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Aus Kunst wird Strom: Die Dance-Performance „BLACKOUTS“ entdeckt den Mensch als Kraftwerk

Im Rahmen des rodeo Theaterfestivals 2024 wird das Stück „Blackouts“ noch zweimal aufgeführt. Die Vorstellung am Mittwoch, 09.10., im PATHOS Theater ist sogar kostenlos. Das Interview hier wurde 2023 anlässlich der Uraufführung geführt. Eine zweite Vorstellung des Happenings musste damals aufgrund starken Schneefalls und der Einsturzgefahr der alten Location abgesagt werden.

Seit 2017 entführt das Kollektiv “Service Not Included” sein Publikum in eine Welt irgendwo zwischen Kunst, Theater und Sozialexperiment. Auch im neuen Stück „BLACKOUTS“ werden die Besucher*innen Teil einer Performance mit über 30 Darsteller*innen.

Bei dem Stück soll aber nicht nur Kunst und Begegnung, sondern auch Strom entstehen. Warum? Das hat uns Marie Jaksch, künstlerische Leiterin, im Interview verraten.

Hi Marie, wer ist eigentlich „service not included“ und was sollten wir über euch wissen?

„service not included“ ist ein Performance-Kollektiv, das wir 2017 gegründet haben. Seitdem sind wir auf der Suche nach neuen Formen und Formaten, mit denen wir soziokulturelle Fragestellungen mit ästhetischer Erfahrung und einer Kultur der Streitbarkeit verschmelzen lassen können. Das heißt wir entwickeln Räume, in denen die Zuschauer*innen sich selbst verhalten, diskutieren, und das Geschehen mitgestalten können, sollen und müssen.

Dafür adaptieren wir meist öffentliche Räume und nutzen die performativen Regeln dieser Orte als Ausgangspunkt der Publikumsbegegnung. Wir machen ein Angebot, den Zuschauenden ist es überlassen, was sie aus diesem machen – den eigenverantwortlichen Handlungspielraum jeder einzelnen Person herauszufordern und so groß wie möglich zu gestalten ist dabei unser Ziel. Wir beanspruchen also keine Deutungshoheit über die Themen, die wir verhandeln, viel mehr ist es uns wichtig, die aktive Auseinandersetzung und Diskussion während unserer Performances zu evozieren.

Wir entwickeln Räume, in denen die Zuschauer*innen sich selbst verhalten, diskutieren, und das Geschehen mitgestalten können, sollen und müssen.

Wir, das sind die Künstlerin Marie Jaksch, die Regisseurin Lotti Oeken und der Autor Joscha Faralisch. Die Suche nach und Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen und Komplizen ist in dieser Art von Projekten unabdingbar, geht es uns doch um eine wirkliche Adaption der performativen Strategien der Orte, die wir für unsere Performances re-kreieren, und nicht um eine einfache „Simulation“. In unserer letzten Arbeit „Happy Meal“ zum Beispiel luden wir das Publikum zum Essen ein und untersuchten verschiedene Formen von Intimität, Fürsorge und Abhängigkeit.

Was habt ihr bei BLACKOUTS vor?

Die Performance BLACKOUTS entwirft die Idee eines menschlichen Kraftwerks und stellt sich den gesellschaftlichen Fragen, die aus diesem Konzept resultieren: Wenn menschliche kinetische Energie zur Energiegewinnung genutzt werden kann — wie verändert sich dadurch unser (Selbst-)Verständnis im Umgang mit unserem Körper? Ordnet sich der Mensch auf diese Weise gleichwertig in einen „natürlichen“ Energiekreislauf ein und überkommt somit dem selbst konstruierten Dualismus Mensch-Natur? Oder entspinnt sich nur ein neuer Kreislauf der Ausbeutung und Ausgrenzung: Wer wird für die Stromerzeugung herangezogen? Welche Körper sind nach diesem Prinzip verwertbar, welche nicht? Kollektivität wird der Kapitalisierung menschlicher Körper gegenüberstellt. So entsteht eine immersive Performance, die dem Publikum die Möglichkeit gibt, einen Diskurs über den Nutzen und Verbrauch von Energien mitzugestalten.

