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Das Zelig – bewegender Dokumentarfilm aus München

Florian Kappelsberger

Der große, helle Raum ist mit Girlanden und Konfetti dekoriert, die hochbetagten Besucher*innen tragen bunte Hüte und ausgefallene Kostüme – man feiert Fasching im Café Zelig. Fröhlich witzeln die Gäste miteinander, tanzen Polonaise und singen mit voller Stimme, ob auf Deutsch, Jiddisch, Polnisch oder Hebräisch. Etwas abseits, nur wenige Meter entfernt, stehen zwei weitere Besucher, ebenfalls farbenfroh verkleidet, aber dabei verwickelt in eine lebhafte Debatte um die Haltung der Bevölkerung von Polen und Tschechien während des Zweiten Weltkriegs.

Der Kontrast in dieser Szene ist beschreibend für Das Zelig, ein Dokumentarfilm der Regisseurin Tanja Cummings. Im Zentrum steht das namensgebende Café Zelig, das im Jahr 2016 von der Israelitischen Kultusgemeinde mit Unterstützung der TU München und der EVZ-Stiftung gegründet wurde. Es ist ein Begegnungsort für Überlebende der Shoah, die heute in der Region München leben. Der Film wurde auf dem DOK.fest 2021 sowie bei den jüdischen Filmfestivals in Miami und Moskau vorgestellt, am 27. Oktober fand die Kino-Premiere im Schwabinger Monopol statt.

Raum für Trauer, aber auch für Heiterkeit

Das Café Zelig bietet den Überlebenden einen geschützten Raum für den Austausch mit Menschen, die ihre Erfahrungen teilen. Hier wird miteinander gestritten, geschwiegen und getrauert, aber auch gesungen, getanzt und gelacht. Der Film begleitet die Besucher*innen, wenn sie bei Kaffee und Kuchen zusammensitzen, Rezepte für Matzeknödel austauschen und gemeinsam Geburtstag feiern.

Wir begegnen Gästen des Cafés wie Natan, Henry, Theresia und Salo, die je anhand einer Handvoll Fotos in Schwarz-Weiß eine Geschichte von Überleben und Verlust erzählen. Es sind intime Szenen, oft finden sie in den eigenen vier Wänden der Protagonist*innen statt. So schildert Henry Rotmensch, wie er mehrere Konzentrationslager überlebte, seinen Bruder Joseph wiederfand und gemeinsam mit ihm nach Palästina auswanderte – nur, um ihn wenige Jahre später während des israelischen Unabhängigkeitskrieges endgültig zu verlieren.

“Ich will das nicht mehr hören!”

Der Film spiegelt dabei auch, wie unterschiedlich die Gäste mit ihren Erlebnissen umgehen. Als ein Besucher des Cafés etwa zu einer Rede in Gedenken an die Befreiung des KZ Buchenwald ansetzt, flieht Salo geradezu aus dem Saal. “Ich kann nicht!”, ruft er. Er selbst hat sechs verschiedene Lager überlebt und seine gesamte Familie in der Shoah verloren. Abwehrend, fast erschöpft hebt er die Arme. “Ich will das nicht mehr hören!”

Das Café steht nicht nur Zeitzeug*inen, sondern auch deren Kindern und Enkeln offen. Wir begegnen etwa Brigitte, die mehr über das Leben ihrer Eltern im DP-Lager Föhrenwald herausfinden will. Viele sprachen innerhalb der Familie nicht über das Erlebte, zugleich blieb es als Leerstelle spürbar. Darin zeigt der Film, wie sich die Vergangenheit über Generationen hinweg bis heute fortschreibt.

Die Suche nach den Wurzeln

Einige der Besucher*innen begleitet der Dokumentarfilm auch weit über das Café hinaus. So reist der 96-Jährige Henry an seinen Geburtsort im polnischen Będzin, um Spuren seiner Familie zu suchen. Tatsächlich findet er nicht nur das Haus, in dem er aufgewachsen ist, sondern auch den Grabstein seiner Mutter – eine stille, berührende Szene auf dem verregneten Friedhof.

Nach München zurückgekehrt berichtet er seinem Freund Natan von seinen Eindrücken, von seinem Schmerz in der vertrauten Fremde. Am Ende des Films sitzen die beiden im Wohnzimmer und lauschen andächtig einem rüstigen Kassettenrekorder. Er spielt die Ballade A Yiddishe Mame, ein wehmütiges Loblied auf die liebende Mutter.

Anschließend an die Vorführung im Monopol-Kino findet eine Gesprächsrunde mit der Regisseurin Tanja Cummings und mehreren Protagonist*innen des Films statt. Theresia Rosendahl erzählt, wie der Austausch mit anderen Überlebenden im Café ihr dabei hilft, auch die eigene Geschichte zu verstehen. Als ihre Familie deportiert worden war, hatten Nonnen sie in einem polnischen Kloster versteckt und ihr so das Leben gerettet. Da sie damals aber noch ein Kleinkind gewesen war, wusste sie davon lange Zeit nicht. “Meine Mutter hat ja nichts erzählt”, erinnert sich Rosendahl.

Neustart nach der Zwangspause

Tanja Cummings ihrerseits wirft einen Blick auf das Café Zelig über das Ende der Dreharbeiten hinaus: Wegen der Pandemie konnten die Besucher*innen während mehr als einem Jahr nicht zusammenkommen. Nichtsdestotrotz haben sie den Kontakt gehalten, miteinander telefoniert und sich gegenseitig besucht. Im vergangenen Monat wurde die wöchentliche Runde im Café dann erneut eröffnet: “Die Treffen haben jetzt erst wieder begonnen.” Mit großem Erfolg: Am Tag der Vorführung selbst haben rund 30 Menschen das Café Zelig besucht.

Das jiddische Wort zelig, das dem Café seinen Namen verleiht, bedeutet “gesegnet”, ist aber auch mit Gefühlen von Heimat, Zugehörigkeit und Leichtigkeit verknüpft. All das fängt dieser Film ein, indem er auf Eingriffe und Kommentare verzichtet, sondern den Protagonist*innen viel Raum für ihre Geschichten und Erlebnisse gibt. Es ist ein ein lebhafter und berührender Einblick in das Café Zelig, das in diesem Jahr sein fünftes Jubiläum feiert.

Der Film ist in den kommenden Wochen unter anderem in München, Berlin und Augsburg zu sehen – alle Termine für Vorführungen findest Du hier.


Bilder: © weltfilm GmbH / EVA e.V.

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