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Bitcoin-Millionen, Red Bull und Mallorca: Zugezogen Maskulin im Interview

Benjamin Brown

Zugezogen Maskulin sind ein Mysterium. Dachten wir zumindest. Das Hip-Hop-Duo, bestehend aus Grim104 und Testo, präsentiert wütende, gruselige und sehr politische Musik. Auf der Bühne wirken die Rapper unnahbar. Im Interview haben sie gelacht, Witze gemacht und uns nicht umgebracht. Was für eine Zeit, um am Leben zu sein!

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Mucbook: Let’s go! Wie läuft die Tour bisher?

Testo: Die Tour läuft gut, wir haben uns eine coole Show überlegt. Am Anfang ist man noch ein bisschen unsicher, ob das alles hinhaut, ein Spannungsbogen da ist und die Leute Spaß haben, aber in Leipzig und Rostock hat sich dann gezeigt: es funktioniert, die Leute flippen aus. Wie wir uns das wünschen.

Apropos Leipzig:

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Euer aktuelles Album kam vor drei Monaten raus [Lest hier unsere Review dazu]. Wie habt ihr die Resonanz darauf wahrgenommen?

Testo: Die große Allgemeinheit hat’s jetzt nicht unbedingt gepeilt, aber es ist ja auch nicht Musik für die große Allgemeinheit. Dementsprechend ist das in Ordnung. Die Leute, bei denen es mir wichtig ist, haben es verstanden und fanden es cool. Ich mache Musik, die möglichst radikal ist, Leute vor den Kopf stoßen und Brücken abbrennen will – dann ist es auch cool, wenn die Allgemeinheit es nicht feiert.

Müsst ihr im kreativen Schaffungsprozess bezüglich eurer Themen und Musik Kompromisse eingehen? Oder habt ihr beide immer Bock auf das Gleiche?

Grim104: Wir hängen ja auch privat miteinander rum, wir haben Themen über die wir sprechen und Dinge, die wir erlebt haben, aus denen dann Songs werden. Ich hab nicht das Gefühl, zurückstecken zu müssen und ich denke das geht auch Testo so. Manchmal hat man eine Idee, über die man schreiben möchte und checkt dann aber schnell, dass das doch Quatsch ist.

Was für Ideen sind das denn?

Grim104: Vor allem Sachen, die zu platt sind. Ein sehr beliebter Vergleich, der von Medien- und Kulturschaffenden im letzten Jahr angeführt wurde, war ein Blick auf die Weimarer Republik und das Jahr 1933 im Vergleich zu 2017 mit Trump, Erdogan, Orban. Das lädt natürlich dazu ein, diesen einfachen Vergleich zu benutzen, um zu sagen ‘das ist genau der selbe Scheiß, die Nazis kommen’. Dann muss man einfach in sich gehen und merken, dass das einfach keine vergleichbare Situation ist, kein treffender Vergleich. Es ist zu platt und zu dumm und zu einfach. Das war ein Thema, bei dem wir von Anfang an gesagt haben: das auf gar keinen Fall.

Jetzt hast du schon Jahreszahlen in den Raum geworfen. Jetzt ist 2018 und wir feiern ja das ein oder andere Jubiläum. 200 Jahre Marx, 100 Jahre Frauenwahlrecht, 50 Jahre ’68.

Grim104: Da hast du den Tweet von Julia Schramm schön auswendig gelernt.

Man macht ja seine Hausaufgaben. Welches Jubiläum würdet ihr – von heute aus betrachtet – in 50 Jahren gerne feiern?

*langes Zögern*
Testo: 50 Jahre, 50 Jahre ähm, 50 Jahre, äh
Grim104: 50 Jahre Alle gegen Alle Tour
Testo: 50 Jahre Bitcoin-Millionär. Dieses Jahr knacken wir’s.
Grim104: Ich bin tatsächlich Millionär. Also ohne Witz, ich bin Bitcoin-Millionär. Ich habe mir bei Silk Road vor sechs Jahren ein Wallet angelegt, 600€ eingezahlt und jetzt bin ich Millionär.

Das Problem ist, dass wir das jeden zweiten Tag in der Uni von irgendwem hören.

Grim104: Schade… Doch kein Millionär. In 50 Jahren feier ich… 80 Jahre Grim104, das ist doch ein schönes Jubiläum. Die Party wird gut.

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Auf der ganzen Welt findet man Konfliktherde, man hat das Gefühl, dass es überall brennt. Schockierendes findet Beachtung, jeder redet über ein neue IS-Enthauptungsvideo. Trotzdem haben wir den Eindruck, dass auf tobende Konflikte wie in Kurdistan oder Myanmar wenig Beachtung folgt.

