Aktuell, Kultur, Nach(t)kritik

„The struggle continues“: Simbabwische Kriegstänze für Frieden, Freiheit und Identität

Fiona Rachel Fischer

Am Ende der Europapremiere von Kamwe Kamwe im Rahmen des Spielart-Festivals steht Sprachlosigkeit. Die Wertschätzung des Publikums für die Künstler*innen und ihre eindringliche Performance ist am besten in begeisterten Applaus zu übersetzen.

Nach dem Verlassen der Studiobühne der Theaterwissenschaften ordnet sich langsam das Übermaß der Sinneseindrücke, die in den dreißig Minuten der Performance auf das Publikum eingedrungen sind: Der Boden der Bühne ist mit Sand bedeckt, sie ist abgesperrt und durchspannt von handbeschriebenen weißen Gummibändern. Am Boden liegt eine Gestalt flach und mit dem Gesicht im Sand. Zu dem einsetzenden simbabwischen Gesang beginnt sie sich zu bewegen, in faszinierenden Wellenbewegungen, die durch den ganzen Körper fahren. Dann verkrampfen sich die Bewegungen und verformen den Körper, der sich langsam aber sicher aus dem Sand erhebt und aufrichtet.

Ein Sturm von Sinneseindrücken

Die Performance Kamwe Kamwe wird beschrieben als ein Experiment mit traditionellen Kriegstänzen Simbabwes und deren Musik. Bereits in diesen ersten Bewegungen von Esther Manon Siddiquie am Boden und dem melodischem, rufenden Gesang von Vivian Tavaziva ist die Spannung zu spüren, die die ganze Performance durchziehen wird.

©Steinar Husby

Doch erst als SoKo die Bühne betritt, offenbart sich dem Publikum die ganze Ausdrucksgewalt. In den Gesang mischen sich Stimmen von Radiosprechern, die von Revolution und Krieg berichten. Viel mehr ist nicht zu verstehen. Die Vielzahl an Aufnahmen vermischt sich zu einem Stimmengewirrt, das jedoch trotzdem die Dringlichkeit des Tons nicht einbüßt. Zugleich tanzt SoKo im Sand, sodass es spritzt, lässt sich in die Gummibänder fallen, verheddert sich und tanzt weiter in dieser Verhedderung.

Kampf gegen die Unfreiheit

©SoKo

Der Tanz geschieht vor und auf dem Hintergrund von Bildprojektionen, die an die Wand und auf die Sandfläche des Bodens geworfen werden. Die Bilder zeigen Szenen der Unterdrückung und der Diskriminierung, während SoKo mit der erneut hinzugekommenen Siddiquie gegen die Einengung der gespannten Gummiseile kämpft. Die Tänzer*innen sind jedoch auch an den Hand- und Fußgelenken aneinandergefesselt und tanzen in dieser Fesselung mit und um einander herum. Ihre nach außen gerichteten Bewegungen sind steter Kampf um Selbstausdruck und ein Versuch des Ausbruchs – ein Versuch jedoch nur, der stets von den elastischen Bändern gebremst wird, sie fallen und wieder aufstehen lässt.

Ein nie endender Kampf

„Do you think it too late to fight for the black body and the disadvantaged people? Do you think it´’s too quick to fight for the black body and the disadvantaged people? We will fight a fight but I will fight a fight for my own identity, for my own integrity and personality.”

SoKo

Die Dynamik dieses Ringens zieht die Zuschauenden in den Bann und lässt den Atem anhalten.  Kraftschöpfen wird zu Kraftaufbringen. Sie befreien sich und verheddern sich wieder. Sie kämpfen gegen ihre Unfreiheit an mit aller Macht und resignieren kurzzeitig. Die Tanzenden suchen den Selbstausdruck und orientieren sich dann wieder zueinander. Der Sand spritzt unter den heftigen Bewegungen SoKos und Siddiquies, die schließlich von sanfteren eleganteren Bewegungen abgelöst werden, die den*die Mittänzer*in umkreisen.

©Steinar Husby

Die Gummibänder funktionieren dabei als Fesseln, als Netz, als Gefängnis und als Knebel. Dieses Ringen wird begleitet von Tavazivas anschwellendem Gesang, der sich unter das Stimmengewirr der Nachrichtensprecher mischt. Das Rufen und Stöhnen, das Teil davon ist, transportiert die Emotionen des Tanzen durch Klang.

Sich der Kraft der Performance zu entziehen ist geradezu unmöglich. Das Ringen gegen die Unfreiheit der tanzenden Körper, die Dringlichkeit des Ausbrechens aus dem Gummibandnetz steigert sich im Einklang mit dem lauter werdenden Gesang immer mehr, bis plötzlich das Licht ins Rot umschlägt und die projizierten Bilder unverkennbar Szenen der Gegenwart zeigen: Es sind Fotografien der Demonstrationen für George Floyd, und der Slogan „I can´´’t breathe“ auf einem Demoplakat spiegelt die Unfreiheit und den Kampf der Performance.

©SoKo

Keine Worte notwendig

Kaum mehr kann gesagt werden, um das zu beschreiben, was Kamwe Kamwe ist und zeigt, ohne die Ausdrucksgewalt der Performance durch eine Übersetzung in Worte zu zerstören. Die Show von SoKo, Siddiquie und Tavaziva kommt ohne Sprechen aus und sagt durch Visualität und Klang umso mehr. Ein formuliertes Fazit bleibt jedoch und diese Worte – auf dem letzten Demonstrationsfoto auf ein Plakat geschrieben – brennen sich den Zuschauenden ein: „The struggle continues.“

Seht es euch unbedingt selbst an! Hier kommt ihr zu den Karten für die nächsten Aufführungen!

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons