Aktuell, Kultur, Leben, Stadt

Demos, Drag-Künstler*innen und die AfD – Die Debatte um die Drag-Lesung für Kinder

Anne Lenz

In einer Bogenhausener Stadtbibliothek fand am 13. Juni eine Drag-Lesung für Kinder statt. Selbstverständlich nicht ohne einen Aufschrei aus allen Richtungen. Ein Drama mit keine-Ahnung-wie-vielen Akten. Die Protagonist*innen sind Münchner Drag-Künstler*innen, Kinder, ein Pfarrer und natürlich die Alternative für Deutschland (AfD).

Worum geht es bei der Veranstaltung?

„Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ heißt es auf der Website der Münchner Stadtbibliothek. „Drag Queen Vicky Voyage mit Drag King Eric BigClit und die trans Jungautorin Julana Gleisenberg nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten!“

Gestern wurde bei der Lesung von Jungs in Kleidern, Prinzessinnen mit eigenem Willen und dem Entdecken der eigenen Freiheit erzählt. Die 13-jährige Julana Gleisenberg schrieb gemeinsam mit ihrem Vater ein Buch über ihren Weg als trans Person: „Julana – Endlich ich!“. Infolge der Anfeindungen hat Julana ihre Teilnahme an der Lesung aus Angst vor Gewalt abgesagt.

Die Diskussion rund um die Lesung

Die Debatte um die Drag-Lesung für Kinder ab vier Jahren zieht sich schon eine Weile. Im Stadtrat stößt die Lesung seitens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und der CSU-Fraktion auf Unverständnis und Kritik. Es sei fraglich, ob Kinder wirklich die richtige Zielgruppe für so eine Vorstellung seien.

CSU-Stadtrat Hans Theiss schreibt auf Twitter: „#Sexualkunde durch Drag Queens für 4-Jährige #Kinder – ist das wirklich Euer Ernst @muenchen?“

Grüne und Linke befürworten die Veranstaltung. Und das sogar so weit, dass Thomas Lechner, parteiloses Mitglied der Stadtratsfraktion Die Linke/Die Partei, kurzerhand am 17. Mai, dem Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, als Drag-Queen zur Stadtratssitzung erscheint. Sein Auftritt soll zeigen: Es ist irrelevant in welcher Erscheinung er seine Reden hält – letztendlich zähle das, was er sagt. Lechner spricht sich für die Lesung aus. Ganz allgemein wünsche sich der Stadtrat ein „ein buntes, solidarisches München für Jung und Alt“.

Und was hat die AfD damit zu tun?

Im Vorfeld hat sich die AfD vehement gegen die Drag-Lesung ausgesprochen und kassierte im Gegenzug reichlich Kritik. Dem Standpunkt der AfD nach sei die Veranstaltung eine “psychische Belästigung von Kindern mit Inhalten, die der Indoktrination durch Genderpropaganda und der Frühsexualisierung dienen”.

Bei den Vorwürfen gegenüber der AfD handelt es sich nicht nur um diese Äußerungen, sondern auch um ein Plakat im Bezug auf die Drag-Lesung. Darauf ist eine stark geschminkte Person, die die Hände nach einem Kind ausstreckt, abgebildet. „Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten!“ steht darunter. Oft wird die Anschuldigung geäußert, die Darstellung auf dem Plakat erinnere an antisemitische Propaganda aus der NS-Zeit.

Der katholische Pfarrer Wolfgang F. Rothe beschuldigt die AfD, „bewusst tief in die propagandistische Mottenkiste der Nazis gegriffen“ zu haben. Queere Menschen würden pauschal als übergriffig und als Missbrauchstäter diffamiert werden. Die AfD betreibe eindeutig Volksverhetzung und versuche immer wieder die Grenze des Sagbaren und Darstellbaren hinauszuschieben. Rothe und Adelheid Rupp, Landesvorsitzende von Die Linke, erstatteten Strafanzeige gegen die AfD. Leider sei es immer eine Ermessensfrage, ob die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten werde, so Rothe.

Eine bunte und eine blaue Demo

Vor der Bogenhausener Bibliothek versammelten sich am gestrigen 13. Juni Menschen, die genau die Vorstellung eines bunten und offenen Münchens teilen. München ist bunt!, ein Verein für Toleranz und gegen Rassismus, hat zur Solidaritätsdemo auf dem Rosenkavalierplatz aufgerufen.

Wolfgang F. Rothe beschreibt die Stimmung als gespenstisch. Die große Polizeipräsenz, da offenbar befürchtet wurde, dass es zu ernsteren Auseinandersetzungen kommen könnte, beunruhigt ihn. Letztendlich verlässt er die Demonstration erleichtert. Es sei eine tolle Erfahrung gewesen, wie das „kleine Häuflein der AfD sich mit Hass und Hetze abarbeitete, während auf der anderen Seite eine fröhliche, bunte Menge Lebensfreude ausstrahlt“.

Auf der einen Seite des Rosenkavalierplatzes ist es bunt, auf der anderen hellblau. Die AfD ist da. Redner*innen des Lagers der AfD versuchen immer wieder das Wort zu ergreifen, werden aber von den Rufen der Gegendemo übertönt.

Während der Lesung hatten sich 7 Personen, die der Identitären Bewegung zuzuordnen sind, als Besucher*innen ausgegeben und Zugang zur Bibliothek verschafft. Im Gebäude hatten sie sich T-Shirts mit dem Logo der Identitären Bewegung übergestreift. Nun wird wegen Hausfriedensbruchs gegen sie ermittelt.

Letztendlich befinden sich bei der Lesung selbst nur 70 Zuschauer*innen, mehr wurden nicht zugelassen. Vor der Bibliothek haben sich 700 Demonstrant*innen versammelt. Etwa 100 Querdenker*innen und AfD-Sympathisant*innen und rund 500 Gegendemonstrant*innen. Zusätzlich dazu sollen noch andere Personen, unter anderem 25 Abtreibungsgegner*innen, anwesend gewesen sein. 200 Polizist*innen überblicken die Lage.

Und das alles bei einer Veranstaltung, bei der Let It Go aus dem Disney Film Frozen gesungen und aus Der kleine Prinz vorgelesen wird.


Beitragsbild: © Michelle Walter

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons