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Kennen wir uns? Die Männer in meinem Leben

Carina Eckl

Wenn ich an einen stereotypischen Mann denke, habe ich das Bild von Gaston in Disneys Die Schöne und das Biest im Kopf. Ein Muskelprotz, der unter seiner selbstgeschossenen Hirschtrophäe vor dem Kamin sitzt und seiner Frau, die am Herd steht, zuschreit: „Bring mal ein Bier, Weib!“ Verletzlichkeit ist für ihn eine Schwäche und Sensibilität ein Fremdwort. Jedes Mal, wenn Gaston über die Leinwand flimmert, denke ich mir: Der ganze Bua a Depp.

Der Unterschied zwischen ihm und den Männern in meinem Leben könnte nicht größer sein. Ich habe ihnen eine Frage gestellt: „Was ist ein Mann?“ Die Antwort eines Freundes thematisiert etwas, was manche vergessen, wenn sie über Männlichkeit diskutieren: Für ihn ist jede Person ein Mann, die sich selbst als Mann bezeichnet.

Meiner Meinung nach sollten nicht andere Menschen bestimmen, ob jemand ein Mann oder männlich ist – das sollte jede*r für sich selbst entscheiden und definieren dürfen.

Was ist ein Mann?

„Am meisten weiche ich sicher in Bezug auf meine Homosexualität von dem normativen Geschlechterkonzept ab. Ich bin in einer ländlichen Gegend aufgewachsen und obwohl ich von vielen Leuten sehr unterstützt worden bin, habe ich mir von den anderen Jungs einiges anhören müssen“, erzählt ein anderer Freund.

‚Schwul‘ wird auf Schulhöfen oft noch als Schimpfwort benutzt. Männer, die Gefühle zeigen, gelten als Memmen oder Weicheier. „Obwohl ich selbst ein Mann bin, ist das Konzept ‚Mann‘ teils fremd und einschüchternd.“ Was bringt uns das gesellschaftliche Konstrukt von Männlichkeit, wenn Männer sich nicht wohl darin fühlen und Frauen dadurch benachteiligt werden?

„Ein Mann ist für mich jemand, der sich nicht schämt, öffentlich zu weinen und Gefühle zu zeigen oder mit seinen männlichen Freunden verletzlich zu sein. Der sich nicht schämt, falsch zu liegen, sich nicht von seinem Ego leiten lässt. Jemand, der versucht es für alle besser und inklusiver zu machen. Und jemand, der auch versucht, diese Werte so weiterzugeben“, definiert ein Freund Männlichkeit.

Wenn ich das lese, geht mir das Herz auf. Ist das die typische Definition von Männlichkeit? Mit Sicherheit nicht. „Über meinen Glauben an Liebe und Hoffnung schüttelt der stereotypische Mann wahrscheinlich nur amüsiert den Kopf. Bestenfalls“, merkt ein anderer Freund an.

Verletzlichkeit und Sensibilität werden oft mit Schwäche assoziiert und gnade uns Gott, wenn ein Mann ‚schwach‘ ist. Wie soll er denn dann noch in seinem Holzfällerhemd Bäume hacken und das Land bestellen können? Oder die Ehefrau über die Türschwelle tragen?

Boys don’t cry

Männer dürfen nicht weinen. Männer dürfen keine Gefühle haben. Warum? Weil sie dann zu nah am anderen Geschlecht sind und das will ja nun wirklich niemand?! Ähm, entschuldigen Sie, warum nochmal?

Ich habe meine Masterarbeit über literarische Wasserwesen im 19. Jahrhundert geschrieben. Im Schreibprozess ist etwas passiert, was ich nicht erwartet hätte: Mir ist durch das Interpretieren von fiktiven Fabelwesen einiges über unsere gesellschaftliche Realität klar geworden.

Im 18. Jahrhundert dachten sich ein paar Männer, es wäre sinnvoll, die Frau als Naturwesen zu deklarieren. Immerhin sei sie für die Geburt zuständig und diverse andere natürliche Banalitäten. Weibliche Stimmen gibt es aus der damaligen Zeit kaum dazu. Das wurde von Männern so beschlossen, fertig.

