Mittersendling und Ich
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Meine Halte: Mittersendling – Schrebergärten und Baustellen-Idylle

Anne Lenz

Eine charmante Frauenstimme kündigt 5 Minuten Verspätung an, während sich die Bauarbeiter*innen über den Lärm des Baukrans hinweg Kommandos entgegen schreien. Ich vernehme bayrische Flüche und Antworten auf Sprachen, die ich nicht verstehe. Die S-Bahn-Station Mittersendling überzeugt mit ihrem malerischen Ausblick auf Baugerüste, Graffiti und Plakattafeln. Eine kleine Ansammlung von Schrebergärten direkt neben den Gleisen macht die Großstadtidylle perfekt.

Ein Halt wird Heimat

Bevor ich hierher zog, schien Mittersendling nur ein unbedeutender Zwischenhalt auf dem Weg in die Judohalle zu sein. Zugegebenermaßen glänzt die S-Bahn-Station nicht mit ihrer Schönheit, im Gegenteil. Allerdings verbergen sich hinter vereinzelten Bäumen und Werbetafeln freundliche Altbaufassaden, verziert mit Stuck und Graffiti über deutsche Parteien und die Klimapolitik.

Paris 1,5

Ein kleiner Fußweg, der selbstredend neben einer Baustelle verläuft, bringt dich zu den lebensnotwendigen Institutionen meiner Wohngegend: Der örtliche Rewe, ein Fitnessstudio und eine Boxschule. Noch viel wichtiger sind aber natürlich die Del-Fiore Eis-Manufaktur und das Urban-Street-Food Restaurant Pablo Panini.

Börek und Bierstadl

Genauso existenziell erscheint mir der Life Supermarkt in meiner Straße. Obwohl der Laden nicht besonders groß ist, erweckt er den Eindruck, jedes auch nur erdenkliche Produkt zu verkaufen. Außerdem merkte sich der Besitzer bereits nach meinem zweiten Besuch, dass sein hausgemachtes Börek von nun an fester Bestandteil meiner Ernährung sein sollte. Das, und das Sortiment an Snacks aus aller Welt reichten aus, um mein Herz zu gewinnen.

Es scheint außerdem ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass an jeder Ecke eines Wohnhauses ein Bierstadl zu sein hat. Dort finden sich die Bewohner*innen Sendlings zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Kaffee, Bier und Zigaretten ein. Bei einem Haferl Kaffee vor der Gaststätte Mittersendling kann man das gemütliche Treiben ausgezeichnet beobachten. Wie die Kleinsten des Viertels zu den Kindergärten gebracht werden, wer zur Moschee Al-Salam möchte, oder am Sonntag den Gang zur Kirche St. Achaz antritt.

Interessant ist sicherlich auch, auf welchem Weg die Studierenden gerade der Online-Uni entfliehen. Ein Skateboard an den Rucksack geschnallt oder ein Basketball unter dem Arm balanciert, lassen die Sportanlage Untersendling oder den Sendlinger Park als Ziel erahnen. Mit einer Flasche Wein im Fahrradkorb, etwas Gesellschaft und selbstverständlich Börek im Gepäck, kann man seinen Abend auch wunderbar an den Isarauen des Flauchers verbringen.

Musik und Mate auf dem Fensterbrett

Innenhofromantik

Besonders idyllisch ist aber die Harmonie im eigenen Innenhof. Die Hektik der Stadt kann einem oft den Atem rauben. Bei einem Mate auf der Fensterbank den Geräuschen eines Tischtennisspiels im Hof zu lauschen, während der Duft von frisch gekochten Essen in der Luft liegt, wirkt heilsam. Ist dann auch noch Zeit der Sommerstraßen, hört man manchmal eine Jazzband oder eine Violine, die in der Nebenstraße für Unterhaltung sorgt.

Mittersendling ist schon ziemlich schön, so im Dachfenster sitzend mit dem Blick in den sich rot färbenden Himmel. Mit dem leisen Ächzen der vorbeifahrenden S7 und dem Blick auf die Flutlichtanlage des Grünwalder Stadions in weiter Ferne.

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