Kultur, Nach(t)kritik

Feucht und fäkal

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Das Freie Theater München träumt die Texte von Heiner Müller im i-camp und ist dabei schweißgebadet.

Es ist dunkel im Zuschauerraum, der auch gleich die Bühne ist. Dann ertönt ein Schuss. Oder war es doch ein Knall? Langsam verstärkt sich das Geräusch, wird immer mehr, stärker, lauter- und als das Licht angeht, sieht man schwarzegekleidete Gestalten herumrobben, die mit ihren Armen auf den Boden knallen…..

Das Freie Theater München, seit über 40 Jahren bereichert es die Theaterszene Münchens, hat wieder einmal Premiere im i-camp/ neues theater münchen. George Froscher und Kurt Bildstein haben sich an die Fortsetzung ihrer Autorenprojekte gemacht: diesmal steht Heiner Müller mit „Traumtexte“ auf dem Programm.

Gegliedert in drei Abschnitte beginnt das Stück mit der Autobiographie Müllers: das Ensemble trägt mit viel Körpereinsatz (der Schweiß tropft den Darstellern von den erhitzten Gesichtern, fast möchte man ihnen eine Flasche Wasser reichen ) persönliche Statements von ihm vor: „..ich habe ihn immer mit großem Erfolg hypnotisiert. Er war ein tolles Medium. Zum Beispiel gab ich ihm einmal eine Zwiebel und sagte, dass sei ein Apfel. Und er hat die Zwiebel gefressen wie einen Apfel.“

Dann werden Müllers Traumprotokolle vorgetragen – Wortfetzen, Satzbausteine, bizarre Reden und immer wieder rinnt der Schweiß bei den Darstellern. Da wird gedribbelt, gesprungen, ja fast schon getanzt, Froschers Handschrift ( er arbeitete lange als Tänzer und Choreograph) lässt sich unschwer erkennen. Die Traumprotokolle gehen schließlich in Müllers Traumtexte über – mit veränderter Textstruktur.

Die Videoausschnitte mit laufenden Spruchbändern- überlebensgross – am Eingang zur Bühne stehen in krassem Gegensatz zur Schlichtheit der Kostüme der Darsteller. Schwarze Hose, schwarzes Hemd- alle Männer tragen die gleiche schlichte Kleidung, die einzige mitwirkende Frau (Gabriele Graf) darf ein blau glitzerndes Kleid mit Jacke und Halbgummistiefeln tragen. Das Stück lebt von der eigenartigen Formensprache des FTM und den gekonnt eingesetzten Effekten. Da entsteht z.B. in einem Szenenfragment ein schönes Bild von Traum, weil Lichterpunkte durch den Raum tanzen und die Darsteller mit diesen verschmelzen.

Beklemmung macht sich jedoch manchmal anhand der krassen Texte breit: da wird mit den Wörtern Scheiße und Schwanz nur so um sich geworfen. Auch muss der Zuschauer einiges aushalten- die Nähe zu den Darstellern, die plötzlich mit Schuhputzbürsten bewaffnet, die erste Reihe erstürmen und anfangen die Schuhe der Leute zu putzen.

Sehr eindrucksvoll das Cello (von Leo Schild gespielt), das den Textfragmenten am Schluss Untermalung gibt und ein nackter Kurt Bildstein der ans Ende des Raumes rast um mit Kreide an die Wand zu schreiben: „Ich werde wieder kommen AUSSER MIR.“
Kein Laut ist mehr zu hören und alle starren auf die schwarzen Gestalten, die am Boden sitzen und aufgehört haben sinnlos Papier zu zerreißen. Stille. Alle warten. Doch nichts passiert mehr. Irgendwann ertönt ein lautes Klatschen und der Zuschauer wird aus seiner Spannung herausgelöst: Aufwachen!Aufwacheeen!

Der Traum ist zu Ende….
Wer noch mitträumen möchte: am 12. und 13. Juli wird das eigenwillige Theaterstück im i-camp Entenbachstr.37 um 20.30Uhr aufgeführt.

Foto: Knoll

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