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Meine Halte: Bonner Platz – Betonromantik und Altbaufassaden

Florian Kappelsberger

Als sich die Türen der U-Bahn öffnen, erwartet mich das charakteristische Orange der U3, erschlagen von grauem Sichtbeton. Was bei der Eröffnung zu den Olympischen Sommerspielen vor rund fünfzig Jahren als modern galt, scheint heute eher kalt, fast trostlos. Die Station ist wie leergefegt an diesem Mittwoch, die Bahn fährt ab und gibt den Blick frei auf die ebenso grauen Reliefs an der Wand hinter den Bahngleisen: ineinander strebende Hochhäuser, eckige Menschen an runden Tischen, eine idyllische Szene mit Affen, einer Schildkröte und weiteren Bewohnern des Tierparks. Heute würde man einen neuen U-Bahnhof vielleicht anders gestalten, und doch ist dieser Betonbrutalismus ein Teil von Münchens Stadtbild und Geschichte. Zudem stehen die fünf Stationen der Olympialinie seit letztem Jahr unter Denkmalschutz – so schnell ändert sich daran also ohnehin nichts.

Ich nehme die Treppe ins Zwischengeschoss und laufe vorbei an einem Bäckereistand und einem kleinen Kiosk, gerade beide verwaist. Schon hier, in dieser riesigen, unterirdischen Halle, spürt man den eisigen Wind, der im Freien zieht. An der Oberfläche angekommen blicke ich mich auf dem Platz um, dem die U-Bahnstation ihren Namen verdankt. Es ist genau genommen weniger ein Platz als ein weitläufiger, unübersichtlicher Knotenpunkt von Straßen, über den endlose Kolonnen von Autos hetzen.

Die Geister von Dichtern und Revolutionären

Das Viertel hat die Bombardierung während des Zweiten Weltkriegs relativ intakt überstanden, seine Grundlinien sind weitgehend unverändert: lange Straßenzüge, Blockrandbebauung, Gründerzeitfassaden in kräftigen Farben – schick, klassisch, sehr Schwabing. Wie mir der kleine Aushang neben den Fahrplänen hinter der dicken Glasscheibe verraten hat, lebten hier früher berühmte Künstler wie Rainer Maria Rilke oder Rainer Werner Fassbinder, aber auch die exilierten russischen Revolutionäre Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki. Und wer lebt heute hier?

Während ich an der dicht befahrenen Karl-Theodor-Straße entlanglaufe, vorbei an zwei Bäckereien, einem Metzger und einer Früchtehandlung, achte ich auf die Menschen, die mir entgegenkommen: Student*innen, junge Paare mit Kinderwägen, Rentnerinnen und Rentner. Ich muss auch an unseren aufgekratzten Nachbarn Enzo denken, der schon seit mehr als vierzig Jahren in Schwabing-West wohnt. Oft fängt er einen mit einer Zigarette in der Hand und einem ansteckenden Grinsen vor der Haustür ab, und man wird in ein Gespräch über Tiefkühlpizza, verlorene Schlüssel oder – natürlich – die Corona-Auflagen verwickelt.

Ich erreiche die Kreuzung zur Belgradstraße, auf der anderen Straßenseite steht, etwas einsam, das fünfstöckige Eckhaus, in dem auch unsere WG liegt. Hier treffen zwei Hauptstraßen aufeinander, neunzehn Ampeln regeln den dichten Verkehr, alle paar Minuten rumpelt eine Tram vorbei. Auch hört man immer wieder Sirenen, die Hauswände färben sich blau und Krankenwägen schießen die Straße hinunter auf dem Weg in die nahegelegene Schwabinger Klinik. Wer der Belgradstraße in beide Richtungen lange genug folgt, begibt sich auf eine kulinarische Weltreise – indisches Palak Paneer, türkischer Kebap, japanische Maki, äthiopisches Shiro Wat. Ich dagegen laufe noch etwas weiter die Karl-Theodor-Straße entlang und lande am Eingang des frühlingshaften Luitpoldparks.

Eine Insel der Ruhe

Im Gegensatz zum lärmenden Verkehr, der mich nur wenige Minuten zuvor begleitet hat, herrscht hier eine angenehme Stille. Um die Mittagszeit ist nicht viel los im Park, ich gehe vorbei an kahlen Bäumen, gemütlichen Spaziergängern und ein paar verwegenen Joggern. Der mehr als dreißig Meter hohe Luitpoldhügel, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem angehäuften Schutt zerstörter Häuser entstand, wird im Moment nur von vereinzelten Hunden erobert, die ihre Frau- und Herrchen ausführen.

Auch ich beginne, auf dem geschlängelten Weg langsam den Hügel hinaufzusteigen. Oben angekommen bestaune ich dann den einzigartigen Ausblick auf die Kulisse der Innenstadt, durchsetzt von gigantischen gelben Kränen: die Zwillingstürme der Frauenkirche, das Neue Rathaus, die Universitätskirche St. Ludwig, die Theatinerkirche – und dahinter, von den Wolken halb verdeckt und nur ahnbar, die blaue Silhouette des Bergpanoramas.

Fotos: © Lucas Thannhäuser

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