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Dieses revolutionäre Hotel-Projekt wird München für immer verändern

Julius Zimmer

Donnerstag Vormittag, 10:53, Odeonsplatz. Ich laufe die Briennerstraße hinunter an luxuriösen Schaufensterauslagen und Concept Stores vorbei und biege nach links in die Seitenstraße “Amiraplatz” ein. Nach drei Minuten Fußweg erreiche ich mein Ziel: die Kardinal-Faulhaber-Straße 1.

Das monumentale Gebäude, das 1893 von der Königlichen Bayrischen Bank unter Leitung des Architekten Albert Schmidt errichtet wurde, beherbergte die letzten Jahrzehnte eine Niederlassung der Hypo Vereinsbank – kurz: das HVB Forum.

Doch seit vier Monaten findet hier, im Herzen Münchens, eine kleine Revolution statt. Genauer gesagt: im Gebäude selbst.

An einem der vier Eingänge steht auf einem DIN-A4 Blatt auch schon der Name für das Projekt, das München in den kommenden zwei Jahren prägen wird:

The Lovelace

Auf 4800 Quadratmetern realisiert ein kleines Team aus Architekten, Gastronomen und Kulturschaffenden ein Konzept, das es in dieser Form in München wohl noch nie gegeben hat:

Ein kultureller Freiraum, der zahlreiche Bereiche des öffentlichen Lebens miteinander verbinden soll – und das zu jeder Tageszeit.

Ob Musik, Kunst und Literaturveranstaltungen, Konferenzen, Workshops oder Ausstellungen – im “The Lovelace” soll es passieren. Ein kreatives “Happening” auf drei Stockwerken, als Zwischennutzungsprojekt für zwei Jahre. Ach ja, und wohnen kann man dort auch.

Denn neben einem Café, einer Bar, einem Bücherladen, einem Friseur und zahlreichen Konferenzsälen, wird das “Lovelace” 30 Hotelzimmer in verschiedenen Größen anbieten.

grundriss

Ein Grundriss der dritten Etage.

In den ersten zwei Etagen residieren die Hotelgäste, in der Dritten kann sich jeder Besucher frei aufhalten – für einen Kaffee, einen Gin Tonic, für Gespräche, ausgelassenes Feiern oder politische Diskussionen.

Eines ist klar: Das Hotel in der Nähe der Salvatorkirche ist alles, nur kein klassisches Hotel.

This is really happening

Als ich im dritten Stock ankomme, um mich mit Unternehmer und Architekten Gregor Wöltje und Gastronom Michi Kern, den beiden Geschäftsführern des Lovelace, zu treffen, springt mir sofort ein großes Schild ins Auge.

In schwarzen Großbuchstaben steht dort geschrieben: “THIS IS REALLY HAPPENING”. Nur wenige Momente später verstehe ich, was damit genau gemeint ist.

“Das Haus soll leben! Hier soll etwas passieren. Es soll ein offener Ort sein, an den man gerne hingeht – für Menschen aus jeder Szene und so gut wie rund um die Uhr”, verrät Gregor, als er mich entlang der Empore zu einer der zwei Dachterrassen führt.

Der Ausblick ist nicht weniger beeindruckend als das Innere des Gebäudes. In der einen Richtung die Theatinerkirche am Odeonsplatz, in der anderen das Wahrzeichen der Stadt, die Münchner Frauenkirche.

“Die Lage ist natürlich ideal. Etwas besseres kann man sich in München kaum vorstellen. Das bietet uns die Möglichkeit, ein Experiment zu starten, das nicht nur für uns, sondern auch für die vielen Besucher dieser Stadt etwas völlig Neues ist”, erklärt Michi.

“Im Prinzip kann man es sich in etwa vorstellen wie eines der Grand-Hotels der 1920er Jahre” wirft Gregor ein. “Die meisten Hotels heutzutage sind sehr zweckgebunden. Man schläft dort, man isst etwas, vielleicht geht man mal ins Spa… aber um etwas zu erleben sucht man die Stadt auf, in der man zu Gast ist.

“Grand Hotel” Lovelace

Das sei früher anders gewesen, erklärt der Architekt. In den Grand Hotels der Welt trafen Schauspieler, Dichter, Schriftsteller, Politiker, Künstler und Philosophen aufeinander, tauschten sich aus, führten hitzige Debatten oder genossen gemeinsam einen guten Cocktail.

Es seien Orte gewesen, an denen Menschen gerne Zeit verbrachten, auch wenn sie gar keine Gäste des Hauses waren – einfach des sozialen Austauschs wegen.

“Die Grundidee des Lovelace ist genau das. Einerseits wollen wir den Besuchern qualitativ hochwertige Hotelzimmer bieten. Andererseits wird das Lovelace kein hermetisch abgeriegeltes Hotel, sondern ein offener Raum für Menschen, die ihre Freizeit hier verbringen möchten”.

Gerade das ermöglicht die einmalige Architektur der ehemaligen Hypo Vereinsbank. Ende der 1990er Jahre veranlasste das Unternehmen eine innenarchitektonische Kernsanierung. Alles, aber wirklich alles im Inneren des Hauses wurde herausgerissen und ersetzt.

atrium

Das ehemalige Atrium der HVB-Forum.

Konferenzräume mit kugelsicherem Glas, abgehängte Decken, schalldichte Türen – Hotelgäste und Barbesucher werden hier nicht aneinander stoßen. “In den Hotelzimmern hörst du nichts von oben, das haben wir geprüft”, erklärt Gregor mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht.

“Wer zu Live-Musik tanzen will, der geht in den Dritten. Wer seine Ruhe haben will, bleibt in der Hotellounge oder zieht sich auf sein Zimmer zurück”.

