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Meine Halte: Die Markgrafenstraße – mitten im Garten der Großstadt

Barbara Manhart

„Näxter Hoit: Markgrafenstraß‘“ bayert der Busfahrer durch die Sprechanlage. Irgendwo auf seinem sich wiederholenden Weg zwischen den U-Bahnstationen Truderinger Bahnhof und Neuperlach Zentrum, liegt sie. Ganz unauffällig. Meine Halte.

Sommer in der Gartenstadt

Der Bus hält schnaufend an und als ich aussteige, streift das Licht der goldenen Abendsonne mein Gesicht. Es ist Anfang Juli. Ein frühsommerlicher Tag mit blauem Himmel, Wolken, die sich durch ihre Abstinenz auszeichnen und grünem Laub an den Bäumen, neigt sich seinem Ende entgegen. Ich stehe zusammen mit einigen anderen Leuten an der Ampel und warte darauf, dass sie uns die Erlaubnis erteilt loszulaufen. Während ich so dort stehe, beobachte ich die Leute um mich herum.

Eine ganze Herde an Jogger*innen trabt in gleichmäßigem Tempo an mir vorbei, Fahrradfahrer*innen radeln vom nicht weit entfernten Baggersee im Riemer Park die Straße nach Hause. Eine Frau nimmt eine Sprachnachricht mit ihrem Handy auf, während sie in der anderen Hand die Hundeleine hält, an der ein beiger Mops zerrt. Wahrscheinlich riecht er die Pizza, die sich in den Kartons versteckt, welche das Pärchen unter dem Arm trägt, das gerade an ihm vorbeischlendert. Die beiden werden von zwei Inlineskaterinnen überholt, die leichtfüßig – oder doch eher leichtrollend – die Straße überqueren. Autos sind zu dieser Tageszeit wenige unterwegs. Die meisten Leute sind schon seit einigen Stunden von der Arbeit zu Hause, haben zu Abend gegessen und vertreten sich jetzt die Beine zusammen mit Partner*in, Freund*innen oder den Kindern. Die Markgrafenstraße und das Viertel, welches sie umgibt, sind Dreh- und Angelpunkt für familiäres Leben. Familien mit kleinen Kindern, Familien mit großen Kindern, gemischt mit jungen Erwachsenen und Senior*innen.

Ein bisschen von allem

Hauptsächlich ist sie Wohngegend, doch man kann hier theoretisch auch sein ganzes Leben verbringen. Alles Lebensnotwendige – der Supermarkt, der Friseur und natürlich zwei Biergärten – befinden sich in fußläufiger Nähe. Ein bisschen kommt einem das Ganze vor wie ein Dorf. Alle kennen sich, freitags gibt es einen Markt auf dem zentralen Platz und ab und zu fährt auch mal ein Traktor vorbei, der die Felder umpflügt.

Streift man durch die Gegend findet man im Sommer viele Weizenfelder, aber auch Blumenwiesen und Parks. Gartenstadt-Trudering trägt seinen Namen nicht umsonst. Das Viertel fühlt sich vor allem im Sommer an wie ein großer Garten. Aber zu Gärten gehören natürlich auch Häuser, die den Stadt-Teil von Gartenstadt erklären. Hauptsächlich stehen hier kleine und große Ein- und Mehrfamilienhäuser. Und wo es so viele Familien gibt, darf es natürlich auch nicht an Schulen mangeln. Auf der gegenüberliegenden Seite meiner Halte befinden sich gleich zwei davon. Die Markgrafengrundschule und das Gymnasium Trudering. Beide Schulen habe ich besucht. Als die Ampel grün wird, überquere ich die Straße und befinde mich direkt auf dem Platz vor meinem ehemaligen Gymnasium.

Nachhaltigkeitsprojekt als Programm

Treffpunkt seit 2013: Der Vorplatz des Gymnasium Trudering

Am Gymnasium sitzen jetzt an lauen Sommerabenden viele Jugendliche. Lustig eigentlich, dass so viele junge Leute über die Schule fluchen, aber dann ausgerechnet hier ihre freien Abende verbringen. Musik dröhnt aus Lautsprechern und echot von den Wänden. Bierflaschen klirren aneinander, manchmal klirren sie auch auf den Boden. Der Platz vor der Schule ist Umschlagort für Jugendslang, Tiktok-Videos und auch mal der ein oder anderen nicht ganz legalen Substanz, deren süßlicher Geruch die Luft durchzieht. Das und die Lautstärke, mit der hier teilweise gefeiert wird, erklärt auch die Polizeipräsenz, die seit dem Bauabschluss der Schule 2013 herrscht. Wer schon länger hier wohnt, erinnert sich vermutlich noch an die Zeit in der sich an Stelle der Schule eine pädagogische Farm mit Pferden, Schafen und Tipis, einem Bolzplatz und dem Schlittenhügel befanden. Während erstere dem Erdboden gleichgemacht wurden, entschied man sich spontan dafür, den Schlittenhügel zu verschieben. Jetzt steht er einige hundert Meter weiter weg.

Alles neu – immer wieder

Der Bau der Schule ist nicht die erste Veränderung in Trudering. Erst vor zwanzig Jahren entstand neben Gartenstadt-Trudering und entlang der Markgrafenstraße sogar ein ganzes neues Viertel. Neutrudering. Veränderung – etwas dem man durchaus kritisch gegenüberstehen kann. Als man mir in der Grundschule erklären wollte, dass mein geliebter Schlittenhügel und die Farm, mit der ich aufgewachsen war, meiner künftigen Schule Platz machen sollte, ging ich auf die Barrikaden. Sammelte Unterschriften gegen den Bau. Und scheitertet mit meinem Vorhaben, das Ganze zu verhindern. Veränderung – etwas dem man durchaus kritisch gegenüberstehen kann, dem aber kein Mensch und auch kein Ort entkommt. Mittlerweile sehe ich das Ganze mit der Veränderung nicht mehr so dramatisch und bin gespannt, was das Leben mit mir und meiner Halte noch vorhat. Denn eins ist sicher: Auch wenn es mich mal irgendwo anders hin verschlägt, oder wenn sie oder ich uns verändern, zurückkommen werde ich immer. An meine Halte.

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