Testo: Ich habe das Gefühl, dass es Leute gibt, die sich sehr viel mit allem auseinandersetzen und Reaktionen liefern –  und dann gibt es eben auch Leute, die sich in Ignoranz üben. Was ich übrigens verstehen kann, es ist ja auch eine Art Ohnmacht. Ich kann mich mit so vielen Konflikten auseinandersetzen, aber wie soll ich darauf einwirken. Es ist nicht so, dass sich keiner damit auseinandersetzt, es gibt viele die auf Demos gehen, sich politisch engagieren. Als Bespiel dient da G20 in Hamburg, da sind richtig viele Leute auf die Demos gegangen.

Vor 50 Jahren hat man mit Vietnam einen Konflikt erlebt, der die Weltöffentlichkeit und insbesondere junge Menschen wachgerüttelt hat. Seht ihr das Potential für einen Auslöser, ab dem sich Leute nicht mehr in die Ohnmacht retten, sondern sich in  Massen politisieren?

Grim104: Für Leute aus meiner Generation gab es das schon, mit dem 11. September und allen Sachen, die daraus resultiert sind, da hat ja auch irgendwie eine Politisierung stattgefunden.

Testo: Auch mit dem Aufstieg der AfD – scheiße jetzt habe ich wieder den Parteinamen gedroppt. Zweiter Versuch: Mit dem Aufstieg von neurechtem Gedankengut hat ja auch eine Politisierung junger Leute stattgefunden sind, die davor aufgewachsen sind mit: ‘alles schon in Ordnung, so weit wird’s nie wieder kommen’. Da hat eine Politisierung stattgefunden, von der unsere Musik auch ein Teil ist.

Wir haben viel über Politik gequatscht. Nervt es euch, wenn ihr – als zugegebenermaßen sehr politisches Deutsch-Rap-Duo, zu euren politischen Ansichten statt zu eurer Musik befragt werdet?

Grim104: Mir ist klar, dass es schwierig ist, über die geniale Footwear-Passage in Yeezy Christ Superstar zu reden, wenn man Musik macht, in der man Aussage und Statement hat. Ich fühle mich dem ja gewachsen, das ist in Ordnung. Sonst höre ich nur Gossip wie “Wie war es eigentlich auf dem XYZ-Festival zu spielen?”, wie das Radio-Sender immer gerne fragen. Dann freue ich mich schon über ein stabiles Grundlagengespräch, Austausch und Diskurs. Aber wenn wir nur gefragt werden: “Wie steht ihr zu…?, Was ist euer Statement zur Lage in…?”, dann freue ich mich auch mal, über irgendwelchen Quatsch zu reden. Da braucht’s einfach einen gewissen Ausgleich.

Testo: Und das ja auch zum Thema Eskapismus und Hedonismus. Das ist nicht zu verurteilen, es gehört beides dazu. Klar setze ich mich mit der Nachrichtenlage auseinander. Ich habe aber genauso Lust mich mit Stumpfsinn zu beschäftigen und Spaß zu haben. Ich gehe auch gerne Einkaufen, mach halt solchen dummen Quatsch. Schlimm wird’s, wenn’s nur noch Eskapismus, nur noch Ignoranz gibt, dann wird’s dumm. Wir haben als Teil der Gesellschaft ja auch Verantwortung, aber ich kann mir als Mensch auch nicht nur ernsten Kram reinziehen, das deprimiert mich.

Dann trauen wir uns sogar noch eine letzte politische Frage zu stellen. Testo, du hattest vorhin gesagt, dass du “die Masse” mit deiner Musik gerne vor den Kopf stößt. Hast du das Gefühl, dass ihr mit eurer Musik auch Leute erreicht, die andere politische Ansichten haben als ihr und nicht in eurer Filterblase stecken?

Testo: Gerade wenn ich mir unser Konzertpublikum anschaue und sehe, wer unsere Sachen postet, dann merke ich, dass das definitiv auch Leute mit ganz anderen oder auch gar keinen politischen Ansichten sind. Mit “wir machen keine Musik für die Masse” meine ich, dass wir keine Mark Forster – ne der nicht, wie heißt der andere Vogel? Max Giesinger! Wir machen keine Max Giesinger-Wohlfühl-Radio-Mucke, die beim Friseur läuft. Wir machen eher spezielle Musik, ich will mich aber nicht dem kommerziellen Erfolg verweigern, das ist auch ok.

Grim104 braucht das ja nicht mehr, der ist schon Millionär.

