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“Warum muss ich mich dafür verteidigen, dass ich für etwas brenne?” – Interview mit Katharina Schulze

Carina Eckl

Um in unserer Gesellschaft in der Öffentlichkeit stehen zu können, muss man eine harte Schale haben, oder? Denn zu Gefühlen zu stehen und zu thematisieren, was in unserer Gesellschaft schief läuft, wird nicht selten mit Kritik und Hass quittiert.

Politiker*innen wird oft vorgeworfen, sie wären aalglatt, würden mit falschen Versprechen locken und letztendlich doch nichts bewirken.

Entgegen dem sagt Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, von sich, sie wolle “kein konformer Politik-Roboter” werden und betont die Wichtigkeit davon, Emotionalität und Vielfalt und auch Verletzlichkeit als Gesellschaft mehr zu zulassen.

Befreiung aus dem Korsett von Rollenklischees und Stereotypen

„Das Thema Diversität ist in meiner politischen Arbeit sehr präsent. Ich bin überzeugte Feministin, Anti-Faschistin und setze mich, seit ich Politik mache, für eine vielseitige und gleichberechtigte Gesellschaft ein. Mein Ziel ist es, Bayern zum ersten echten gleichberechtigen Bundesland zu machen”, erzählt sie.

Diversität und Feminismus sind Worte, die man im politischen Diskurs und in gesellschaftlichen Diskussionen oft hört. Aber was bedeuten sie eigentlich? Sind sie nur ein Mode-Wort? Wer ist darin inbegriffen?

Was bedeutet Feminismus für Sie?

„Feminismus ist für mich Befreiung, Zukunft und Ziel. Weil es im Endeffekt etwas ganz Einfaches aussagt: Egal, welches Geschlecht du hast, du hast die gleichen Rechte und Chancen.“

Sind in diesem Begriff für Sie auch trans Menschen und Personen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität mitinbegriffen?

„Wenn ich sage, Feminismus sei Befreiung, dann meinte ich damit auch, dass wir uns davon lossagen, eingeteilt zu werden in strenge Stereotype und Rollenklischees. Mein Traum ist, dass wir irgendwann in einer Gesellschaft leben, in der es auf den Menschen ankommt, egal wo er*sie herkommt, welchen Hintergrund, welches Geschlecht, welche sexuelle Orientierung, welche Religiosität oder welche Hautfarbe er*sie hat. Dass das alles egal ist. Denn es geht darum, wo die Person hin will, was sie mitbringt, womit sie bereichert. Ich glaube, das würde uns alle befreien, von einem Korsett von Rollenklischees und Stereotypen, in die wir übrigens alle gepresst sind – auch Männer. Deshalb befreit Feminismus uns alle – auch Männer.“

Was sind Ihre Gedanken zur Bodyshaming-Debatte, also Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten und Körperformen?

„Bodyshaming ist ein Teil von Gewalt. Menschen werden abgewertet, weil sie vermeintlichen Idealen – wer legt die überhaupt fest, wer bestimmt die? – nicht entsprechen. Das ist ein Teil von Misogynie und betrifft Frauen nochmal anders als Männer. Wenn wir die vielfältige Gesellschaft erreichen, zu der ich hin möchte, hätten wir dieses Problem auch überwunden. Ehrlich gesagt ist es doch egal, wie die Person aussieht. Auch da gilt, die Betroffenen nicht allein zu lassen und einen gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen. Und als Politik, Veränderung herbeizuführen, dass das weniger wird. Angefangen mit der Bildung, Ausbau der Antidiskriminierungsstellen, Diskussionen in den Medien usw.“

Auf ihrem Instagram-Account gibt sich Katharina Schulze entgegen dem Politiker-Klischee nahbar und lässt Wähler*innen an ihrem politischen Alltag teilhaben.

Finden Sie es wichtig, sich auch mal verletzlich zu zeigen, beispielsweise Dinge auf Instagram anzusprechen, die nicht so toll gelaufen sind oder mit denen Sie zu kämpfen hatten?

„Das ist ein großes Spannungsverhältnis. Über Politiker*innen wird immer gerne gesagt, sie wären alle gleich und hätten ihre Politikphrasen drauf. Wenn man aus dieser Konformität herausragt durch Kleidung, Lautstärke, Mimik oder Gestik kommt manchmal von denselben Menschen: ‚Oh mein Gott, das geht gar nicht. Wie unprofessionell. Das ist viel zu laut, viel zu bunt, viel zu irgendwas!’ Ich habe irgendwann beschlossen, ich werde kein konformer Politik-Roboter, weil die Welt zu bunt und vielfältig ist und damit auch die Politik, um sich in so etwas pressen zu lassen. Das hat zur Folge, dass ich wieder höre, ich würde nicht in die Politik passen. Und dass obwohl ich über 10 Jahre Politik-Erfahrung habe, seit 8 Jahren im Landtag bin, Spitzenkandidatin bei der letzten Landtagswahl war und die zweitgrößte Fraktion in Bayern führe. Trotzdem irritiere ich immer noch viele aufgrund meiner Art und wie ich Politik mache. Deshalb braucht es vielfältigere Parlamente, dass es keine Besonderheit mehr ist, wenn eine jüngere, feministische Frau etwas andere Politik macht als es vermeintlich ‘normal’ war.“

Frauen wird oft vorgeworfen, sie wären zu sensibel, zu emotional. In der Politik hingegen müsse man kühlen Kopf bewahren. Verletzlichkeit wird in unserer Gesellschaft mit Schwäche assoziiert.

