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Kennen wir uns? Ich habe nur Vorbilder, die nicht meine Vorbilder sein wollen

Carina Eckl

Nachdem ich mit meiner Kolumne versucht habe, für Themen zu sensibilisieren, die meine Freund*innen betreffen. Und nachdem ich über ihre Verletzlichkeit gesprochen habe, muss ich wohl jetzt auch aus meinem Schneckenhaus kommen. 

Wenn mich jemand fragen würde, ob ich gerne ein Vorbild für Feminismus und für die Thematisierung von Verletzlichkeit wäre, würde ich sofort sagen: Hell yeah!

Wenn mich jemand fragen würde, ob ich gerne ein Vorbild für Bodyaktivismus, für die Thematisierung von Diskriminierung aufgrund von Aussehen wäre, würde ich sagen: Unbedingt, das ist mein Ziel!

Grüße aus dem Schneckenhaus

Wenn mich aber jemand fragen würde, ob ich gerne ein Vorbild für dicke Menschen wäre, würde in mir ehrlich gesagt etwas aufschreien „Bitte was? Wie kannst du es wagen?“ und ich würde mich in mein Schneckenhaus zurückziehen.

Das ist ein Problem. Warum, fragt jetzt mit Sicherheit eine leise oder auch laute Stimme in den Köpfen von manchen Menschen: „Warum? Dicke Menschen sind ungesund, faul, hässlich. Wer will dafür schon ein Vorbild sein?“ Und das ist auch ein Problem.

Dick und fett sind Beleidigungen. Ich identifiziere mich überhaupt nicht mit diesen Worten und ich bin sehr froh, dass mich niemand so bezeichnet. „Zurecht nicht!“, würden meine Freund*innen vielleicht sagen, weil sie mich wahrscheinlich schon allein wegen ihrer Zuneigung schön finden. Beides ist ein Problem. Probleme über Probleme.

Ich grenze mich von dem Wort ‚dick‘ ab, weil es eine Beleidigung ist. Ich will nicht als dick wahrgenommen werden, sondern als schön. In meinem Kopf ist die Gleichsetzung von dick und hässlich genauso tief verankert wie in allen anderen Köpfen auch.

Wer ist nochmal die eine Dicke im TV?

Weil meine Freund*innen mit Sicherheit dieselbe Assoziation verinnerlicht haben, würden sie wahrscheinlich zusammenzucken, wenn mich jemand als dick bezeichnen würde. Das ist nicht ihr Fehler oder meiner. Man schaue sich allein Germany’s Next Topmodel an. Oder ging es nur mir als Teenagerin so, dass ich mich nach jeder Folge hässlich fühlte?

Während ich mich innerlich dagegen sträube, ein Vorbild für dicke Menschen sein zu wollen, weil mich das Wort aufgrund meiner eigenen Vorurteile und Erfahrungen angreift, sitzt gerade eine Teenagerin mit der Kleidergröße 44 verunsichert auf der Couch und denkt sich:

„Ich habe nur Vorbilder, die nicht meine Vorbilder sein wollen, weil ich dick bin und niemand damit in Verbindung gebracht werden will.“ Fakt ist: es gibt wenige Vorbilder. Vor allem in Deutschland.

Mir fallen spontan Menschen wie Julia Kremer, Melodie Michelberger oder Angelina Kirsch ein. Schon mal von ihnen gehört? Nein? Aber ihr wisst, wer Heidi Klum und Lena Meyer-Landrut sind, oder?

Fett und weiß wie Maden

Letztens erzählte mir eine Freundin von einer Diskussion mit ihren Freundinnen über Bodyshaming. Ein Satz, der dabei fiel: „Aber dünne Menschen werden doch genauso für ihren Körper diskriminiert.“ Ja, das stimmt und das ist falsch und traurig.

Der Unterschied ist, dass dünne Frauen in unserer Gesellschaft immer noch das Ideal verkörpern und auch dementsprechend in Filmen, Büchern und so weiter dargestellt werden.

Die Antagonist*innen werden als ‚fett und weiß wie Maden und überhaupt nicht schön‘ beschrieben – ich zitiere frei nach einem Buch, das ich letztens gelesen habe. Unter den Instagram-Fotos von Plus-Size-Models wimmelt es von beleidigenden Kommentaren.

