Aktuell, Kolumnen, Münchner Gesichter
Münchner Gesichter mit Die Funzel – Warum philosophiert ihr?
- Hyperreality im schwere Reiter Theater – Warum tust du das? mit Nicole C. Strasser - 14. Oktober 2022
- CLUBHAUS Gesichter mit COWERKEN - 13. Oktober 2022
- Wenn Schlafstädte aufwachen – Erkenntnisse des Barcamps auf dem Ponyhof der Pioniere - 2. August 2022
Die Funzel ist ein überregionales, studentisches Philosophiemagazin, das sich im Sommer 2018 in München gegründet hat. Neben einer halbjährlich erscheinenden Printausgabe veröffentlicht die Funzel auch regelmäßig Essays, Rezensionen und Literatur auf ihrem Blog. Die sechste Ausgabe ‘Cosmos’ ist bereits in Arbeit und erscheint gegen Anfang April. Außerdem richtet die Funzel Abendveranstaltungen aus und organisiert Sommerakademien. Wir haben das Die Funzel Team gefragt, wie man denn so philosophiert und sie haben für uns philosophiert.
Was macht die Funzel anders als andere Philosophiemagazine?
Maximilian: Wir haben handgefertigte Sudokus! Aber Augenzwinkern beiseite. Im Moment gibt es vor allem drei Kategorien philosophischer Hefte: Es gibt die wissenschaftlichen Fachjournale, die monatlichen Philosophiemagazine für eine breite Leserschaft, und die kleinen Hefte an den Unis, in denen Studierende sich im Schreiben üben.
Wenn du dich nun für Philosophie interessierst und deine Gedanken mitteilen willst, kannst du natürlich nicht gleich in den großen Magazinen publizieren. In den Uni-Zeitschriften erreichst du oft nicht viele Menschen. Diese Lücke wollen wir mit der Funzel füllen.
Wir wollen jungen Philosophieinteressierten eine Diskussionsplattform bieten. Gleichzeitig wollen wir echte philosophische Debatten führen, die auch die akademische Forschung miteinschließen. Und wir wollen Fachfremde für die Philosophie begeistern. Das führt zu einem ungewöhnlichen Format, in dem anspruchsvolle Aufsätze neben kurzen, spritzigen Texten stehen, in dem viel kreativ gearbeitet wird, und eben auch mit Humor und Ironie.
Was bedeutet euch die Funzel?
Maximilian: Mir persönlich bedeutet die Funzel aufgrund ihres Gemeinschaftsgeistes sehr viel. Das ist ein großes Privileg, in einer Zeit, in der viele Studiengänge enorm anonym geworden sind. Ich habe durch die Funzel sehr viel gelernt, fast mehr als im Studium. Man kann unkompliziert online Texte veröffentlichen, bekommt unmittelbar von anderen Rückmeldungen, erntet Widerspruch… das ist großartig, und schlichtweg notwendig.
Dass „wir Philosophen“ alle einsam in unseren Turmzimmern hocken und lesen, uns nur mit uns selbst beschäftigen – das ist ein Trugbild. Fachfremde sollten uns so nicht wahrnehmen, und „wir Philosophen“ sollten uns auch nicht so verhalten. Gute Gedanken entstehen im Dialog!
Tizia: Yeah! Ich habe das Philosophiestudium eher aus Zufall, einer vagen Intuition und einem Mangel an Alternativen angefangen und fand es streckenweise ganz furchtbar. Die Funzel war und ist für mich der Ort, an dem die Philosophie das macht, was sie auch machen sollte: bilden, anregen, Spaß machen, anprangern, kritisieren, Einfluss nehmen.
Hannes: Die Funzel – oder vielmehr das Team, das sich hinter diesem Namen versammelt – ist sowas wie ein Kollektiv kreativer und verrückter Köpfe, die dem akademischen Lifestyle mit Charme begegnen und dabei versuchen, elitäre Etikette hinter sich zu lassen. Sie lediglich als eine Zeitschrift zu begreifen, wird ihr eigentlich nicht gerecht.
Welche Themen sind euch besonders wichtig?
Tizia: Wir sind inhaltlich nicht festgelegt, auch wenn bestimmte Themen immer wieder auftauchen – wie beispielsweise die Klimakrise, Tierethik, soziale Gerechtigkeit. Aber eigentlich kann man alles so verpacken, dass es spannend wird. Wirklich wichtig sind für mich eher die Form als der Inhalt. Wir wollen mit unseren Gedanken möglichst frei umgehen, neue Formate oder Ausdrucksweisen finden, und uns nicht von Konventionen einschränken lassen.
Ein Text sollte etwas sagen, und nicht eine leere Seite Geschriebenes sein. Außerdem wichtig ist uns Offenheit für Kritik und das Eingeständnis, dass die eigene Position, der eigene Text, nicht der Wahrheit letzter Schluss ist. Es gibt nichts Schlimmeres als einen selbstgerechten Text oder eine*n selbstgerechte*n Autor*in.
