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Ich und Hegel

Katrin Schuster
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Robert Menasse, den Henrky M. Broder einst zum “Schmock der Woche” erklärte, liest am Dienstag im Kunstbau – inmitten der tollen Wurm-Ausstellung aus seinem neuen Erzählband “Ich kann jeder sagen”. Eine Rezension.

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Robert Menasse: Ich kann jeder sagen. Erzählungen vom Ende der Nachkriegsordnung. Suhrkamp Verlag. 17 Euro 80. (Foto: Suhrkamp)

„Ich kann jeder sagen“ ist, man mag’s kaum glauben, der erste Erzählungsband von Robert Menasse, den man hierzulande fast besser kennt für seine Essays über seine Heimat Österreich als für seine Romane, die man für die Lust, den Witz und die Genauigkeit, mit denen dieser Schriftsteller an Sprache und Strukturen arbeitet, durchaus ein bisschen bewundern darf. Menasse debütierte Anfang der 1990er Jahre gleich mal mit einer Trilogie, der „Trilogie der Entgeisterung“, die am Ende auf vier Bände anwuchs. Es folgte „Die Vertreibung aus der Hölle“, ein Ineinander zweier Zeiten, zweier Geschichten, zweier jüdischer Biografien. Dann „Don Juan de la Mancha“, ein Roman über die Lieben im Leben eines Mannes – der schon wieder die Umschrift von Weltliteratur programmatisch im Titel trägt. Dagegen klingt „Ich kann jeder sagen“ erst einmal ziemlich lapidar. Auf Hegel – Menasse kann nicht mit ihm und nicht ohne ihn – trifft man erst in der Unterzeile, „Erzählungen vom Ende der Nachkriegsordnung“ liest man da. Es sind, um genau zu sein, 14 Erzählungen, in denen 14 Ich-Erzähler zu Wort kommen. Ich kann nun zwar wirklich jeder sagen, aber wer es sagt, der meint es auch so: Wo laut Hegel schon das Ende der Geschichte nahte, holt Menasse die Geschichte in die individuelle Biografie zurück. Wo-warst-Du-als-? ist spätestens seit dem 11. September ein beliebtes Smalltalk-Thema geworden – eine Frage, die auch Menasses Erzähler gerne beantworten. Nur stehen dabei sie im Zentrum und nicht das Ereignis.

Dass Marx bei Menasse meist ebenfalls nicht weit ist, kann man sich denken. Dass Menasse daraus allerdings die beste Erzählungen dieses Bandes baut, darauf wäre man vermutlich nicht gekommen. „Die blauen Bände“ heißt das Stück, ein Buchhändler erzählt die keinesfalls abenteuerliche, dafür umso historisch treffendere Geschichte, wie er an seine Ausgabe der MEW, der Marx-Engels-Werke, kam. Schuld daran ist – wenn das kein Treppenwitz ist! – die Entführung des österreichischen Unternehmers Walter Palmers durch die „Bewegung 2. Juni“.

„Würde ich eine Autobiographie schreiben, dann würde ich jetzt einfügen, wie das Wetter war. Dramatisch. Aber ich weiß es nicht mehr“, heißt es da an einer Stelle – wie Menasse sich überhaupt in diesem Band schon wieder als Zauberer des Selbstreflexiven erweist. Die erste Erzählung nennt sich „Beginnen“ und will einfach nicht anfangen, die letzte trägt den Namen „Schluss machen“ und berichtet vom Scheitern an dem letzten Satz.

Robert Menasse liest am 2. Dezember um 19 Uhr im Kunstbau (Königsplatz) im Rahmen einer Ausstellung von Erwin Wurm, die noch bis zum 31. Januar dauert. Der Eintritt kostet fünf Euro (ermässigt drei).

(Diese Rezension von Katrin Schuster, der Macherin des Literaturkalenders literatur-muenchen.de, erschien in der Dezemberausgabe des Münchner Literaturmagazins KLAPPENTEXT. Ein KLAPPENTEXT-Abonnement ist kostenlos.)

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