Die Vorurteile gegenüber mehrgewichtigen – das ist übrigens der nicht diskriminierende Ausdruck für ‚Übergewicht‘, was auch immer dieses ‚über‘ genau bedeuten soll – ist tief verankert. Es gibt kaum mediale Repräsentant*innen für mehrgewichtige, kurvige Frauen oder allgemein für die, die von der ‚Norm‘ abweichen.

Ich wage auch zu bezweifeln, dass dünne Menschen beispielsweise ihr Traumjob verwehrt wird, weil der Chef sie aufgrund ihres Körpers für faul und unzuverlässig hält. Vor allem ist ‘dünn’ nicht pauschal ein Schimpfwort.

Ich will dünnen Menschen nicht absprechen, dass sie verurteilt und bewertet werden. I see you and I feel you. Aber ich würde mich genauso wünschen, dass ihr mich seht und mir meine Gefühle nicht absprecht. Im Endeffekt haben wir dasselbe Problem: Wir werden auf unsere Körper reduziert. Es wirkt sich aber unterschiedlich auf uns aus.

Unsere beste Freundin, die Beauty-Industrie

Aber woher kommt das eigentlich, dass wir denken, es gäbe nicht Schlimmeres als eine mehrgewichtige oder kurvige Frau zu sein? Es ist nicht die Antwort auf alles, aber guess what:

Die Grundzüge des Patriarchats (manche rollen jetzt bestimmt genervt mit den Augen) bestehen daraus, dass sich der weiße, heterosexuelle Mann abgrenzt. Von Frauen, von Ausländern, von Homosexuellen, von Menschen, die nicht seinem Ideal entsprechen – kurz: von denen, die anders sind als er.

Und weil die weiße Frau für den Mann begehrlich sein wollte, grenzte sie sich beispielsweise von schwarzen Frauen, vor allem von ihren Bediensteten, ab. Weiße, reiche Frauen hatten den Luxus, Diäten zu machen, sich mit Schminke vollzukleistern und Tada: Da haben wir die moderne Beauty-Industrie, a.k.a. jung, schön und dünn.

Und die damit verbundenen Vorurteile. dass Frauen faul und hässlich wären, wenn sie mehrgewichtig sind. Aber als Gegenbewegung dazu haben wir genauso die Vorurteile, dass Frauen, die auf ihr Äußeres achten, oberflächlich seien.

Kann man als Frau im Patriarchat eigentlich irgendetwas richtig machen? Ein paar alte, weiße Männer, die Whisky schlürfend wie Dagobert Duck auf ihrem Geld sitzen, das sie in der Schönheitsindustrie gemacht haben, lachen als Antwort hustend.

Oh mein Gott, sie gibt das öffentlich zu, wie mutig!

Man sagte mir mein ganzes Leben, ich sei schön und klug. Die meiste Zeit glaube ich das. Die meiste Zeit sehe ich mich selbst so. Schäme ich mich, das zu sagen? Weil ich dann eine Frau sein könnte, die es wagt, selbstbewusst zu sein?

Nein. Ich habe mir das hart erarbeitet. Das wisst ihr mit Sicherheit selbst, wenn ihr Frauen seid, die aus verschiedenen Gründen nicht in ein gesellschaftliches Ideal passen – oder auch einfach generell Frauen seid, das reicht schon.

Die meiste Zeit meines Lebens war ich schlank, jetzt bin ich kurvig. „Oh mein Gott, sie gibt das öffentlich zu, wie mutig!“ Das sollte nicht mutig sein, das ist ein Fakt. Mutig ist es nur, weil unsere Gesellschaft es leider negativ konnotiert, wenn jemand Kleidergröße 40 plus trägt.

Ich bin mir sicher, dass ich es leichter hatte als andere kurvige Frauen, weil ich als schlankes Mädchen und später Frau aufgewachsen bin. Ich konnte mir zwar immer schon Kommentare zu meiner Figur anhören, aber welche Frau muss das nicht über sich ergehen lassen? Ich hatte Zeit. Zeit, mich lieben zu lernen, ohne dass mir immer und immer gesagt wurde: Du bist nicht genug.

Ich wünsche mir, dass Menschen auf den Charakter und die inneren Werte von anderen achten. Natürlich will ich schön gefunden werden – wer will das nicht. Aber ich will auch, dass mich jemand vor allem liebt, weil ich klug bin, lieb und kreativ.

