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MK: Atemprotokolle – über das Leben und Sterben mit Covid auf der Intensivstation

Esra Yüceyurt

„Man will es ja nicht mehr hören wie schlimm das Sterben ist.“

„Wir haben jede Nacht jemanden intubiert und jede Nacht ist jemand gestorben.“

Ganz ehrlich, ich musste erst mal Schlucken, als ich diese Sätze hörte. Dabei ist das für viele von uns leider Alltag. Die Corona-Pandemie und wie es dem medizinischen Personal, den Angehörigen und den Betroffenen damit geht – ein Thema mit dem wir schon seit über zwei Jahre durchgehend konfrontiert sind.

Am 2. Februar zeigten die Münchner Kammerspiele im Schauspielhaus die Lesung „Atemkontrolle – über das Leben und Sterben mit Covid auf der Intensivstation“ von Miriam Tscholl. Die handelt unter anderem von Klinik-Mitarbeiter*innen, die an ihre Belastungsgrenzen geraten. Oder vom Umgang mit Impfgegner*innen und Angehörigen in den letzten Gesprächen vor dem künstlichen Koma. Ausgehend von verschiedenen Interviews, die Tscholl mit Mitarbeiter*innen der Intensivstation des Klinikums Nürnberg Nord führte, erzählt der Abend die Geschichte von vier Pandemiewellen aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Und eröffnet so dem Publikum ein komplett neues Empathie-Empfinden.

Foto: Judith Buss

Corona mal anders

Die Türen zum Schauspielhaus öffnen sich und das eher überschaubare Publikum (eine maximale Auslastung von 50 Prozent ist erlaubt) geht gespannt in den eleganten Saal rein. Alle setzten sich, es ist relativ still. Wir werden von mehreren Tischen und Stühlen auf der Bühne empfangen. Keine fünf Minuten später geht es auch schon los und die Schauspieler*innen kommen auf die Bühne. Sie setzten sich und fangen an, ihre Texte vorzutragen.

Falls du jetzt denkst, es werden einfach nur monotone Sätze runtergerasselt: falsch gedacht. Durch ihre ausdrucksstarken Stimmen schaffen es die Vortragenden, den Geschichten Gefühle mitzugeben und das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Auch der Blickkontakt mit dem Publikum sorgt dafür. Die einzelnen Abschnitte begleitet ein Akkordeonspieler. Durch die musikalische Begleitung kommt mehr Spannung und Abwechslung auf. Die Musik klingt leicht bedrängend und baut sich auf, passend zur Corona-Situation.

Situation in den Krankenhäusern, Foto: Anton Baier

Aneeka & Cansu, Benjamin Blümchen, die Hühnersuppe…

Der Abend erzählt von Einzelschicksalen und geht dabei auf mehrere Perspektiven ein. Dadurch ist es dem Publikum möglich, weitere Betrachtungen zu erfahren. Die Geschichten werden nicht beschönigt und geben einem ganz schön was zum Nachdenken.

Ich muss selbst zugeben, dass ich zunächst kritisch war: “Eine Lesung über Corona? Was soll da schon dabei sein, das ich noch nicht gehört habe?” Vielleicht haben wir das meiste schon gehört, aber verdrängen es nur gekonnt. Verdrängung ist auch etwas, mit dem sich das Klinikpersonal des Krankenhauses Nürnberg auskennt. Denn um nicht zu sehr zu leiden, müssen sie abstumpfen und die ganzen komatösen Patient*innen als Werkstück sehen.

Man kann nicht unendlich mitleiden, sonst geht man in die Klapse oder bringt sich um.

Bei der Geschichte “Benjamin Blümchen” geht es um genau das: den Umgang mit Komapatient*innen, dem Tod und der Überforderung der Angestellten. Eine weitere Erzählung betrifft Töchter, die von ihrem sterbenden Vater Abschied nehmen müssen.

Autorin Miriam Tscholl, Foto: Michael Kleinhenn

Fazit: Hinhören!

Die erzählten Schicksale sind traurig und sehr bewegend, dennoch kam ab und zu ein kleiner Hoffnungsschimmer durch. Dadurch verließ man den Saal zwar nachdenklich, aber dennoch irgendwie ausgeglichen.

Aber eins ist mir auf jeden Fall nochmal deutlich klar geworden: Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit. Genauso wenig wie all die Menschen, die sich täglich bemühen das Leben anderer zu Retten und dabei ihr Bestes geben.

Weitere Termine der Lesung und Tickets findest du hier: Atemprotokolle – über das Leben und Sterben mit Covid auf der Intensivstation.


Beitragsbild: Judith Buss

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