Kultur

“Man will sich von den Banken nicht mehr verarschen lassen”

Tini Kigle
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Die Kammerspiele bringen Bonnie & Clyde von der Leinwand auf die Bühne. Heute ist Premiere. Wir haben die Regisseurin Barbara Weber und den Dramaturgen Matthias Günther gefragt wieso und warum gerade jetzt?

mucbook: Die Geschichte von Bonnie & Clyde ist die klassische Hollywood-Story: Underdogs mutieren zu Helden, das David-gegen-Goliath-Motiv findet sich in der Verfolgung des Pärchens durch die Polizei wieder. Ein dramatischer Aufstieg, ein dramatischer Fall und ein tödliches Ende krönen den dramaturgischen Spannungsbogen. Ein Plot wie aus der Jammer- und-Schaudern-Geschichtenwerkstatt des Aristoteles. Was kann das Theater hier im Gegensatz zum Film leisten und welche Geschichte von Bonnie & Clyde will es erzählen?

Barbara Weber: Den Film verwenden wir höchstens als Zitat. Die Filmtechnik selber kann man nicht übernehmen. Mit Bildern und Kostümen versuchen wir einzelne Versatzstücke aufschimmern zu lassen. Der Road Movie und die ganzen Verfolgungsjagden sind in der Inszenierung nach innen verlegt – in den Raum, in eine Gruppe. Wichtig ist uns die Bildung dieser Gruppe und ihre Gruppenpsychologie. Die Enge und das Sitzen im Auto sind auf der Bühne in eine Metapher übersetzt.

Matthias Günther: Bonnie & Clydes Traum von der Weite steht im Gegensatz zum Sitzen im Auto, das an Familienausflüge oder Urlaubsfahrten erinnert: Gruppenhorror, Probleme, die sich verdichten. Das Innen des Autos ist das, was sich auf der Bühne abspielt. Man sitzt als Gruppe auf einmal auf engstem Raum zusammen und Dinge werden miteinander verhandelt, die sonst nicht Thema sind, weil jeder weggehen kann. So sortiert sich die Gruppe nach Rolle und Position der Einzelnen.
Der Road Movie ist die Übersetzung von Fahrt und Landschaft in Text und Erzählung. Der größte Traum eines Menschen ist es doch, einen anderen mit in die eigene Erzählung zu nehmen, zu fragen „Kommst Du mit in meine Erzählung?“. Bei Blumfeld heißt es kitschig „Kommst Du mit in den Alltag?“, aber eigentlich geht es darum, sich zusammen wegzuträumen. Jeder hat seinen Film im Kopf und möchte den anderen einladen, auf diesen Trip, diesen Road Trip mitzukommen. Und dann sitzt man da so eng zusammen und dann geht es um den Scheißalltag, Probleme haben, Wäsche waschen.

mucbook: In der Ankündigung zum Stück auf der Homepage der Münchner Kammerspiele wird  der Vergleich zwischen den ökonomischen Verhältnissen im Amerika der 20er Jahre und heute aufgemacht: finanzielle Depression, Banken- und Wirtschaftskrise, der verlorene Glaube an das kapitalistische System und ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit kennzeichnen die Situation. „Noch die sicherste Bank ist ein unsicheres Geschäft“, steht da geschrieben. Ist die Inszenierung als Kommentar auf die Wirtschaftskrise zu verstehen?

Barbara Weber: Bonnie & Clyde ist eine Art Parabel, die man in verschiedene Krisenzeiten projizieren kann. Was wir machen, ist, den Mythos oder die Legende von Bonnie & Clyde von heute aus zu betrachten. Wer sind heute die Outlaws? Es handelt sich doch um die Rächerphantasie des kleinen Mannes, des Normalos, oder eine Art Robin Hood, der Gerechtigkeit fordert. Heute will man sich von den Banken nicht mehr verarschen lassen, wobei ich glaube, dass das Gefühl heute eher eines der Ohnmacht ist, weil es nichts bringt, so wie die RAF einfach Leute niederzuballern. Uns geht es darum, die Stationen dieser Gegenweltbildung nachzuvollziehen, die erinnert an Pop und Rebellentum der 67er, 68er, an Protestaktionen, an die Anfänge der RAF.