Diätpillen schmälern Vorurteile nicht

Worte sind wichtiger, als man vielleicht denkt. Wenn ein Kind auch nur einmal den Satz „Du bist zu dick“ hört, kann ich euch versprechen, dass es ihn so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

Dass uns Vorurteile eingeimpft werden, ist nicht unsere Schuld, aber ich denke, es ist unsere Aufgabe, uns dagegen zu wehren. Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Worte wie ‚dick‘ einfach Worte sind und sich nicht wie Säure in einer offenen Wunde anfühlen.

Es ist wichtig, dass wir alle hinterfragen, warum wir andere mit Worten wie ‚dick‘ bewerten. Und auch die Vorurteile, die damit verbunden sind. Viele mehrgewichtige Menschen beschäftigen sich beispielsweise mehr mit Ernährung und Sport als ‚die Norm‘, weil sie ständig negativ mit ihrem Körper konfrontiert werden und versuchen, wieder eine gesunde Beziehung zu ihm aufzubauen.

Ich denke auch, mehrgewichtige Menschen müssen in allen Lebensbereichen vielleicht sogar ehrgeiziger sein als andere, weil sie sich ständig gegen Vorurteile behaupten müssen.

Ich kann mir vorstellen, dass manche diesen Artikel lesen und sich in ihrem Kopf Argumente zurechtlegen, warum das alles nicht stimmt, was ich schreibe. Sich denken, dass ich mich nicht so anstellen soll. Dass ich mir ein paar Diätpillen reinschmeißen und nicht rumheulen soll, wenn mir meine Situation nicht passt.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Ein Argument für Bodyshaming in Büchern und Filmen ist, wie ich lernen durfte, zum Beispiel: „Kunst darf das!“ Kunst darf diskriminierend sein? Also ich möchte nicht Geld für ein Buch oder einen Film ausgeben, der frauenfeindlich oder rassistisch ist.

Wenn in ihnen nicht klar kommentiert wird, dass Rassismus, Misogynie oder Bodyshaming etwas Schlechtes sind, dann will ich sie nicht. Selbst wenn mein Literatur-Crush Franz Kafka höchstpersönlich vom Himmel herabsteigt und diese Bücher oder Filme heiligspricht.

Ich will Menschen unterstützen, die diskriminiert werden. Ich will meinen Freund*innen, die nicht der ‚Norm‘ entsprechen und deshalb verunsichert sind, meine ganze Liebe als XXL-Paket per Post schicken oder sie damit wie mit einer flauschigen, warmen Decke einwickeln, damit sie sich nicht allein fühlen.

Aber ich weiß, dass das nicht reicht. Und das muss es auch nicht. Von mir aus kann ich mir meine Lieblingsserie nicht mehr ansehen, wenn sich eine Freundin von ihr diskriminiert fühlt. Dafür brauche ich keine Argumente von anderen. 

Ihr könnt mit eurem Körper machen, was ihr wollt

Ich wünsche mir natürlich, dass sich meine Freund*innen genauso gegen Fatshaming einsetzen und sich informieren. Ich weiß aber auch, dass dieses Thema für viele neu ist. Ich habe selbst jahrelang nicht darüber gesprochen und ehrlich gesagt, weiß ich auch jetzt immer noch nicht so wirklich, wie.

Ich lerne noch und ich hoffe, dass ich immer Menschen in meinem Leben haben werde, die mich dabei unterstützen. Ihre Denkmuster hinterfragen und vielleicht auch verstehen, dass es einen Unterschied macht, ob man diskriminiert wird, weil man ‚zu dünn‘ ist oder ob Menschen als fett bezeichnet werden.

Wenn ihr selbst von dem Thema betroffen seid, das ist für euch: Die Menschen, die euch sagen, ihr wärt hässlich oder dass ihr abnehmen müsstet, um liebenswert zu sein, braucht ihr nicht in eurem Leben. Sprecht sie darauf an. Vielleicht sind sie bereit, daraus etwas zu lernen.

Ihr seid genug. Ihr seid wunderbar. Und vor allem: Ihr könnt mit eurem Körper machen, was ihr wollt.


Beitragsbild: © Unsplash/Monika Kozub

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