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“Aufgrund deines Aussehens wirst du keinen Job als Moderatorin bekommen“ – Interview mit Julia Kremer

Carina Eckl

Um in unserer Gesellschaft in der Öffentlichkeit stehen zu können, muss man eine harte Schale haben, oder? Denn zu Gefühlen zu stehen und zu thematisieren, was in unserer Gesellschaft schief läuft, wird nicht selten mit Kritik und Hass quittiert.

Auch wenn uns Worte oft banal erscheinen, zerplatzen durch sie Träume, wegen ihnen ziehen sich Menschen in ihr Schneckenhaus zurück.

Auf ihren Instagram und anderen Kanälen zeigen Aktivist*innen, dass Stärke bedeutet, sich verletzlich zu zeigen und gleichzeitig nicht aufzugeben.

“Die deutschen Stimmen zu Fatshaming sind noch zu leise.”

Die Aktivistin Julia Kremer hat sich von den vielen Worten, die ihr Leben, ihren Körper, ihre Art, mit Diskriminierung umzugehen, kommentiert haben, nicht unterkriegen lassen.

Mit ihrem Instagram-Account schönwild macht sie auf die Diskriminierung von mehrgewichtigen Menschen aufmerksam. Sie spricht dort offen über die Aufarbeitung ihres Traumas und ihrer Essstörung.

„Mit meinem Instagram-Account retraumatisiere ich mich immer wieder und das ist mit Sicherheit etwas, das ich nicht für immer machen werde und auch nicht kann. Im Moment sehe ich den Auftrag, über Fatshaming aufzuklären, weil die deutschen Stimmen dazu immer noch zu leise sind. Das Gefühl von Scham hat in meiner Jugend für mich eine große Rolle gespielt. Bis ich gemerkt habe, dass Fatshaming ein strukturelles, gesellschaftliches Problem ist und andere mit mir im Boot sitzen. Ich öffne mich stark und möchte das Vorbild sein, das mir in meiner Jugend gefehlt hat”, erklärt Julia.

Worte spielen in unserem Leben eine größere Rolle, als uns oft bewusst ist. Sprache schafft Realität. Wenn Menschen ihr ganzes Leben lang gesagt wird, sie wären hässlich, fett oder aus einem anderen Grund “nicht genug”, wirkt sich das auf die Weise aus, wie sie die Welt sehen.

„Aufgrund der Meinung von anderen hatte ich in meiner Jugend den Glaubenssatz: ‘Du bist dick und automatisch hässlich. Aber dafür, dass ich dick bin, bin ich zumindest schlau.’ Ich wollte es mir selbst beweisen.“

Welche Träume musstest du wegen dem gesellschaftlichen Fatshaming aufgeben?

„Ich hatte immer schon eine Leidenschaft für Lesen und Schreiben, war neugierig, hab immer viele Fragen gestellt. Als ich eine private Ausbildung zur Fernsehmoderatorin anfangen wollte, sagte man mir: “Sei dir darüber klar, dass du aufgrund deines Aussehens später keinen Job bekommen wirst.” Das hat mich sehr verunsichert und dann bin ich den Weg nicht weiter gegangen. Das war nicht mehr mein Weg. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass es durch die Veränderung in unserer Gesellschaft irgendwann möglich ist, diesen Traum zu erfüllen.“

Nicht Julias Unsicherheiten waren dafür verantwortlich, dass ihr Traumjob für sie unerreichbar war, sondern die Einstellung unserer Gesellschaft gegenüber Menschen, die einem vermeintlichen Ideal nicht entsprechen.

„Aufgrund der Unter-Repräsentation in den Medien haben viele Menschen die Diskriminierung von Mehrgewichtigen nicht auf dem Schirm und befassen sich nicht damit. Selbst Sender und Formate, die ich für sehr aufgeklärt halte, haben keine dicken Moderator*innen. Das finde ich erschreckend”, sagt sie.

Wie fühlst du dich, wenn dir in Interviews nur Fragen gestellt werden, die auf dein Aussehen abzielen?

„Da ich mich so viel mit dem Aussehen beschäftige, ist die Frage nicht so verwunderlich, aber wenn du mir die Frage so stellst, ist es das eigentlich schon. Das wird wahrscheinlich viel öfter gemacht, als mir lieb ist. Dadurch dass man als Frau in dieser Gesellschaft schon von klein auf damit groß wird, dass man auf sein Aussehen reduziert wird, ist das leider schon zur Normalität geworden. Da braucht es bewusstes Umdenken.”

