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Was ist feministische Pornografie? – Ein Gespräch mit Erika Lust

Anne Lenz

Jeder ist bestimmt schon einmal, vielleicht auch unfreiwillig, mit pornografischen Inhalten in Berührung gekommen. Für die meisten ist Pornografie immer noch etwas, das das Privatleben nicht verlassen sollte. Und das obwohl der Pornografiekonsum bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Schätzungen zufolge konsumieren etwa 90 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen in Deutschland zumindest gelegentlich Pornografie.

Und trotzdem ist kaum ein Thema so tabuisiert, mit Vorurteilen behaftet und doch so interessant wie Pornografie. Über Pornos spricht man nicht und deshalb wird auch nicht darüber gesprochen, was sich in dieser Industrie ändern sollte.

Erika Lust möchte dieses Schweigen nicht weiter fortführen. Die schwedische Regisseurin, Autorin und Filmproduzentin gilt als die Pionierin feministischer Pornografie. Seit 2004 veröffentlicht sie feministische Erotikfilme. Seitdem ist einige Zeit vergangen und die Industrie hat sich gewandelt. Wir haben mit ihr über ethische Pornografie und ihren Blick auf Sexualität gesprochen.

Bild: © Monica Figueras

Was hat Feminismus mit Pornografie zu tun?

Erika Lust sieht eine klare Verbindung zwischen Feminismus und Pornografie. Während viele Menschen immer noch denken, Feminismus sei “Anti-Men” und Pornos seien “Anti-Women”, hält Lust diese Annahmen für falsch. Beides müsse neu gedacht werden.

Lust studierte Gender Studies und Politikwissenschaft. Seitdem habe sich ihr Bild vom Feminismus von einem rein akademischen zu einem intersektionalen Ansatz gewandelt. Schon im frühen Jugendalter begann sie, sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Auch mit Pornografie kam sie früh in Berührung. Allerdings konnte sie sich damit kaum identifizieren.

“I wasn’t portrayed, my desire was not there. It felt very oriented on male pleasure. It seemed to me, that most women were used as some kind of tools to male sexuality, but they weren’t really our stories.” – Erika Lust

Diese Darstellungen und die Art und Weise wie Sexualität Menschen verbindet weckte ihr Interesse:

“I wanted to see, if I could make a film, that instead of being based on male fantasies and male desire would be the story of a woman and her way of living and her sexuality.” – Erika Lust 

Bild: © Monica Figueras

Erika Lust beschreibt die bis dahin existierende Pornoindustrie als eine sehr homogene Gruppe von Männern mit einer Idee von Sexualität, die die Frau als Lustobjekt darstellt. Ihre Idee von Pornografie ist anders: Die Frau steht im Mittelpunkt. Ihre Vision von Porno ist erotisch, künstlerisch, feministisch und lehrreich.

Die Menschen nutzen Pornografie, um über Sexualität zu lernen und Inspiration zu bekommen. Aber um mit Anderen funktionierende Intimbeziehungen zu führen, müsse man zuerst die eigene Sexualität kennenlernen. Vor allem sei es wichtig, die eigenen vielleicht ungewöhnlichen Bedürfnisse zu akzeptieren. Das große Problem, seien nicht Fetische und Pornografie, sondern sexuelle Aufklärung. Deswegen hat Erika Lust das online Projekt thepconversation.org ins Leben gerufen, um Eltern und Lehrpersonen bei dieser Aufgabe zu helfen.

Ist Pornografie politisch?

Deswegen beschreibt Lust Pornos auch als politisches Medium. Sie betont, dass im Grunde alles politisch ist. Auf die Frage, ob sie gemeinsam mit anderen Frauen die Pornoindustrie zurückerobern möchte, antwortet sie, dass diese Industrie ja ohnehin nie den Frauen gehörte. Allerdings sei es ein Akt der Selbstbestimmung, sich Macht in diesem Bereich zu verschaffen.

Erika Lust möchte Geschlechterrollen und Stereotypen aushebeln und neue Perspektiven schaffen. Selbst Personen, die sich als Feminist*innen beschreiben, Medien kritisch hinterfragen und bestimmte gesellschaftliche Strukturen identifizieren können, seien immer noch Produkte der Welt, in der wir leben. Und so auch unsere Bedürfnisse und Fantasien. In unserer Gesellschaft gebe es nunmal ein bestimmtes Bild von Frauen und Sexualität. Genau deswegen möchte Lust den Dialog öffnen, neue Perspektiven schaffen und sich vom male gaze (ein männlicher, sexualisierender Blick) lösen.

Seit Erika Lust mit der Pornografie begonnen hat, sei eine neue Generation von Filmschaffenden entstanden. Darunter seien viele Frauen, Menschen der LGBTQIA+ Community und vor allem ein neuer Blick auf Pornografie. Mainstream Pornografie werde immer für das “weiße, männliche, heterosexuelle Publikum” sein, aber es gebe auch ein neues Publikum. Und Teil des Mainstreams öffne sich langsam der feministischen Pornografie. Tatsächlich sind bereits 60% der Konsument*innen von Erika Lusts Filmen Männer.

Wieso ist feministische Pornografie nicht nur für Frauen interessant?

Erika Lust denkt, dass Repräsentation in Pornografie dabei hilft, mit der eigenen Intimität in Kontakt zu kommen und Bedürfnisse zu kommunizieren.

Es gibt das alte Bild von Männern, die ihre Partnerinnen nicht verstehen. Erika Lust sieht den Grund dafür in dem verzerrten Bild von weiblicher Sexualität, das in herkömmlicher Pornografie portraitiert wird. Deshalb sollten sich auch Männer mit dem female gaze befassen. Also Sexualität aus der weiblichen Perspektive betrachten, um zu verstehen wie Frauen funktionieren und wo ihre Bedürfnisse liegen.

Bild: © Adriana Eskenazi

Auch in ihrer Arbeit legt Erika Lust großen Wert darauf, auf die Bedürfnisse aller Mitwirkenden einzugehen. Ethische Pornografie sei nur möglich, wenn auf alle Beteiligten Acht gegeben werde. Deshalb führt Erika Lust unter anderem während des gesamten Prozesses Gespräche, um sicherzustellen, dass sich alle sicher und ernstgenommen fühlen. Im Allgemeinen sei die Pornoindustrie über die Jahre etwas fürsorglicher geworden. Trotzdem sei die Welt immer noch ein sehr gefährlicher Ort für Frauen.

“The home is the most dangerous place for a woman. That’s the reality we work and live with.” – Erika Lust

Lust verfolgt ein großes Ziel mit feministischer Pornografie: Frauen zu stärken und zu schützen. Damit geht die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität einher.

“The big message is, that their sexuality is theirs, it is not to please others.” – Erika Lust

Beitragsbild: © Monica Figueras