Man stelle sich vor, irgendjemand, der dich nicht kennt, sagt zu dir: „So, ab morgen bist du ein Naturwesen und ich stelle dich in meinem epischen literarischen Werk als männerverschlingende Wasserfrau dar – cool? Cool!“ Leicht irritierend, oder?

Dass ein männliches System unfair gegenüber Frauen ist, sehen wir jeden Tag. Das Traurige ist, dass wir alle im patriarchalen System eingesperrt sind, beziehungsweise uns einsperren lassen: unter anderem von ein paar alten Typen, die längst tot sind und über bedrohliche, dämonische Wilde und Frauen, über verweichlichte Männer – kurz: das böööse Fremde – philosophiert haben.

Das klingt lustig, aber diese Denkstrukturen bestimmen leider immer noch das Leben von vielen Menschen. Der weiße Mann sei besser. Punkt. Viele verschiedene Formen von Diskriminierung wurzeln daraus.

Die kleine Dozentin

Ich bin froh, von Männern umgeben zu sein, die mich unterstützen und sensibel mit meinen Gefühlen umgehen. Ich habe als Kontrastprogramm dazu leider auch einige Männer kennengelernt, die mich auf mein Äußeres reduziert haben oder dachten, ich könnte meine Träume nicht erreichen, weil ich als Frau einfach nicht dazu fähig sei.

Als ich bei einer Familienfeier erzählte, ich wolle Dozentin werden, nannte mich ein alter, weißer Mann, den ich seit fünf Minuten kannte: „Kleine Dozentin.“ Ich war mehrere Jahre ‚kleine Dozentin‘ für kreatives Schreiben. Wenn ich groß bin, will ich Aktivistin gegen Bodyshaming werden – wer weiß, wie er mich dann nennen wird.

„Mit stereotypen ‚männlichen‘ Verhaltensmustern und der damit verbundenen Forderung an sich und andere, diese Muster streng einzuhalten, damit die so geschaffene ‚Männlichkeit‘ gültig bleibt, machen Männer sich seit Jahrtausenden gegenseitig das Leben schwer. Und weil wir dabei so tun, als ob das Mann-Sein so etwas wie ein exklusiver Club wäre, bei dem nur die Allercoolsten mitmachen dürfen, machen wir das Leben aller Nicht-Männer sogar noch viel schwerer”, sagt ein Freund.

Die Männer in meinem Leben sind sich einig: Gesellschaftliche Zwänge sind nicht cool. Also warum machen wir es uns gegenseitig so schwer? Ich verstehe, dass Freiheit beängstigend sein kann und sich manche deshalb lieber an gewohnten Strukturen festhalten. Aber wie unglaublich befreiend wäre es wohl, wenn wir alle einfach sein dürften, was wir sein wollen?

Gesellschafts-Käfig

„Gesellschaftliche Rollen fühlen sich für mich manchmal wie ein Spielplatz und manchmal wie ein Käfig an“, meint ein Freund. Jede*r von uns ist an keinem Tag der gleiche Mensch wie am Tag davor. In manchen Momenten ist man traurig, in anderen glücklich, wütend, gelangweilt. Man verhält sich der Familie gegenüber anders als Freund*innen oder Partner*innen. Warum sollte man nicht auch in verschiedene Geschlechterrollen schlüpfen dürfen?

Manchmal will ich in einem Prinzessinnenkleid über derbe Witze lachen und Zigarre rauchen. Bin ich dann weiblich oder mehr männlich? Die Frage ist eher: Wen interessiert das schon?

Gelt euren Schnauzer und legt euch eine Federboa um, wenn ihr das möchtet. Weint, wenn euch danach ist – das ist nichts, wofür man sich schämen muss. Menschen haben Geschlechterrollen erfunden, also können wir sie zusammen auch wieder abschaffen.


Beitragsbild: © Helena Lopes

1Comment
  • Axel Rauschmayer
    Posted at 15:11h, 18 Februar

    Schöner Text. Schade, dass das immer noch ein Thema ist.

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