sippten, den wir im Zierbusch des Luxus-Hotels die Straße runter versteckt hatten.

Platten auch auf den Hinterköpfen

Ich weiß nicht, was ich drinnen erwartet hatte, aber klar, fünfzehn Jahre waren vergangen – das geht an keinem Indie-Gesicht spurlos vorbei. Von den vielen Haaren von damals war keine Spur. Die Indie-Girls von früher tragen jetzt kurze Mama-Haarschnitte. Die Indie-Boys von früher haben oft einfach gar keine Haare mehr. Platten drehten auf den Tellern. Platten auch auf den Hinterköpfen. Die Lederjacken der Tanzenden waren an ein paar Stellen verdächtig ausgebeult, als würde da vor jeder zweiten Brust ein Babyphone versteckt. Aus den Ohren blitzten mich kleine weiße Ohrenstöpsel an. Ich selber hatte auch ein bisschen Klopapier drin. Richtig RocknRoll! Aber bidde nicht so laut.

Irgendjemand hatte die Veranstaltung auf Instagram mal scherzeshalber als große Ü-40 Party angepriesen. Das würde dann auch das Dutzend herumstreunernde extrem fortgeschrittene Semester erklären, denen ich immer mal wieder über den Weg lief. Die waren zwar sehr gut drauf, aber vom Atomic Café hatten die noch nie irgendwas gehört. Das hatten sie gemein mit ein paar GenZ-Gästen, die wahrscheinlich wirklich noch nicht mal auf der Welt waren, als ich das erste Mal hier auf der Tanzfläche eine Frau gefragt habe, ob wir uns jetzt ein Taxi nehmen. Aber das sind gefährliche Gedanken. Lieber nicht.

Nun gut, ein paar klassische Indie-Looks waren auch da: Flohmarktbrillen, ein paar Streifenshirts. Ein paar verrauchte Blicke, als hätte jemand noch Großes vor mit dieser Nacht. Sie spielen Libertines. Irgendwer knutscht auf der Tanzfläche zu Don’t look back into the Sun. Indie-Knutschen ist einfach ein anderes Knutschen. Und zusammen mit den DJs und der Nebelmaschine und dem Tequila und dem roten Licht hat mich das alles ganz schön zurückgeworfen.

17 Bier später…

Nach 17 Bier, so wie es auch damals üblich war, sah das alles schon etwas wilder aus, etwas grungier. War das etwa ein bisschen Pogo? Wohl eher Erwachsenen-Pogo, der geht ungefähr so: Man stupst sich ein bisschen an, *aber bitte Vorsicht! auf die Knie, wir wollten am nächsten Wochenende nämlich noch mit Hans und Luzi eine Gravel-Tour machen nach Spitzing raus*, sagen Leute, die wahrscheinlich Phillip und Franzi heißen und wenn einem einer auf die Füße tritt, dann ist Anzeige aber erstmal raus.

Ich werde hier nicht erwähnen, wie ich zwischendrin in bester Atomic-Arroganz das Gesicht verzogen habe, als sie Mr. Brightside gespielt haben. Hat sich komisch angefühlt. Wahrscheinlich weil das Lied über die letzten zehn Jahre wohl zur Hymne der Priviledged White Kids geworden ist. Wahrscheinlich waren wir aber auch genau das. Dann kam auch noch Sex on Fire. Irgendwie muss man ja die Leute abholen. Was zum Mitsingen halt, ne. Am besten gleich noch Wonderwall hinterher!

Naja, war schnell vergessen. Dafür haben sie dann My little Brother gespielt. Banquet. Can’t stand me now. A-Punk. Young Blood. When the Sun goes down. Let’s dance to Joy Division. Lovecats. Kids. Und echt noch ein paar Kracher, mit schönen Northern Soul Interludes wie der Ssssssnake. Das Atomic Cafe war wieder auferstanden, wie ein Nerd aus der Asche.

Etwas hat gefehlt…

Ja, ich stand da ~um 4 Uhr morgens~ auf dieser Tanzfläche und hab’s gefühlt. Aber irgendwas hat nicht gestimmt. War’s vielleicht die Glasfront vom Gasteig, durch die man immer wie ein betrunkener Goldfisch angeguckt wurde? Oder dass ein Bier drölfzehn Euro gekostet hat? Oder dass niemand Foundations aufgelegt hat oder Close to me oder Please Please Please oder 1234? Ich glaube am Ende waren es meine Leute, die gefehlt haben. Die betrunkenen Umarmungen auf der Tanzfläche. Das Leuchten in den Augen, dass wir das ganze Leben noch vor uns hatten. Das Kleben an verschwitzten Wänden, die Lippen ganz nah beieinander. Die atomare Verschmelzung von mehreren Seelen zu lauter Musik. Oder es war einfach die Erkenntnis, dass ich wohl doch der einzige bin, der bis heute noch nicht erwachsen geworden ist. Vielleicht ist das ja auch etwas Gutes.

Nächster Anpfiff

Auf jeden Fall gibt es jetzt heute Abend wieder die Chance mal nicht erwachsen sein zu müssen: Im Live Evil am Gasteig.

Tut euch die Spotify-Rip Atomic Cafe Playlist rein und zieht euch die engste Hose an, die ihr finden könnt!

Bilder: Nils Ketterer

1Comment
  • Roland
    Posted at 21:19h, 14 Oktober

    ein bier kost vier, nicht drölfzehn 😉 is nich das P1…

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