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Keine Opfer, keine Held*innen – Interview mit Phenix K., Laura Gehlhaar und Elisa Perez Rios

Carina Eckl

Unsere Gesellschaft neigt dazu, Frauen fein säuberlich in Schubladen und Rollenbilder einzuordnen. Mutter, Geliebte, Powerfrau, Held*in, Opfer.

Vor allem an Aktivist*innen, die im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen, werden viele Erwartungen herangetragen. Sie müssen stark sein, aber doch bitte nicht forsch. Sie sollen verletzlich sein, aber bloß nicht weinerlich. Selbstbewusst, aber nicht arrogant. Klug, aber nicht belehrend.

In der Moderne dreht sich alles um Authentizität. Paradoxerweise regnet es Hater-Kommentare, wenn jemand öffentlich sein wahres Ich zeigt.

Who run the world?

Zum Weltfrauentag veranstaltet die ArtNight einen Monat lang Events, bei denen sich die Teilnehmer*innen kreativ ausleben können und gleichzeitig über Themen gesprochen wird, die in unserer Gesellschaft immer noch zu wenig Gehör finden.

Wir haben mit drei der Protagonist*innen über Geschlechtsidentität, Alltagsrassismus und Inklusion gesprochen.

Phenix K. thematisiert auf ihrem Instagram thisisphenix und in ihrem Podcast Freitagabend unter anderem Geschlechtsidentität. Für sie bedeutet Kunst, Make-up, Stylings und Fotos zu kreieren und sich selbst als Leinwand zu begreifen.

Mit welchen Klischees und Vorurteilen wirst du konfrontiert, Phenix?

„Das Erste, was mir einfällt: dass trans Frauen hässlich sind. Wenn Menschen sagen: ‚Du schaust schön aus für eine trans Frau“, wird dadurch das Vorurteil impliziert, dass trans Frauen hässlich sind. Ich bin mir darüber bewusst, dass das nicht zwangsläufig ihre Intention ist, aber da müssen sie besser darauf achten, was sie sagen.“

Dem Klischee entsprechend, Frauen wären nicht so intelligent wie Männer, hat Phenix das Gefühl, dass Menschen sie für dümmer halten und ihr mehr erklärt wird, seit sie sich weiblich präsentiert.

„Weiblich und männlich sind für mich keine Komplimente. Als ich mich noch männlich präsentiert habe, sagte eine Arbeitskollegin: ‚Heute siehst du aber richtig männlich aus.‘ Was genau heißt das jetzt? Sie war irritiert, dass ich nicht verstanden habe, dass das ein Kompliment ist”, sagt sie.

Die Eigenschaften, die Menschen in unserer Gesellschaft zugeschrieben werden, sind oft von medialer Darstellung beeinflusst.

Wie stehst du dazu, wie trans Menschen in den Medien repräsentiert werden? Beispielsweise, wenn trans Menschen in Serien von Nicht-Betroffenen gespielt werden?

„Wenn es um Medien generell geht, gibt es viel zu wenig trans Menschen in Positionen, in denen sie einfach nur sind, weil sie gut sind, nicht weil sie trans sind. Trans Menschen wird nicht wirklich eine Plattform geboten oder suggeriert, dass trans sein normal ist. An der Person ist dann vor allem interessant, dass sie trans ist. Ich würde auch behaupten, dass trans Frauen deutlich öfter in Medien vorkommen als trans Männer. In Filmen wird die Repräsentation von trans Menschen langsam besser. Die Awareness ist langsam da. Allerdings werden trans Menschen auch oft sexualisiert, fetischisiert und mit dem Rotlicht-Mileu assoziiert. Wenn es um trans Figuren geht, sollte die erste Wahl immer eine trans Person sein”, erklärt Phenix.

Anstatt Menschen mit Klischees zu besetzen und sie Stereotypen zuzuordnen, sollte ihre individuelle Persönlichkeit im Fokus stehen.

Wie würdest du gern beschrieben werden, Phenix?

„Gutaussehend, souverän, witzig, intelligent.“

Laura Gehlhaar ist Autorin und Aktivistin. Sie setzt sich dafür ein, dass Inklusion in Deutschland als das behandelt wird, was es ist: ein Menschenrecht. Sie möchte nicht auf die Rolle der Heldin oder des Opfers reduziert werden, die behinderten Menschen gesellschaftlich oft zugeschrieben wird.

Mit welchen Klischees und Vorurteilen wirst du konfrontiert, Laura?

„Das, was ich und andere Menschen mit Behinderung jeden Tag erleben ist, dass wir scheinbar irgendwelchen Rollen gerecht werden müssen. Auf uns liegt ein großes Stigma. Es gibt vor allem zwei mediengeprägte Rollen, einmal das Bild des Opfers. Dass Menschen mit Behinderung leiden, dass sie still sind, dass sie nicht gleiche Rechte haben. Der Gedanke geht nicht dahingehend weiter, dass die Menschen überlegen, was sie aktiv tun können. Das andere Extrem ist das Rollenbild Held*in. Das erlebe ich sehr oft. Mir wird zum Beispiel bei TV-Auftritten gesagt, ich sei so eine große Inspiration und dass es großartig sei, dass ich mich für Inklusion einsetze. Die Rolle der Heldin zugeschrieben zu bekommen, ist für mich auch immer ein Schlag ins Gesicht. Allein die Tatsache, dass ich oder andere medial präsente behinderte Menschen sich für Inklusion einsetzen müssen, von ihrer Lebensrealität erzählen und sich in dem Moment verletzlich machen müssen. Nur weil sie das Gleiche einfordern, was nicht-behinderte Menschen haben. Das ist richtig viel Arbeit, kostet sehr viel Kraft und Energie. Die Glorifizierung bringt mich nicht weiter. Man sollte sich fragen, wie man dafür gemeinsam eine Lösung finden kann. Dann liegt die Verantwortung nicht allein bei mir als Betroffene, sondern auch bei denen, die diese Ungleichheit bewirken.”

