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Wie funktioniert Veränderung? – Interview mit Carola Niemann von The Curvy Magazine

Carina Eckl

Wir alle sind von Idealen beeinflusst, die uns die Gesellschaft suggeriert und Werten, die unser Umfeld an uns heranträgt. Es ist ein faszinierender Gedanke, dass sich Einstellungen, die man seit Jahren vertritt oder Gewohnheiten, die man seit Jahren lebt, verändern können.

Aber wie kommt es zu diesen Veränderungen in der eigenen Denkweise? Wird man vom Umfeld dazu inspiriert? Ist der Gedanke, der die eigene Perspektive ändert, plötzlich einfach da?

Carola Niemann ist die Gründerin des einzigen Modemagazins für kurvige Menschen in Deutschland: The Curvy Magazine. Wir haben mit ihr über ihre Ziele, ihre Werte und die Veränderungen in der Modebranche gesprochen.

„Mein Ziel war es, eine persönliche Erlebniswelt für Menschen zu kreieren, die bisher eher negative Erfahrungen in den Medien gemacht haben. Eine Marke zu erstellen, die den Kund*innen deutlich macht: ‚Wenn das The Curvy Magazine etwas erzählt oder eine Veranstaltung macht, ist das mit einem liebevollen Blick auf mich gerichtet’, erzählt Carola.

Aber welche Zielgruppe betrifft das eigentlich? Die durchschnittliche Frau in Deutschland trägt Größe 44. Plus Size-Größen fangen allerdings schon bei 42 an. Durch das Größensystem wird ein Schönheitsideal suggeriert, dem nur wenige Menschen entsprechen.

Sind Einstellungen in Stein gemeiselt?

„Ich habe mir früher als Modeleitung gedankenlos etwas für ‚normale‘ Models/Frauen ausgedacht und habe mich dann gefragt: Warum nicht etwas tolles Hochwertiges für kurvige Frauen kreieren? So bin ich auf die Idee gekommen, das The Curvy Magazine zu gründen. Meine Tochter hat mich dazu motiviert. Sie ist eine kurvige Frau und ich selbst bin es auch. Mich hat es genervt und geärgert, dass Geschäfte nur Größen bis 44 führen. Dann habe ich recherchiert, was es für kurvige Frauen gibt: Es gab damals wenig schöne Vorbilder, tolle Fotografien oder Inspirationen modischer Art für kurvige Frauen.“

Mehrgewichtige beziehungsweise dicke Menschen sind in unserer Gesellschaft mit einem tiefgehenden Stigma belegt und werden nicht nur in den Medien mit Vorurteilen und Klischees konfrontiert. Wenn man sich das bewusst macht, wird klar, dass es nicht nur eine berufliche Herausforderung ist, ein Magazin für kurvige Menschen zu gründen, sondern auch ein persönlicher und emotionaler Prozess.

„Ich muss schon sagen, dass ich früher genauso wie andere Menschen von gesellschaftlichen Vorstellungen und der Diät-Industrie beeinflusst war. Als meine Tochter noch kleiner war, habe ich mir auch Sorgen um ihren Körper gemacht. Und habe mich gefragt, ob ich dagegen reagieren muss. Das Wissen, das wir heute haben, hatten wir damals noch nicht. Deshalb würde ich mich freuen, wenn viele Mütter ihren Kindern mein Magazin zeigen, damit junge Frauen auch andere Sehgewohnheiten entwickeln. Und nicht nur die bisher erlernten. Ich bin mittlerweile nicht mehr so darauf fixiert, wie schlank Körper sein müssen, weil sich meine Sehgewohnheiten und mein Wissen verändert haben. Ich weiß, dass es durch den Druck der Gesellschaft viel leichter ist, als kurviger Mensch eine mentale Krankheit zu entwickeln als eine körperliche”, erklärt Carola.

Wie sind die Reaktionen auf das Magazin?

„Die positiven Reaktionen kommen vor allem von den Leser*innen, die total glücklich waren, als das Magazin auf den Markt kam und die bis heute noch sehr viel positives Feedback geben, beispielsweise sagen: ‚Hätte es das in meiner Jugend gegeben, wären mir einige Tränen erspart geblieben.‘”

Wie Menschen in den Medien repräsentiert werden, hat nicht nur einen Einfluss auf die Art und Weise, wie sie sich selbst wahrnehmen, sondern macht auch die Vorurteile und Klischees sichtbar, mit welchen Betroffene täglich zu kämpfen haben.

„Die negativen Reaktionen kommen eher aus der Medienwelt oder von schlankeren Menschen, die mir vorwerfen, mit meinem Magazin zur Adipositas aufzurufen. Dass ich meinen Leser*innen vermittle, dass es auch in Ordnung ist dick zu sein, dass sie wertvoll sind, so wie sie sind. Dieser Vorwurf wird auch anderen Magazinen gemacht – dass sie Magersucht fördern, wenn die Frauen/Models zu dünn sind. Aber das wird eher akzeptiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gesundheit eine Privatsache ist. Meine Leser*in weiß selbst, was für sie am besten ist. Ich finde es wichtig zu vermitteln, dass man sich nicht hassen muss, weil man so ist wie man ist.“

Was hat sich in der medialen Repräsentation von dicken Menschen verändert?

„In den Medien tut sich langsam etwas, aber kurvige Frauen sollten auch die Geliebte spielen dürfen und nicht nur die lustige Tante oder das Kuriosum. Allgemein Frauenrollen haben sich in den letzten Jahren geändert – wir sind nicht mehr nur das schöne Beiwerk. Die Welt ist divers. Wenn man in München beispielsweise 100 Menschen zufällig zusammenstellt, dann sind sie bestimmt nicht alle schlank und blond.“

Auf den ersten Blick mag es banal klingen, aber Individualität in den Medien ist nicht selbstverständlich.

„Die kurvigen Frauen, die jetzt in der Öffentlichkeit stehen, sind vielfältiger. Jetzt hat man die Möglichkeit, sich auszusuchen, wenn man als sein Vorbild wählt. Das war vor zehn Jahren noch nicht möglich.“

Welche Werte hast du an deine Tochter weitergegeben?

“Ich habe ihr vermittelt, sich nicht mit anderen zu vergleichen und sich so zu akzeptieren, wie sie ist. Sich nicht in Idealvorstellungen zu verlieren, die fast für niemanden erreichbar sind. Sich auf sich selbst und die eigenen Stärken zu besinnen und diese mit Freude durch das Leben zu tragen.“

Wie würdest du gern beschrieben werden, Carola?

„Als ein positiver, warmherziger Mensch, zielstrebig, angstfrei und JA, auch als curvy.”


Beitragsbild: © Johanna Link

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