Maximilian: Definitiv! Wir wollen die Debattenkultur pflegen. Nichts ist furchtbarer, als ein Magazin zu lesen, in dem man immer wieder den gleichen Einheitsbrei auf unterschiedliche Weise gesagt bekommt. Für eine ehrliche und spannende Auseinandersetzung braucht man Mut und die Fähigkeit, sich auf sich selbst und die anderen ergebnisoffen einzulassen.
Das ist etwas, das ich in den öffentlichen Debatten nicht so oft sehe. Da erlebe ich eher, dass die Menschen denken, sie wüssten bereits Bescheid und müssten jetzt nur noch ihre Meinung möglichst erfolgreich verbreiten. Das finde ich nicht gut, denn eine demokratische Gesellschaft lebt davon, dass Menschen miteinander ins Gespräch und gemeinsam auf gute Gedanken kommen.
Hannes: Was man dennoch sagen kann ist, dass es sehr wohl Leute bei der Funzel gibt, die für ganz bestimmte Themen brennen. Auch das ist wichtig, denn um Gutes zu fabrizieren, ist es unerlässlich, gewisse Fragen leidenschaftlich und mit Nachdruck zu verfolgen. Spannend ist hier, wie der thematische Dunstkreis jeder Ausgabe in verschiedensten Schwerpunkten aufgeht. Ich für meinen Teil sehe mich auch in absehbarer Zeit noch gut beschäftigt – mit relativ alltagsnaher Reflexion über Daten, Demokratie und digitale Autonomie.
Muss man Philosophie studieren, um die Funzel zu lesen?
Tizia: Hoffentlich nicht! Wie versuchen einen Spagat zwischen verschiedenen Formaten – u.a. zwischen dem Format eines Fachjournals und einer Studentenzeitschrift. Wenn man also philosophisch interessiert ist, sollte das für die Funzel reichen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn man durch die Funzel, also durch das Mitmachen oder die Lektüre, etwas lernt bzw. zu neuen Gedanken angeregt wird. Die Frage würde ich also polemisch umdrehen: Muss man Philosophie studieren, um die Funzel zu lesen? Nein. Mit der Funzel studiert man Philosophie!
Maximilian: Absolute Zustimmung! Wer die Funzel liest, ist live beim Philosophieren zugeschaltet. Man sieht direkt, wie denkende Menschen in Auseinandersetzung mit Fragen, die ihnen wichtig sind, eigene Ansätze entwickeln.
Hannes: Apropos live: Mit Fokus auf Debattenkultur ist unser Blog nennenswert. In der Kommentar-Sektion ist es da möglich, sich ganz ohne akademische Hürden einzubringen oder auch mal kontroverse Debatten anzuzetteln.
Was macht ihr neben eurer Arbeit für die Funzel?
Tizia: In unserer Freizeit versuchen wir, gängige Philosophenklischees zu erfüllen. Ich für meinen Teil trage schwarze Rollkragenpullover, rauche Kette und trinke Café auf einem verregneten Boulevard, wo ich schwermütig aus dem Fenster gucke. Egal um was es geht: Ich bin dagegen.
Maximilian: Ich arbeite auf meine Halbglatze hin, gebe unverständliches lateinisches Gebrabbel von mir und beschäftige mich hauptsächlich mit irrelevanten Details. Zum Beispiel mit der Frage, ob die Farbe „Rot“ eine Sehempfindung oder ein Seinszustand ist. In meiner Freizeit lerne ich Hebräisch.
Hannes: Dann übernehme ich den Müßiggänger. Folgendermaßen: Nachdem ich meinen chronischen Selbstfindungsprozess um einige Traumdeutungen erweitert habe, ziehe ich einen Panamahut auf und setze mich in den Englischen Garten. Ich packe sieben Skizzenbücher aus, durchtränke meine Ideen mit philosophischem Irrsinn und mache „Kunst“ als sitzender Flaneur.
Liebt die Funzel München?
Tizia (bekommt feuchte Augen): Natürlich, liebt die Funzel München. Zumindest einige Teile von ihr. Zumindest ich. Aber Spaß beiseite. Die Funzel wurde in München gegründet und ist durch viel Unterstützung aus München zu dem geworden, was sie ist, auch wenn es sie mittlerweile an anderen Orten gibt. Ich persönlich glaube, die Stadt, die Atmosphäre, die Uni hat im Guten wie im Schlechten schon maßgeblich beeinflusst, dass und wie die Funzel entstanden ist. Wie könnte man bei Bier und Philosophie im Englischen Garten nicht auf die Idee kommen, eine Zeitschrift zu gründen?
Maximilian: Absolut. Ich weiß aber nicht, ob die Funzel ein großer Fan der Allianz-Arena ist…
Wobei kann uns die Philosophie im Augenblick helfen?
Hannes: Ich habe manchmal den Eindruck, als ob das eigenständige Denken aus der Mode gekommen wäre. Leute ersticken ihre Gedanken lieber in einer medialen Bildflut, viele hängen 24/7 an ihren Kopfhörern, anstatt sich mit dem eigenen Gedankengut zu befassen. Ohne Zeit für tiefergehende Besinnung kommen wir von einem ins Nächste. Häufig finden wir uns zwischen den Informationsgewittern der Gegenwart und den Anforderungen der Zukunft selbst nicht wieder, und verlieren dabei Stück für Stück unsere Selbstbestimmung.