“Die Münchner Booking-Szene ist total inzestuös”

-Michi Kern

Stichwort Musik: “Gibt es jemanden, der sich gezielt um das Booking kümmern wird?”, frage ich Michi. “Nein, das halten wir ganz offen. Wir wollen nicht, dass sich eine Szene hier einnistet und dann Menschen mit einem anderen Geschmack Vorurteile entwickeln und fernbleiben. Die ganze Booking-Szene in München ist doch total inzestuös”.

Man wolle es wie im Lost Weekend an der Münchner Schellingstraße halten: Mehr als die Hälfte der Veranstaltungsideen käme von den Menschen, die dort selbst zu Gast sind.

“Die Besucher machen oft irgendwelche Vorschläge, auf die wir selbst nie gekommen wären. Dadurch entstehen einmalige Veranstaltungen. Von Lesungen, über Poetry-Slams, bis hin zu Vernissagen oder Philosophie-Diskussionen”, erklärt Michi.

Gregor unterbricht: “Die Bude ist offen! Wir kuratieren die Ideen, die uns erreichen. Jeder kann uns schreiben. Einfach eine Mail an hello@thelovelace.de. Es sind schon einige Workshops geplant. Mit Modedesignern, Musikern, politischen Stiftungen – es wird bunt.”

Als mich der Architekt nach einer Führung durch die Räumlichkeiten zurück zu unserem Platz führt, drückt mir allerdings noch eine letzte Frage auf der Brust. Was soll der ganze Spaß kosten?

“Es ist vollkommen klar, dass wir keine Hostelpreise anbieten können. Das wollen wir auch gar nicht”, sagt Gregor. “Dafür haben wir außerdem zu wenig Zimmer”, wirft Michi ein. “Dann müssten wir das ganze Konzept wieder umschmeißen”.

Rund 150 Euro soll eine Nacht im “The Lovelace” kosten – je nach Zimmergröße. Das sei fair und mit dem Konzept des Hotel-Projekts vereinbar. Die dritte Etage sei für jeden frei zugänglich. Die Preise für Getränke und Essen bewegen sich in einem normalen Rahmen. Veranstaltungen werden wahrscheinlich ab fünf Euro aufwärts kosten. Genaues zur Preispolitik müsse man aber selbst noch planen.

Denn das “Hotel-Experiment” ist vor allem eines: ein Rennen gegen die Zeit. Vor vier Monaten startete das Team aus Experten und Freiwilligen mit dem Umbau. Seitdem steht die Welt der Teilnehmer Kopf. Rund um die Uhr wird daran gearbeitet, den Eröffnungstermin Mitte Mai einzuhalten.

gregor woeltje

Die Menschen hinter “The Lovelace”. Von links nach rechts: Cambis Sharegh, Michi Kern, Gregor Woeltje, Lissie Kieser und Alexander Lutz.

“Wir machen daher auch nicht alles neu”, erklärt Gregor. Die Besucher sollen schon bemerken, dass wir die Räume zweckentfremdet haben. Wir legen Schicht über Schicht und nutzen dabei fast ausschließlich, was wir an Materialien hier im Haus finden”.

“Aus einem Holzkasten für einen Beamer haben wir zum Beispiel die Bühne für unsere Bar gebaut. Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Und warum Zeit und Geld verschwenden, um neues Holz aufzutreiben, wenn es eh schon im Haus ist”.

Befristet auf zwei Jahre

Doch nicht nur für den Umbau ist Zeit ein wichtiger Faktor. Denn das “Lovelace” ist als Zwischennutzungsprojekt auf zwei Jahre angelegt. Ob es irgendeine Hoffnung gibt, dass es danach dennoch weitergehe, frage ich die beiden Geschäftsführer.

Gregor und Michis Blicke treffen sich kurz, beide schmunzeln. “Die Wahrheit ist – das Temporäre fasziniert uns. Selbst wenn man uns anbieten würde, das hier fünf oder zehn Jahre zu machen…” – Gregor hält kurz inne, als Michi das Wort ergreift: “Wir würden es nicht machen”, ergänzt der Gastronom.  

“Werdet ihr pünktlich fertig?”, frage ich abschließend. Michi lacht und Gregor antwortet wie aus der Pistole geschossen: “Fertig sind wir, wenn wir ausziehen. Dann ist das Experiment vorbei!”

Ich bedanke mich bei beiden. “Ach eins noch”, ich drehe mich zu Gregor um. “Kann ich eine letzte Zigarette auf der Terrasse rauchen?”. Er lächelt. “Aber klar! Du findest sicher selbst raus”.

Als ich wieder auf der Kardinal-Faulhaber-Straße stehe, blicke ich noch einmal an der steinernen Fassade nach oben. Aus einer Bank wird ein also ein Ort für Freigeister, Künstler und Genießer. Aus einer Niederlassung eines der größten Finanzunternehmen Deutschlands wird mitten im Herzen Münchens ein “Hotel-Happening”.

Wenn ich das einem Berliner erzähle, glaubt er mir kein Wort. Das muss man selbst erleben. Für mich ist jetzt schon klar: Das Lovelace wird München prägen – und zwar auch weit über diese zwei Jahre hinaus.

Leider wurde mir verboten, Aufnahmen vom Inneren zu machen. Das würde die ganze Überraschung verderben. Aber meine abschließende Zigarettenpause erlaubte es mir, euch wenigstens eine Video der Aussicht zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, die Zwei nehmen es mir nicht übel.

Ausblick.

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Beitragsbild: “The Lovelace” und Julius Zimmer.