Wie offen wird in Deutschland über Inklusion gesprochen?

„Wir sprechen nicht genug über Inklusion und setzen sie nicht aktiv genug um. Meiner Meinung nach haben behinderte Menschen in Deutschland noch viel zu wenig Sichtbarkeit, um über Inklusion sprechen zu können. Und immer wenn nicht-behinderte Menschen über Inklusion sprechen, hört es sich nach Zukunftsmusik an. Dann heißt es: ‚Wir müssen behinderte Kinder in die Regelschulen integrieren. Wir müssen uns für Gesetze einsetzen, die Menschen mit Behinderung sicher in den ersten Arbeitsmarkt bringen.‘ Das ist nur leider etwas zu spät. Diese Diskussion hätte ich gerne vor Jahren geführt, sodass mir Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ganz selbstverständlich im ersten Arbeitsmarkt begegnen.“

Wenn über Diversität oder Feminismus gesprochen wird, bleibt Inklusion zu oft ausgeklammert. Die Frage ist, was in Deutschland aktiv dafür getan wird, um behinderte Menschen gleichzuberechtigen.

„Ein ganz berühmter Satz, der mir da einfällt, ist: ‚Inklusion beginnt in den Köpfen.‘ Das ist erstmal falsch. Inklusion ist eigentlich im Gesetz verankert und es gilt, genau das umzusetzen. Man sollte nicht an die Einsichten der nicht-behinderten Menschen appellieren müssen, denn Inklusion ist ein Menschenrecht und besagt, dass behinderte Menschen Gleichstellung in allen Lebensbereichen erfahren müssen. Das ist keine Wohlfahrtsveranstaltung, wie nicht-behinderte Menschen denken. Es ist unser Recht, Entscheidungen zu treffen, die unsere Gesellschaft beeinflussen werden.”

Wie würdest du gern beschrieben werden, Laura?

„Als Mensch mit einer starken, eigenen Meinung, sehr empathisch und lustig.“

Elisa Perez Rios stellt mit ihrer Kunst die Vielfalt unserer Gesellschaft dar und möchte sich dafür einsetzen, dass mehr über Alltagsrassismus gesprochen wird. “Wir sind so vielfältig und haben so viele verschiedene Kulturen, auch in Deutschland. Das dürfen wir nicht vergessen”, sagt sie.

Mit welchen Klischees und Vorurteilen wirst du konfrontiert, Elisa?

„Die Klassiker sind: ‚Sie sprechen aber gut deutsch.‘ Wenn ich gut drauf bin, sage ich dann: ‚Danke, Sie auch!‘. Wenn dann zurückkommt: ‚Ich bin in Deutschland geboren, das ist meine Muttersprache‘, sage ich: ‚Ja, ich auch.‘ Ansonsten sagen Leute oft, dass sie meine Haare anfassen wollen oder dass mir das warme Klima im Sommer aufgrund meiner Hautfarbe doch sicher nichts ausmacht. Und natürlich kommt oft die Frage: ‚Woher kommst du wirklich?‘ Es wird nicht anerkannt, dass Menschen mit einer dunklen Hautfarbe in Deutschland geboren sein können. Meine Schwester hatte bei einem Webdesign-Auftrag die Situation, dass ihr Chef die Fotos, auf denen schwarze Menschen zu sehen waren, kommentiert hat mit: ‚Schieb den Bimbo doch mal weiter nach links.‘ Als sie ihn darauf hingewiesen hat, dass das rassistisch ist, sagte er: ‚Sei doch keine Spaßbremse. Du bist eh nicht so schwarz. Dich mögen wir ja.‘ Wie will man da noch gegenargumentieren? Da fährt man gegen eine Wand.”

Für Betroffene sind solche Beleidigungen Alltag, etwas, mit dem sie ständig konfrontiert werden und dem sie sich nicht so einfach entziehen können. Es ist ein Armutszeugnis, dass so über Menschen in unserer Gesellschaft gesprochen wird. Was können wir also dagegen tun?

„Meiner Meinung nach wird in Deutschland nicht offen über Rassismus gesprochen. Wenn darüber gesprochen wird, dann oft mit Nicht-Betroffenen und nicht sonderlich sachlich. Da denke ich zum Beispiel an die Talkrunde ‚Die letzte Instanz‘. Da werden Empfindungen von Menschen dargestellt, die nicht von Rassismus betroffen sind. Wenn Rassismus in den sozialen Netzwerken von Betroffenen thematisiert wird, gibt es viel Widerspruch. Die Menschen, die man ja nur darauf hinweisen möchte, fühlen sich direkt angegriffen und begeben sich in die Opferrolle.”

“Carnival of Freedom”

Wie würdest du gern beschrieben werden, Elisa?

„Offen, liebevoll, emotionsgeladen, zuverlässig, manchmal bin ich auch eine kleine Spießerin. Früher konnte ich mich selbst noch nicht so positiv wahrnehmen, das war ein langer Prozess.“


Beitragsbilder: © ArtNight © Phenix K. © Elisa Perez Rios © Laura Gehlhaar

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