Matthias Günther: Bonnie & Clyde ist Parabel und Märchen. Was macht den Gangster, den Räuber aus und wie organisiert sich eine Gegenkultur? Und was hat die wiederum mit der Gesellschaft zu tun, gegen die man sich wendet? Ich sehe da eine ganz lange Linie von Schillers Räubern, über die Nouvelle Vague und die RAF, hin zu heutigen Formen bei Quentin Tarantino. Hier spielt vor allem die Arbeit mit Images, mit Bildern eine große Rolle, das Thema sind sozusagen Schauspieler auf einem Set.

mucbook: Bonnie & Clyde sind  zwischen 20 und 25 Jahre alt. Sind es Rebellen, die gegen die Gesellschaft aufbegehren und ihre eigenen Grenzen suchen? Oder sind es doch nur zwei Menschen, die aus dem System gefallen sind und nun ein eigentlich ziemlich unglamouröses Dasein fristen?Wie geht die Inszenierung mit diesen Figuren um?

Matthias Günther: Bei den SchauspielerInnen haben wir einen Trick angewendet. Mit 38 Jahren ist Olliver Mallison der jüngste Schauspieler auf der Bühne, Murena als jüngster Mann ist 31. Die Figuren sind  wesentlich reflektierter. Die SchauspielerInnen spielen nicht 20-Jährige, die tragen was anderes in sich, bringen allein mit ihren Körpern Geschichten mit. Das ist doch das Entscheidende am Theater: Die Ästhetik des Performativen, von der auch Erika Fischer-Lichte spricht. Das, woran jeder Theaterkritiker scheitert, weil er nur den Text interpretiert. Der verzweifelte Versuch, ranzukommen an das innere Wesen des Theaters. Das wahre Geheimnis, die wahre Erotik der Verführung des Theaters konnte bisher noch keiner richtig entschlüsseln. Ganz wenige nur erreichen das für Momente in Essays: die absolute Gegenwärtigkeit des Jetzt, der Körper des oder der SchauspielerIn, die Sprachbilder.

mucbook: Die Geschichte von Bonnie & Clyde bietet ein ganzes Spektrum an möglichen Interpretationen: Handelt es sich um eine Geschichte voller Gewalt, ausgeübt von konventionellen Schurken, Verbrechern, Kriminellen, Gangstern? Das skrupellose, rücksichtslose Vorgehen scheint fast terroristisch. Oder sind die beiden doch Rächer, die Selbstjustiz ausüben à la Michael Kohlhaas oder Robin Hood? Oder haben wir es mit den romantisierten, idealisierten ‚guten Gangstern’ zu tun, die in einer tour de force gegen Gesellschaft, Konventionen, Regeln rebellieren? Man gelangt dann zu Nachfolgefilmen wie Bandits oder Thelma & Louise. Wie wollen wir Bonnie & Clyde heute sehen? Handelt es sich um TäterInnen oder Opfer? Gallionsfiguren der Freiheit oder Vogelfreie? Welche HeldInnen wünschen wir uns heute oder welche Mythen brauchen wir?

Barbara Weber: Das ist eine schwierige Frage.

Matthias Günther: Das ist eine ganz schwierige Frage in einer Zeit, in der es keine Helden mehr gibt. Und Heldengeschichten scheitern. Am deutlichsten ist das bei Camus ausgeführt, er zeigt uns ja, dass es den Helden oder die Heldin nicht mehr gibt. Camus reduziert es auf die Formel, dass es einen Moment geben müsste, in dem der Mensch zutiefst mit sich identisch ist und durch eine Aktion eine gesellschaftliche Veränderung für den Moment auslösen kann. Oder bei Goethe würde es heißen: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!“ Wir können höchstens einen Augenblick oder einen Lebensmoment erzeugen, eine komplette Heldengeschichte  gibt es nicht mehr. Helden sind heute gebrochen. Es ist immer ein sowohl-als-auch. Zum Beispiel das Sich-unterhalten, Unterhaltungskultur überhaupt, ist nicht eindeutig, unterliegt immer einer ästhetischen Zweideutigkeit. Und das macht der Abend auch. Ich meine wir spielen diesen Mythos. Und suchen dann aber was ganz anderes, etwas, was dann zwischen den Zeilen liegt.

Barbara Weber: Ganz genau, das hört sich sehr gut an!

mucbook: Liebe Barbara Weber, lieber Matthias Günther, vielen Dank für das Gespräch.

Termine:
11., 16., 23., 24.2.; 1., 6., 18.3., jeweils 20 Uhr; nur am 6.3. (20.30 Uhr)

Kammerspiele, Schaupielhaus

Foto: Arno Declair

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