Mit ihrer Kampagne #respectmysize versucht Julia, die Sehgewohnheiten in unserer Gesellschaft zu ändern.

Wenn man in unserer Gesellschat Fatshaming oder Diskriminierung aufgrund von Körper thematisiert, hört man einen Satz besonders häufig: “Du glorifizierst Übergewicht.” Das Problem dabei ist zum einen, dass ‘Übergewicht’ ein diskriminierender Term ist, weil er suggeriert, etwas sei ‘zu viel’ und damit schlecht. Zum anderen erklärt Julia:

„Diese Aussage macht mich müde. Das Einzige, das wir möchten, ist, respektiert zu werden und genauso zu leben wie jeder andere Mensch auch. Aber sobald man sich so zeigt, wie man ist und selbstbewusst ist, kriegt man immer wieder so etwas vorgeworfen. Der Satz wird verwendet, um uns mundtot zu machen.“

“Was will mir die Angst sagen?”

Seit 2020 räumt Julia zusammen mit der Münchnerin Verena Prechtl (ms_wunderbar) in ihrem Podcast “Fett & Vorurteil” mit Klischees über mehrgewichtige Menschen auf.

Was würdest du Betroffenen raten, wenn sie Angst haben, sich mit ihrem Körper-Thema auseinanderzusetzen, beispielsweise auch deswegen Angst haben, deinen Podcast hören?

„Schauen, woher die Angst herkommt. Mir hat es geholfen, Gefühle fühlen und benennen zu lernen. Ich hatte jahrelang das Problem, Wut zu empfinden, weil ich durch das Traumata, dass ich durch Diskriminierung seit meiner Kindheit erfahren habe, komplett abgeschottet von meinen Emotionen war und deshalb eine emotionale Essstörung entwickelt habe. Das ist bei jedem individuell, deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Was will mir die Angst sagen?“

Julia betont auf Instagram und in ihrem Podcast, dass es wichtig sei, Worte wie ‘dick’ und ‘fett’, die in unserer Gesellschaft als Beleidigungen verwendet werden, zu normalisieren.

Was ist deine Meinung dazu, wenn Betroffene die Worte dick oder fett nicht verwenden möchten, um sich selbst zu beschreiben?

„Ich kann das verstehen und nachvollziehen. Ich wünsche mir, dass sich niemand von mir angegriffen fühlt, aber ich versuche, der Person dann zu erklären, warum es so wichtig ist, dass wir diese Wörter dick und fett uns wieder zurückholen. Ich sehe das auf einer gesellschaftlichen Ebene, auf der sich etwas verändern muss.”

Das gilt für sie nicht nur in Bezug auf Fatshaming: “Wir sind beispielsweise alle rassistisch, wenn wir nicht lernen, das bewusst umzulernen. Und jede*r der sagt, dass das nicht stimmt, hat seine Hausaufgaben meiner persönlichen Meinung nach nicht gemacht. Deshalb denke ich, dass das jede*r ganz gezielt und bewusst umlernen darf. Man darf nicht vergessen, dass Sprache auch im individuellen kleinen Rahmen sehr wichtig ist.“

Wir müssen aufhören, andere Menschen auf etwas zu reduzieren. Ihren Körper, ihre Hautfarbe, ihre Herkunft. Es sind die inneren Werte, die einen Menschen ausmachen und uns wirklich etwas über sie erzählen.

Wenn du drei Dinge sofort in unserer Gesellschaft verändern könntest, welche wären das?

„Ich wünsche mir erstens, dass wir lernen, öfter mal die Perspektive zu wechseln und jede*r bei sich persönlich anfängt. Zweitens wünsche ich mir mehr Diversität in den Medien und an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen für die Menschheit getroffen werden. Und drittens mehr Liebe, miteinander und für sich selbst.”

Julia trägt selbst dazu bei, diese Wünsche zu verwirklichen. Letzte Woche hat sie einen Meilenstein geschafft, was die Repräsentation von mehrgewichtigen Menschen in den Medien anbelangt: Sie ist als Miss Hamburg in die Top 4 der Miss Germany-Wahl gekommen.


Beitragsbilder: © Stef Thiele / Vierfotografen

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