Grim104: Ich mache das nur noch als Hobby.

Testo: Aber unsere Musik hat eine Strahlkraft in verschiedene Lager. Viele Leute, die zu unserem Konzert kommen , haben einfach Bock sich zu bewegen, zu pogen und Musik zu sehen, die live Spaß macht. Und vielleicht beschäftigen sie sich dann mit den Aussagen dahinter, werden zum Nachdenken angeregt. Das wäre cool!

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Keine Polit-Fragen mehr: Was habt ihr vom Red Bull Soundclash gehalten? Cooles Event, das Musikern wie LGoony und Crack Ignaz eine zusätzliche Bühne bietet oder einfach die  Kommerzialisierung des Hip-Hop?

Grim104: Das muss man ganz vielfasrig beantworten. Für die Künstler ist es cool, weil sie eine riesige Stange Geld bekommen. Das ist nice und man bekommt auch Aufmerksamkeit. Es ist unterstützenswert, wenn Leute Geld für ihre Musik bekommen.

Testo: Anders als bei Spotify.

Grim104: Aber das ist trotzdem geil, damit mir keine Vinyl-sammelnden-Hurensöhne mehr auf die Nerven gehen. Streamingdienste beste. Zurück zum Soundclash: Wir haben vor zwei Tagen mit Ludwig [Anm. d. Red.: LGoony] darüber gequatscht und das ist sicher cool, wenn man darauf Bock hat. Wäre interessant wenn Dietrich Mateschitz mit seinem Nazi-Geld bei uns anklingelt. Beim Soundclash gibt es aber nur einen Gewinner. Weder Team New Level [Anm. d. Red.: LGoony, Crack Ignaz, Soufian] noch Team Reality Check [Anm. d. Red.: Samy Deluxe, Eko Fresh, Afrob] – der Gewinner ist eine kleine, symphatische Limonadenmanufaktur aus Salzburg. Es ist eine krasse Werbeveranstaltung für Limonade.

Testo: Ein riesiger, aufwendiger Werbespot. Das Konzept ist cool. Ich habe mir das live angeschaut, ich war entertained. Ich fände die Veranstaltung aber cool, wenn nicht der Konzern darüber schweben würde. Letztendlich sind wir aber alle verwoben. Sobald ich auch eine Festivalbühne trete, die nicht auf der Fusion steht, steht da groß Beck’s. Es ist so wie es ist.

Wenn die Großkonzerne das nicht mehr organisieren, könntet ihr das Vakuum füllen. Wen würdet ihr zum ZM-Soundclash einladen?

Testo: Antilopen Gang. Wir gegen die Antilopen.

Grim104: Fast schon zu einfach.

Testo: Dann gegen Blond. [Anm. d. Red.: Vorband im Strom]

Wenn man euch schon mal live gesehen hat und eure Social-Media Auftritte verfolgt, dann wirkt ihr sehr unnahbar und gruselig. Wir sind ein bisschen von der lockeren Atmosphäre hier überrascht.

Grim104: Noch. Du stellst jetzt eine Frage und dann kippt die Stimmung. Dann wird’s ganz hässlich und ich erzähle auf einmal gruselige Sachen.

Macht es Spaß, sich auf der Bühne zu verstellen?

Testo: Ich verstelle mich gar nicht. Ich lebe eher einen Teil aus, der in mir steckt. Ich finde es interessanter wenn man Musik macht und sich Mühe gibt, dass Auftritte und Videos ein Konzept und eine Ästhetik haben. Wie bei Rammstein zum Beispiel.

[Testo trägt im warmen Backstage-Raum eine dicke Winterjacke] Testo, dein Look erinnert an den großartigen britischen Künstler “Big Shaq”. Wenn ihr musikalisch einen neuen Weg einschlagen müsstet, was für Musik würdet ihr dann machen?

Testo: Ich würde Mallorca-Musik machen.

Für’s Cash oder weil’s Bock macht?

Testo: Für beides. Aber ich wäre ganz traurig dabei. Erst würde es total Spaß machen, sich immer zu betrinken und immer zu feiern, aber irgendwann fehlt mir was und dann würde ich immer traurig in dunklen Backstages sitzen und Kafka lesen.

Grim104: Vor allem haben die auf Malle so komische Backstage-Räume. Das habe ich neulich bei Geissens gesehen, die sind überhaupt nicht schäbig sondern total schön und groß. Wenn ich eine andere Band sein könnte, wäre ich gerne… Blond!


Benjamin hat das Interview zusammen mit Sascha Gontcharov geführt.

Fotos: © Sascha Gontcharov // Zugezogen Maskulin Facebook

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