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Mein Leben auf der Kippe – oder: wie es ist, mit 27 das Rauchen anzufangen

MUCBOOK Magazin

Einmal saß ich in der Schwabinger Sieben. Bei lautem Rock-Geschrammel und einem Bier fiel mein Blick auf eine mit Edding auf den Tisch geschmierte Zeichnung. Zu sehen: ein kleiner Mann, der auf einer brennenden Zigarette saß – den Arsch nicht auf Grundeis, sondern auf der Glut sozusagen. Darüber der Spruch: „ein Leben auf der Kippe“. Das fand ich witzig. Ich machte ein Foto und lud es auf Facebook hoch. Geraucht habe ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Noch lange nicht.

Eine unbestimmte Lust auf Tschiks – wie die Österreicher*innen so schön sagen – hatte ich aber vielleicht schon immer. Beim Verlassen der U-Bahn stand ich am liebsten hinter den notorischen Kettenraucher*innen, die sich schon auf dem Weg nach oben die Fluppe anzündeten. Dann hieß es: tief einatmen und kurze Zeit mitgenießen. Liebend gern drehte ich Zigaretten – auch wenn ich sie nicht selbst rauchte. Das ging so weit, dass ich Tabak, Blättchen und Filter kaufte und rollte, rollte, rollte. Ich verteilte sie auf dem WG-Balkon oder vor dem Atomic Café. 

Ich bin eine Spätzünderin

Selbst habe ich, bis ich 27 Jahre alt war, keine einzige Zigarette geraucht. Nicht einmal gezogen. In meiner Familie wurde viel geraucht, ich habe mich aber früh entschieden, dass ich nicht mitqualme. Die Warnhinweise auf den Packungen waren abschreckend. Mir war klar: Rauchen ist gesundheitsgefährdend. Sozialen Druck, doch mal zur Zigarette zu greifen, verspürte ich in meiner Jugend nicht. Denn die meisten meiner Freund*innen rauchten ebenfalls nicht. 

Nun könnte man denken: Wer bis Mitte Zwanzig nicht angefangen hat, wird es wohl auch nicht mehr tun. Die neuseeländische Regierung will daher ein Gesetz erlassen, das es Menschen zwischen 18 und 25 verbietet, zu rauchen. Das Risiko, danach eine Sucht zu entwickeln, ist viel geringer als im jüngeren Alter. Doch genau in der Zeit, als viele Bekannte sich mal mehr, mal weniger mühsam und manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich das Rauchen abgewöhnten, fing ich damit an. Was war da los?

Dann ging es ganz schnell…

Ich bin mit vielen Sachen ein bisschen später dran. Der erste Freund: mit 19. Das erste Smartphone: mit 25. Auf Instagram bin ich erst seit circa zwei Jahren. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass ich auch mit dem Rauchen spät anfing. Wie es losging? Ich hatte gerade eine turbulente Beziehung hinter mir. Ich wollte loslassen, weniger kontrolliert sein und zu einem gewissen Grad war bestimmt auch Selbstzerstörung ein Thema. Auch die gesellige Seite des Rauchens gefiel mir: Bei der Frage nach Zigarette oder Feuer, oder einfach dadurch, dass man den kleinsten gemeinsamen Nenner (das Rauchen) schon mal gemeinsam hat, kommt man mit vielen Leuten in Gespräche, die man sonst nicht führen würde. Und ist in Kreisen, die man sonst nicht erschlossen hätte. 

Von der Gelegenheitsraucherin, die in Kombination mit einem Glas Rotwein, guter Gesellschaft und tiefen Gesprächen raucht, bin ich innerhalb kurzer Zeit zu einer Vollzeit-Kettenraucherin mutiert. Seit nunmehr zwei Jahren gilt mein erster und letzter Gedanke am Tag den Glimmstängeln. Ihre gelegentliche Unverfügbarkeit sägt mir das Nervensystem an. Von den Gedanken „ich kann mich so viel zerstören, wie ich will“ oder „ich bin stark genug, jederzeit wieder aufzuhören“ habe ich mich längst verabschiedet. Heute empfinde ich das Rauchen als Sucht – ein Gefängnis, ohne Aussicht auf Entlassung. Das beschäftigt mich täglich. 

Irgendwann höre ich auf

Am meisten fehlen mir diese Momente als nichtrauchende Person untertags, in denen man einfach nichts tut. Einfach da sitzt und in die Luft starrt. Diese Momente gibt es nicht mehr. Sobald sich eine Lücke ergibt, ist da dieses Kribbeln in den Fingerspitzen und diese Lust auf eine Zigarette. Es fühlt sich dann so an, als würde ich auf glühenden Kohlen sitzen. Wann kann ich die nächste Zigarette rauchen? Und ich rieche nicht mehr nur nach mir selbst: hinzu kommt nun eine Mischung aus Parfüm und Zigaretten.

Romantische Momente werden vom Gang zum Fensterbrett unterbrochen. Was am Ende des Tages bleibt, ist kalter Rauch, der trotz geöffneten Fensters in der Küche hängt, und die Sehnsucht nach der Zeit, in der ich nicht verstand, was Suchtdruck ist. ​​Versuche, aufzuhören, gab es immer wieder. Bisher erfolglos. Das Foto von dem Mann auf der Kippe habe ich neulich von Facebook gelöscht. Ich hoffe, bald kann ich auch die Glimmstängel aus meinem Leben löschen.

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1Comment
  • Jenny Meier
    Posted at 22:00h, 04 Dezember

    Liebe Pauline,

    dein Text hat mich ehrlicherweise sehr erschreckt und mir fällt es schwer, einen passenden Kommentar zu formulieren. Ich habe selbst über 25 Jahre geraucht, bis ich endlich den Absprung geschafft habe. Das lag aber nicht an der Erkenntnis, dass ich mir für all den Tabak einen Sportwagen hätte leisten können. Ich wollte auch nicht viel sportlicher sein. Ich habe aufgehört, weil ich eine Magenblutung hatte und selbst im Krankenhaus kurz vor der Not-OP habe ich den Ernst der Lage nicht erkannt. Der behandelnde Arzt gab mir nach der OP und den Tagen auf der Intensivstation den dringenden Rat, mit dem Rauchen aufzuhören und meine Gewohnheiten zu ändern. Er hat das so eindrücklich gesagt, dass ich verstanden habe, dass es knapp war und ich beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr lebend aus dem Krankenhaus komme. Da habe ich aufgehört. Schade eigentlich, dass es erst soweit kommen muss. Und deshalb tue ich mich mit deinem Text so schwer. Einfach weil du erst so spät damit begonnen hast. Das war es doch nicht wert! Ich wünsche dir wirklich viel Kraft, dass du auch wieder aufhören kannst.

    Viele Grüße
    Jenny

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