Wie wird das Publikum einbezogen?

Jede:r Besucher:in erhält einen Bewegungszähler und wird somit Teil des menschlichen Kraftwerks, welches Schritt für Schritt immer wieder neue Level erreicht. Dabei treffen Superheld:innen auf Bodybuilder:innen, Cowboys auf schwangere Poledancerinnen und eine Line-Dance-Gruppe auf einen Headbanging-Chor. Am Ende bleibt nur die Frage, wer hier eigentlich wen antreibt und ob Tränen die krisensicherste Währung sind?

Wie lange habt ihr an dem Projekt gearbeitet?

Die ursprüngliche Idee zu dieser Arbeit hatten wir bereits vor einigen Jahren. 2020 haben wir uns das erste Mal mit dem Konzept des „Menschlichen Kraftwerks“ beschäftigt und überlegt, wie sich dieses in eine performative Arbeit übersetzen lassen würde. Seitdem durchlief das Konzept verschiedene Stadien und nahm immer wieder neue Gestalt an, bis wir uns vor circa einem Jahr dazu entschieden, eine immersive Lichtinstallation mit Tanz zu bespielen. Damit begann die tiefere Recherche, im Februar zum Beispiel veranstalteten wir bereits ein Try Out zu dem Thema in Form eines performativen Essens im PATHOS München. Einige von den damaligen Bildern und Versuchen werden auch jetzt in den Aufführungen zu sehen sein. Für die intensive Proben- und Vorbereitungsphase hatten wir jetzt einen Monat Zeit.

Was passiert mit dem am Abend erzeugten Strom?

Es gibt schon alle möglichen Versuche, kinetische Energie für die Stromgewinnung zu nutzen, allerdings handelt es sich dabei meist immer noch um kleinste Mengen, da in der Umwandlung viel verloren geht. Es gibt zum Beispiel ein Experiment, bei dem ein Bahnradsportler durch seine Tretkraft einen Toaster betreiben sollte: Das Toast blieb beim ersten Versuch weiß, erst im zweiten Anlauf schaffte es der Profisportler und mehrmalige Vize-Weltmeister den Toast goldbraun werden zu lassen. Das mit der Stromgewinnung durch unsere Körper ist also noch nicht ganz so einfach.

Wir haben (..) ein Modul im Raum, das durch menschliche Kraft für kurze Zeit die ganze Halle ausleuchten kann.

Uns interessiert eher die Frage, wie verändert sich unser (Selbst-)Verständnis im Umgang mit unserem Körper, wenn wir ihn als Quelle erneuerbarer Energien nutzen? „Strom“ wird an diesem Abend also eher im metaphorischen Sinne erzeugt: Durch die Bewegung des Publikums werden immer wieder neue Teile der Performance “freigeschaltet” – bleibt das Publikum still, wird auch nichts passieren. 

Als “Realitätscheck” haben wir in Kooperation mit Alfons Huber, Gründer des Start-Ups REPS-Tirol, ein Modul im Raum, das durch menschliche Kraft für kurze Zeit die ganze Halle ausleuchten kann. Diese Technik des “Energy Harvesting” wird eigentlich im Straßenverkehr eingesetzt.

Dürfen wir anschließend auch noch etwas feiern mit euch?

Ja, gerne: Am Freitag legt Emilie Gendron alias The Queenston von munichagain auf, am Samstag spielt NASTASIA.

In aller Kürze:

Was? Blackouts – Performance von service not included

Wann? 09. & 26. 10. 2024

Wo? PATHOS theater, Dachauerstraße 110d

Wieviel? Eintritt frei (09.10.) bzw. 3 – 7 EUR (26.10. – pay what you want)

Beitragsbild: ©Mara Pollak