Frei&Liebe, Kolumnen, Leben
Frei&Liebe (1): Das Vorspiel
Die monatliche Liebeskolumne von Sharon Brehm
Einleitungen sind Versprechen. Die ersten Momente entscheiden darüber, ob wir aus Langeweile weiter scrollen, begierig den Text verschlingen oder es einfach seien lassen. Das Gleiche gilt für amouröse Vorspiele – und das beginnt nicht etwa zwei Minuten vor dem Akt. Denn die Kunst der Verführung ist auch ein Gedankenspiel.
Alles eine Frage des Aussehens?
In unserer aufgesexten Welt, zu der wir wohl alle irgendwie mal mehr, mal weniger beitragen, glauben alle, es ginge vor allem um ihr Aussehen. Ohne Frage, Matching Apps wie Tinder und andere Orte für Dates und Flirts geben einem das Gefühl, man stehe in einem Supermarkt und bewerte gerade Tomaten nach ihrer Frische, ihrem Geschmack, ihrer Knackigkeit. Unser Einkauf basiert am Ende auf sinnlichen Eindrücken: Wie fühlt sich die Haut an? Wie riecht sie? Wie intensiv sticht das Rot hervor? Wie wiegt sich die Frucht in unserer Hand?
Und dann, während wir an der Kasse stehen, bereit den Preis für unsere als gut oder gut-genug oder muss-halt-Tomaten zu zahlen, vergessen wir, dass die Entscheidung längst, lange bevor wir im Supermarkt standen, gefallen ist.
Denn der Gedanke, dass wir Tomaten für einen Insalata Caprese wollen, entstand möglicherweise, als wir im Pepenero im Lehel unter warmen Leuchten geschlemmt haben – beim Nachkochen taucht man noch einmal tief und glücklich in die Erinnerung ein. Oder in einem der LMU-Vorlesungssäle, während man sich zukünftigen Tagträumen von einem Abend mit Wein und eben jener Köstlichkeit hingegeben kann. Mi amore…
Obwohl die Metapher eines Supermarkts etwas billig und geistlos scheint, trifft sie im Kern doch, weshalb wir uns am Ende zwischen den Laken wälzen. Wir bezahlen nicht für die Tomaten, sondern für unsere Idee von ihnen. Dementsprechend sehnen wir uns manchmal mehr nach einer Vorstellung von einer Person als nach der Person in Realo. Lange bevor wir in den sinnlichen Genuss kommen, Lippen zu schmecken und Haut zu riechen, spielen unsere Gedanken verrückt: Der Film unseres Kopfkinos ist längst gedreht, wir wissen was wir mit dem Gegenüber anstellen könnten.
Where the magic happens
Natürlich regen rote Lippen und eine wohlgeformte Silhouette an, vielleicht erinnern schöne Hände an die letzten Berührungen und manch einer hegt und pflegt einen Fußfetisch. Aber der visuelle Input ist im Vergleich zu unseren Gedankenspielen öde begrenzt, koppelt er sich doch oft nur an das, was wir bereits kennen. Sinne sind etwas wahnsinnig Mächtiges, doch gleichzeitig lassen sie einen auch immer in der Position des Reagierenden zurück. Die Aktion hingegen entsteht in unseren Gedanken. Begehren setzt sich zusammen aus unseren Vorstellungen, unseren Versprechungen, unserer Vorfreude.
Dass der Kopf unsere wichtigste erogene Zone ist, liegt nicht nur an durchfluteten Nervenbahnen und der neuronalen Bearbeitung von Impulsen. Wenn unsere Imagination jene sexuellen Sehnsüchte bereits wahr werden lässt, die in der Realität noch in der Schwebe sind, wird Lust kreativ. Es ist der Reiz, das innere Gefühlschaos mit unserer Außenwelt zu komplettieren. Dass dies genauso sicher wie unsicher gelingt, verursacht Kribbeln, erhöht unseren Pulsschlag – Bühne auf für abstrakte Zärtlichkeiten und erotische Fantasien.
Seduce my mind and you can have my body
Deswegen ist auch das Vorspiel mehr als die Zeit nach dem Tatort. Sexualtherapeutin Esther Perel sagt es sogar noch radikaler: Vorspiel beginnt mit dem letzten Orgasmus. Und damit meint sie nicht etwa, dass wir fortan dauererregt mit breiten Beinen vor dem Fischbrunnen auf unser Tinderdate warten müssen und der Abwasch zur Sexy Time deklariert wird. Vielmehr geht es darum, dass Erregung und Anziehung nicht einfach so vom Himmel fallen.
Für mich gehört mehr zum Vorspiel als nur roten Lippenstift zu verschmieren und mich aus meiner Unterwäsche zu schälen. Unschuldige Flirts und zu kokettieren, mehrdeutige Anspielungen, ein Augenaufschlag, Charme, ernstgemeinte Komplimente, interessante und schlaue Einsichten, intime Geständnisse, Tränen zu lachen und sarkastischer Humor, kinky Nachrichten und Poesie, Nähe und Distanz, Erinnerungen und Verheißungen und noch viel mehr. Eigentlich ist es ganz einfach: Seduce my mind and you can have my body.
Lesetipp: Steht das erste Date bevor? Wir haben 8 Tipps abseits von “Was trinken gehen…”