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Grundsätze, die Zukunft und die Liebe zum Kino

Janna Lihl

Es gibt Menschen in meinem Freundeskreis, die sind der Meinung, Kino braucht es nicht unbedingt. “Ich schau eh nicht so viele Filme und auf das Kino können wir echt verzichten.” Am besten sind diese Sätze in Kombination mit der Nennung einiger großer Streaming-Dienste, die dann eben “notfalls” herangezogen werden. Für mich ist das genau dasselbe wie der Ausspruch: “Ich les eh nicht wirklich, wer braucht schon Bücher. Und notfalls kaufe ich sie eben bei …(hier steht dann der Name dieser mega riesen online Plattform)”. Da ich der Meinung bin, dass es meistens nichts bringt, sich in Rage zu reden und das Gegenüber mit Gegenargumenten zu überschütten, lade ich diese Menschen ins Kino ein. Bisher war danach niemand mehr der Meinung, dass das Kino unnötig ist.

Gerade jetzt sind Kinobesuche wichtig

Gerade in der jetzigen Zeit, wo ein ausverkaufter Kinosaal manchmal 12 Menschen beherrbergt ist es umso wichtiger ins Kino zu gehen. Egal, ob du einen Beamer und dann vielleicht noch ein tolles Dolby-Surround-System in deinem Zimmer hast, Kino ist eben anders. Das Eintauchen in eine (andere) Welt macht nur der dunkle Saal mit der erleuchteten Leinwand möglich. Die volle Konzentration auf den Film, ganz ohne Handy, Kühlschrank, Klingel und andere Ablenkungen.

Fokus auf den Film, ganz ohne Ablenkung

Letzte Woche hat es mich mal wieder (nach langer Corona-Pause) ins Kino verschlagen. Ich bin großer Fan von kleinen Produktionen, Independent und Avandgarde Filmen sowie Experimentellem und Essayistischen. Aber ab und zu darf es dann auch etwas Großes, mit riesigem Produktionsbudget sein, von dem ich schon zuvor sicher weiß, dass es irgendwie aufgeblasen sein wird. Der erste Film, nach dem Lockdown ist für mich deshalb Tenet von Christopher Nolan.

Wie zu erwarten, gab es Weltuntergang, viele Effekte und eben alles, was bei einer 200 Millionen Dollar Produktion noch zu erwarten ist: binär-normativ gesehen schöne Menschen, ein paar Klischees und ein oberflächlich betrachtet sehr gut ausgearbeiteter Plot. Aber vor allem gab es eines: das Versinken in eine andere Welt.

tenet christoper nolan

Nach einiger Zeit im Kino ist es egal, ob die Menschen jetzt gerade in der Zukunft, Gegenwart, vergangenen Zukunft oder zukünftigen Vergangenheit sind. Die Verstrickungen und Verschachtelungen machen es möglich, Schiffe rückwärts fahren und Vögel rückwärts fliegen zu sehen. Sie ermöglichen das Eintauchen in die Bilder. Denn wie schon die Wissen­schaft­lerin zu Beginn des Filmes versucht, das Weltprinzip von Tenet zu erklären »Versuch nicht es zu verstehen. Fühle es!« sitze ich dann auch in meinem Sessel und lasse mich auf alles ein, was kommt.

Eintauchen in Filmbilder

Dabei geht es mir nicht vorrangig um die Handlung des Films, sondern auf das Gefühl, dass sich langsam bei Tenet einstellt. Ich werde vom Strudel der Bewegtbilder mitgerissen, immer tiefer in diese unwirkliche Welt der Kämpfe, Verschachtelungen, Beziehungen und Visionen. Und plötzlich geht mitten im Film ein Mensch mit Maske an mir vorbei. Mein erster Gedanke: “Ah ja Maske, also der aus der Zukunft.” Moment, der Mensch geht aber ja wirklich an mir vorbei, in der Reihe vor mir, das ist ja echt, das ist ja absolut absurd, da war doch irgendwas…

Zukunft oder doch schon Gegenwart

Genauso ging es mir beim nächsten Kinobesuch. Ich tauchte ein in die Welt von Futur Drei, in diese “wunderbare Selbstverständlichkeit“, diese Welt, die – als weiß sozialisierte Frau in Deutschland – nie meine sein kann, in der ich jedoch eineinhalb Kinostunden zu Hause bin. In der Welt von Parvis zwischen bürgerlichem Elternhaus, Provinzparties, anonymen Sex-Dates und Sozialstunden in einer Unterkunft für Geflüchtete. Dem Film, der es schafft queere, post-migrantische Perspektiven als Normalität und Ist-Zustand zu erzählen. In der die Figuren mehr sind als ihre politische Agenda. Ein Coming-of-Age Film mit Lust, Sehnsucht, Leidenschaft und dem Ausloten von Zughörigkeiten. Sie gehen tanzen, feiern auf der Straße, umarmen sich, kommen sich nahe… Neues Deutsches Kino so wie es sein soll(te): bunt, laut, leiße, schwer, tragisch, divers und selbstverständlich.

Und beim Abspann merke ich, in welcher Welt ich mich nun wieder befinde: Abstand halten, Masken auf und das obwohl ich nicht aus der Zukunft komme. Die Nähe auf der Leinwand ist wieder vorbei. Ich bin wieder im hier und jetzt angekommen.

Futur Drei Salzgeber

Titelbild: Futur Drei. Faraz Shariat; Salzgeber Verleih
Bilder: Tenet. Christoper Nolan; WarnerBros / Futur Drei. Faraz Shariat; Salzgeber Verleih

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