Philosophie als Weg zur Selbstbestimmung
Hier kommt die Philosophie ins Spiel: Indem wir die uns dargebotene Welt nicht als gegeben hinnehmen, sondern eigenständig denken und hinterfragen, können wir es schaffen, uns in der Welt selbst besser zu verorten und zu orientieren. Wenn wir unseren Gedanken mehr Aufmerksamkeit schenken und unseren Alltag philosophischer betrachten, werden wir freier und selbstbestimmter. Das alles – mit dem sehr unphilosophisch daherkommenden Schwerpunkt „Lifestyle“ – haben wir in unserer letzten Ausgabe versucht.
Tizia: Ich finde die Frage nach dem Wert der Philosophie interessant, auch wenn ich das Wort „helfen“ ein wenig irreführend finde. Es ist nämlich nicht so, dass man Philosophie studiert und dann auf einmal schlauer ist als die Anderen. Genauso wenig macht einen die Philosophie automatisch zu einem besseren Menschen oder hilft per se gegen Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung, etc. Ich finde aber, dass die Philosophie hilfreich im Umgang mit gewissen Dingen sein kann. Zum Beispiel im Umgang mit Argumenten, mit Meinungen oder Informationen.
Orientierung im Meinungsgewitter
Wenn man sich eine Weile mit Philosophie beschäftigt, erlernt man einen gewissen Scharfsinn, ein Gefühl dafür, welche Informationen relevant sind und welche eher nicht, welche Annahmen falsch oder widersprüchlich sind, und welche Perspektive vernünftig und welche verstellt ist. Das kann bei dem Überfluss an Meinungen und Information, der unsere Zeit maßgeblich bestimmt, Orientierung geben. Philosophiegeschichtlich wäre Platons Antwort auf den Nutzen der Philosophie, wenn man ihn sehr vereinfachen würde: die Philosophie hilft uns dabei, hinter die Kulissen zu sehen, nicht alles zu glauben, was uns so erzählt wird und uns die Welt auf eine unverstellte Art und Weise zugänglich zu machen.
Maximilian: Ich bin ernsthaft davon überzeugt, dass uns der Akt des philosophischen Nachdenkens dabei helfen kann, zu freieren und selbständigeren Menschen zu werden. Was auch oft vergessen wird, ist, dass unser heutiges Weltbild – im Guten wie im Schlechten – viele seiner Ursprünge in den Gedanken früherer Philosoph*innen hat. Zum Beispiel die Idee der modernen Wissenschaft. Oder unsere Gesetze. Hinter unseren Lebenswirklichkeiten liegen oft weitläufige Debatten, in die man philosophisch knietief einsteigen kann.
Als Übersetzer zwischen dem “Woher” und dem “Wohin”
Wer sich darauf einlässt, lernt nicht nur einen Haufen darüber, wie die Welt zu dem geworden ist, was sie heute ist, sondern wird eventuell auch in die Lage versetzt, über die zukünftige Entwicklung dieser Welt ernsthaft mitzureden. Und davon mal ganz abgesehen: Philosophie macht doch auch einfach Spaß! Wenn der philosophische Alltag daraus besteht, aufregende Texte zu lesen, eigene Gedanken zu entwickeln, sich mit seinen Freunden darüber auszutauschen – und vielleicht ab und an selbst etwas zu Papier zu bringen – was ist das denn bitteschön für ein schöner Lifestyle? Das habe ich mich schon immer gefragt, und mich gewundert, warum das nicht mehr Leute machen. Aber jetzt gibt es dafür ja die Funzel.
Wo findet man euch und wie kann man euch unterstützen?
Tizia: Analog in den Schwabinger, Freiburger und Londoner Cafés, digital auf Facebook, Instagram, Okuna und unter www.diefunzel.com. Die neueste Ausgabe Lifestyle ist in verschiedenen Buchhandlungen und über unseren Online-Shop erhältlich.
Wenn jemand nach der Lektüre dieses Interviews vor Begeisterung vom Hocker gefallen ist, darf er oder sie uns gerne durch Mitmachen unterstützen! Das geht einerseits durch das Abschließen einer Funzel-Fördermitgliedschaft – etwa für den Preis eines Kaffee Latte pro Monat. Fördermitglieder werden exklusiv in unseren Mailverteiler aufgenommen, erhalten die Funzel kostenlos und sind persönlich auf unsere Release-Partys eingeladen!
Andererseits dürfen sich gegenwärtige und zukünftige Autor*innen, Kunstschaffende oder sonstwie Interessierte gerne per Mail (redaktion@diefunzel.com) oder über Social Media melden, um mitzumachen! Fachsemester, akademischer Grad, Alter, Schuhgröße, etc. – das spielt für uns alles keine Rolle.
Vielen Dank ihr drei!
Beitragsbild: © Die Funzel