„Männer und Frauen werden unterschiedlich bewertet. Wenn ein Kollege eine feurige Rede hält, dann heißt es: ‚Jetzt hat er es aber der Regierung gezeigt und setzt sich durch.‘ Frauen wird dabei oft zugeschrieben: ‚Emotional, hysterisch, zickig, sie kreischt!‘ Oder: Wie oft werden meine bunten Kleider thematisiert? Mein Aussehen, meine Art zu reden, die Liste lässt sich fortsetzen. In diesem Spannungsverhältnis befinde ich mich ständig. Das ist aber nicht politikspezifisch. Fast jede Frau kennt das aus ihrer Arbeitswelt. Es ist nicht leicht, das auszuhalten und da findet jede ihren eigenen Weg”, meint Katharina Schulze dazu.

Wie hat es Sie persönlich geprägt, dass sie gesellschaftlichen Idealen entsprechen mussten?

„Ich würde meine Persönlichkeit als relativ robust beschreiben. Das hat mich schon durch viele Untiefen meines Lebens getragen. Aber natürlich habe ich diese Erfahrung auf verschiedenste Weise gemacht. Ich bin jemand, die eher länger redet, viel gestikuliert, Anglizismen verwendet. Als ich angefangen habe, bei Veranstaltungen zu reden, kamen dann oft ältere Herren und haben ungefragt – ich habe nichts gegen konstruktives Feedback – meine Art zu sein und Art zu reden in Frage gestellt: ‘Das macht eine Politikerin nicht.’ Das hat mich am Anfang natürlich verunsichert. Aber dann habe ich gemerkt, wenn ich anders rede, bin ich nicht mehr ich selbst. Wenn ich so unendlich langsam rede, schlafe ich ein, mein Publikum auch. Ich musste mich davon emanzipieren und unterschieden zwischen Feedback, mit dem ich etwas lernen kann und mich weiterentwickeln – denn niemand ist perfekt – und Feedback, dass meine Persönlichkeit in Frage stellt. Besonders gefreut habe ich mich dann, dass ich aufgrund meiner Authentizität vom Verband der Redenschreiber zur besten Wahlkampfsrednerin 2018 gekürt wurde. Ich hätte gern ein Foto mit meinem Pokal an all die Kritiker von damals geschickt. Take this. An diesem Beispiel versuche ich in Schulklassen deutlich zu machen: ‘You have to do it your way.’ Gerne Feedback annehmen und weiterentwickeln, aber so wie du bist ist es erst einmal gut und du wirst deinen Weg gehen.“

Darf man sich in der Politik sensibel geben? Oder kommt man dort nur mit einem dicken Fell weiter?

„Wir brauchen auch dringend Menschen in der Politik, die unterschiedliche Temperamente und Persönlichkeiten haben, weil sich dadurch auch Kultur in der Politik verändert. Es braucht Solidarität und Unterstützung, damit Vielfalt möglich ist. Wenn man sich ansieht, was Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle online an Hass und Hetze ergehen lassen müssen, ist das nicht gerade eine Einladung, sich für die Demokratie einzusetzen, sondern das ist anstrengend, das tut weh und kann lebensbedrohlich sein. Deshalb habe ich ein Antragspaket zum Thema ‚Hatespeech stoppen‘ in den Bayerischen Landtag eingebracht. Aus Worten werden leider auch oft Taten. Vor kurzem war der Jahrestag von Hanau. Wir erinnern uns an die vielen rechtsextremen Anschläge und Attentate. Um Hass im Netz entgegenzutreten, braucht es bespielweise eine virtuelle Polizeiwache in Bayern, Beratungsstellen für Betroffene, einen demokratischen Konsens und Unterstützung, dass Hass und Hetze nicht legitim sind. Es braucht die Optionen, dass Vielfalt unsere Gesellschaft mitgestalten kann.“

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Gefühle in der Politik?

„Es ist ein Irrglaube, dass Politik nicht gefühlsgeladen ist. Für mich ist Politik Gefühl pur, weil es immer um etwas geht. Die Schönheit von Politik und Demokratie liegt darin, dass mit politischem Handeln gesellschaftliche Realität verändert wird, Geld anders verteilt wird, Zukunft gestaltet wird. Allein darin liegt so viel Emotionen: Manche wollen das, andere nicht. Manche wollen mehr, andere weniger. Es sind auch immer Geschichten, die dahinter stecken. Deshalb halte ich es für einen Irrglauben, dass Politik nur sachlich und nüchtern ist. Leidenschaft und das Brennen für etwas ist der Zündstoff, der unsere Gesellschaft voranbringt. Emotionalität und Gefühle schließen rationale und pragmatische Entscheidungen nicht aus. Um pragmatisch die Welt zu retten, braucht es Emotionalität und Rationalität – es braucht beides und beides bedingt sich.“

Es ist einfach, sich über Personen öffentlichen Lebens aufzuregen, sie zu kritisieren und den Anspruch zu stellen, dass sie perfekt sind. Die harte Arbeit und emotionale Stärke, die hinter Aktivismus steht, wird oft übersehen.

“Wenn du darüber sprichst, dass es Aktivist*innen und Politiker*innen schwer haben, gibt es immer einige, die sofort sagen: ‚Frauen sind schwach, nehmen sich alles zu schwer zu Herzen. Das müssen sie aushalten.‘ Ich entgegne dann: ‚Sorry, ich muss keinen Hass und keine Hetze aushalten.’ Niemand muss das. Die Frage ist eher: Warum muss ich mich dafür verteidigen, dass ich Gefühle habe, dass ich für etwas brenne und es nicht super finde, in der früh gleich die Vergewaltigungsandrohung im Postfach zu lesen? Anders herum wird ein Schuh daraus: Die, die mich deswegen beleidigen, bedrohen und meine Kompetenz absprechen, müssen sich rechtfertigen.”


Beitragsbild: © Andreas Gregor

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