Letzte Generation
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#noPAG – Präventivhaft für Aktivist*innen und die Reaktion der Politik

Anne Lenz

# Hinweis: Wir wollten uns einen Überblick verschaffen, was Münchner Politiker*innen vom Vorgehen gegen die Klima-Demonstrant*innen von „Letzte Generation“ hält. Leider haben auf unsere Anfrage an alle Fraktionen des Stadtrats bisher nur Vertreter*innen von Die Grünen – Rosa Liste und Die Linke / Die PARTEI und SPD/Volt geantwortet. Wir werden den Artikel entsprechend aktualisieren, sobald weitere Statements kommen. #

Am Montag den 14. November wurden vier Klimaaktivist*innen aus der Präventivhaft entlassen. 13 weitere wurden weiter in Gewahrsam gehalten. Die Mitglieder des Kollektivs „Letzte Generation“ blockierten den Verkehr am Stachus indem sie sich auf der Straße festklebten. Artikel 17 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) erlaubt Präventivgewahrsam in schweren Fällen, bzw. „um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“.

Ist Präventivgewahrsam angemessen?

Dominik Krause, Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der Grünen, weist darauf hin, dass die CSU und auch die bayerischen Polizei damals betonten, die Ausweitung der präventiven polizeilichen Möglichkeiten werde vor allem benötigt, um Terrorist*innen beizukommen. Allerdings zeichnete sich ab, dass der Gesetzestext eine viel weitreichendere Anwendung ermöglicht. Diese Sorge hat sich jetzt bewahrheitet. Die Grünen sprachen sich 2018 gegen das Polizeiaufgabengesetz (kurz: PAG) aus und legten Verfassungsbeschwerde ein. Die Urteile dazu stehen noch immer aus.

Krause spricht von einer rhetorischen Eskalation seitens der CSU, wie man sie sonst nur von Akteuren wie Trump und Co kennt. Bei Leuten, die sich an Straßen festkleben, ernsthaft von Terror oder einen „Grünen RAF“ zu sprechen, sei eine totale Verzerrung der Realität.

„Der NSU ist jahrelang mordend durchs Land gezogen, die Anschläge von Hanau, Halle oder auch hier in München am OEZ liegen nicht weit zurück. Wenn die CSU das Blockieren von Verkehr aus parteipolitisch sehr durchschaubaren Gründen damit in einen Topf wirft, verharmlost sie diesen echten Terror, bei dem ganz real Menschen sterben.“

Dominik Krause, Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der Grünen

Melanie Staudinger, Pressesprecherin der Stadtratsfraktion SPD/Volt, ist der Meinung, dass die begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten der Demonstrant*innen verfolgt werden müssen. Aber die hier vielfach angewendete Präventivhaft von 30 Tagen sei zu hart und unangemessen. Die aktuellen Vorfällen seien deshalb vielmehr ein Anlass, das PAG erneut kritisch zu überprüfen.

Auch Thomas Lechner, Stadtrat in der Fraktion Die Linke / Die PARTEI und Vertreter des #noPAG Bündnisses, hält die Reaktion gegenüber den Aktivist*innen für „vollkommen überzogen und absurd“. Diese Art der Proteste stört zwar den regulären Verkehrsablauf, allerdings gibt es unzählige andere Arten der Verkehrsblockaden, wie beispielsweise Parken in zweiter Reihe. Wäre der Eingriff in den Straßenverkehr eine derart massive Straftat, müssten alle anderen Vergehen im Straßenverkehr ähnlich geahndet werden. Er selbst definiert die Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“ nicht als Straftat, sondern als zivilen Ungehorsam in einer durchaus diskutablen Protestform. Lechner ist der Meinung, dass es zielgerichtetere Formen des zivilen Ungehorsams gibt, kann es aber nachvollziehen, wenn sich junge Menschen auf die Straße kleben. „Welche Möglichkeiten bleiben ihnen denn noch?“

Die falschen Mittel zum richtigen Zweck

Nachdem die Warnungen der Wissenschaft seit Jahrzehnten nicht gehört werden und nicht nur junge Aktivist*innen, sondern auch Wissenschaftler selbst sich an alternativen Protestformen beteiligen, müsse man die Dringlichkeit der Sache doch erkennen, so Lechner. Er ist der Überzeugung, dass Urteile über diese Protestaktionen später anders entschieden werden. Die Bestrafung solcher Aktionen sei noch nie so massiv wie bei diesen diskutablen, aber niederschwelligen und vor allem gewaltfreien Protesten gewesen.

Diese Eskalation, die hier gegenüber Klimaaktivist*innen passiert, ist inakzeptabel, angesichts dessen, dass wir wirklich darüber reden müssen wie sehr unsere Erde in Gefahr ist.“

Thomas Lechner, Stadtrat in der Fraktion Die Linke / Die PARTEI

Dominik Krause merkt an, dass die Klebeaktionen das falsche Mittel seien und auch juristisch geahndet werden müssen, jedoch dürfe das Mittel des Präventivgewahrsahms nur mit sehr großem Bedacht gewählt werden. Eine Ordnungswidrigkeit dieser Art sei kein Grund dafür.

Auch Melanie Staudinger hält die Aktionen der Gruppierung für falsch. Friedlicher Protest, wie der von Fridays for Future, sei hingegen notwendig und unterstützenswert.

Die Mitglieder des Kollektivs „Letzte Generation“ selbst zeigen sich empört und verurteilen, die Behandlung der Aktivist*innen. in Umwelt-Ingenieur, der sich am Protest beteiligte und einstweilen in der JVA München einsaß, befand sich vorrübergehend im Hungerstreik.

„Dass die Regierung Menschen für gewaltlosen, friedlichen Protest weggesperrt ist absolut unverhältnismäßig. Es stellt sich die Frage, wer hier kriminell ist – diejenigen, die sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen oder diejenigen, die sie aktiv zerstören und damit den Tod von Millionen von Menschen jedes Jahr in Kauf nehmen.“

Lina Johnsen, Sprecherin Letzte Generation

Melanie Staudinger von der SPD nimmt eine Verhärtung und Verschärfung der Reaktion auf die Klimaproteste wahr.

“Der Klimaschutz ist für uns alle ein überragend wichtiges Thema. Ich wünsche mir, dass wir uns dieser Herausforderung gemeinsam und friedlich stellen.”

Melanie Staudinger, Pressesprecherin SPD/Volt-Stadtratsfraktion

Thomas Lechner erkennt in der Situation der Aktivist*innen ein Dilemma. Nachhaltiger Klimaschutz kann nur in Verbindung mit einer Mobilitätswende geschehen. Das heißt eben, dass sich auch die Bürger*innen einschränken müssen. Klimaaktivist*innen sind die Überbringer dieser schlechten Nachrichten, die eigentlich die Politik an die Bevölkerung weitergeben müsste, und geraten deshalb unter Beschuss.

Bereits vor der Aktion am Stachus brachte die FDP einen Dringlichkeitsantrag im Stadtrat ein, der die Kriminalisierung der Klimaaktivist*innen beinhaltete. Thomas Lechner sprach sich in einer Stellungnahme dagegen aus.

„Wenn wir wollen, dass sich Menschen nicht auf der Straße festkleben, dann müssen wir dringend schnellere Maßnahmen ergreifen und eine glaubwürdigere Klimapolitik machen, dann wird das sofort vorbei sein. Da brauchen wir keine Leute zu kriminalisieren.“

Thomas Lechner, Stadtrat in der Fraktion Die Linke / Die PARTEI

Beitragsbild: © Benjamin Rückert

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