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Meine Halte: Wolfratshausen – “Liebe Fahrgäste: Unsere S-Bahn endet dort.”

Melissa Fricke

Im Bereich zwischen McDonalds und Fahrkarteninformation riecht es nach Urin. An der Bushaltestelle sitzt ein alkoholisierter Mann, der unverständlich vor sich hin schimpft. Eine Gruppe Jugendlicher steht im Regen, weil irgendjemand bei der Planung meiner Haltestelle dachte, man brauche an einem Bahnhof keine Unterstellmöglichkeiten. Vor dem Pamukkale drängen sich hungrige Menschen in einer meterlangen Schlange – kein Wunder, hier gibt es schließlich den besten Döner Oberbayerns (das ist kein Witz, überzeugt euch selbst). Die Bahnhofsuhr geht mindestens 10 Minuten vor, und das schon seit ich denken kann.

Außen Hui, innen meistens Pfui

Endstation Wolfratshausen. Eine Kleinstadt, deren Charme man zumindest hier am Bahnhof vergebens sucht. Kommt man mit dem Auto aus Icking in das Städtchen, sieht es eigentlich recht vielversprechend aus: Von den Serpentinen aus hat man einen wunderschönen Blick über die Stadt mit den Bergen im Hintergrund, sie wird umringt von Isar und Loisach, im Bergwald kann man toll spazieren gehen, es gibt besagten S-Bahn-Anschluss und eine recht akzeptable Altstadt.

Das große Problem: Es ist zwar ganz hübsch aber verdammt langweilig.

Und an dieser Haltestelle ist die Stadt nicht nur das: Hier ist sie dreckig und unangenehm und man kriegt das Gefühl nicht los, dass alle, die hier warten, nur so schnell wie möglich weg wollen. Dieser Eindruck hält allerdings nur so lange an, bis man sich am Kiosk beim Taxistand Tabak kaufen möchte, denn hier sitzen nicht nur eingesessene Wolfratshauser beim Bier trinken, hier arbeitet auch die netteste Verkäuferin der Stadt, die es immer schafft einem etwas gute Laune mitzugeben – sogar wenn man gerade seine S-Bahn verpasst hat und die nächste erst in 40 Minuten fährt.

Gestrandet in Hölli

Entfernt man sich von der Haltestelle, scheint Wolfratshausen mit jedem Meter müder zu werden: Niemand ist auf der Straße und erst recht keine Menschen unter 50 Jahren. Ein reges Nachtleben ist hier mehr oder minder Fehlanzeige. Das haben wir leider um ein paar Jährchen verpasst, denn zu Zeiten meiner Eltern gab es hier mehr Kneipen als Ampeln und egal wo man hingegangen ist, war immer irgendwas los – natürlich nur auf die Kleinstadt Art und Weise, aber immerhin. So etwas wie eine Stammkneipe haben ich und meine Freund:innen nicht mehr und sowas braucht man doch eigentlich, oder nicht?

Wenigstens haben wir die S-Bahn nach München – doch fährt man aus der Klein- in die Großstadt, ist man gezwungen, sich zwischen der letzten und der ersten S-Bahn nach Hause zu entscheiden, man muss die Heimfahrt nach dem Feiern auf sich nehmen und außerdem muss man hoffen, dass man nicht in Höllriegelskreuth strandet, weil die Bahn aus irgendeinem Grund nur bis dorthin fährt. Landleben kann so idyllisch sein. Ha, ha.

Ich hab dich trotzdem gern, Wolfratshausen

Ich könnte wahrscheinlich stundenlang schimpfen über die Endstation der S7, aber trotzdem kann ich meine Halte meistens ganz gut leiden. Im Sommer mehr als im Winter. Da verbringe ich gern den ganzen Tag mit Leuten, die ich gerne hab und die ich nur dank dieser Kleinstadt kenne, auf einer ansonsten menschenleeren Kiesbank, ein vom Isarwasser gekühltes Bier in der Hand und vermisse das Großstadtleben nicht ein Bisschen.