Aktuell, Nachhaltigkeit, Soziales, Stadt, Verkehr
Radentscheid: Fehlt der Mut zur Verkehrswende?
- Wie mühsam ist die Arbeit im Stadtrat? – jüngste Stadträtin Clara Nitsche über Erfolge und Hürden - 25. September 2024
- “Die Wiesn ist kein sicherer Ort für Mädchen* und Frauen*” – Interview - 12. September 2024
- Drogenkonsumräume: München möchte, Bayern blockiert - 26. Juli 2024
Am Mittwoch tagte der Mobilitätsausschuss und beschäftigte sich mit der weiteren Umsetzung des Radentscheides. Das Bündnis Radentscheid fordert, die Maßnahmen konsequenter zu realisieren. Ein Gesamtkonzept für die Verkehrswende fehle.
Die Klimakrise spitzt sich zu. Doch die Mühlen der städtischen Verwaltung mahlen langsam. “Wenn es so weitergeht, haben wir im Sommer am Stachus bald Tage mit einer Hitze von 46 Grad”, sagt Katharina Horn Geschäftsführerin des BUND München und Sprecherin des Bündnisses Radentscheid. Ein Baustein im Kampf gegen die Erhitzung ist die Verkehrswende: Weniger Autos, dafür mehr Bäume, bessere Luft und mehr Platz und Sicherheit für Radelnde und Fußgänger*innen.
Um diesem Ziel näher zu kommen, sammelte das Bündnis Radentscheid 160.000 Unterschriften, um den Ausbau der Infrastruktur für Radfahrende voranzubringen. Der Stadtrat übernahm die Forderungen im Juli 2019. Alle Maßnahmen – die Stadt spricht von 57 bzw. 55, das Bündnis Radentscheid von 58 – sollten ursprünglich bis 2025 umgesetzt werden. Doch das sei nicht realisierbar, schreibt ein Sprecherin des Mobilitätsreferates auf unsere Anfrage.
70 Meter von 83 Kilometern Radweg fertig gestellt
Das Bündnis Radentscheid hat eine Übersicht erstellt über den aktuellen Stand der Umsetzung: Von etwa 83 Kilometern Radweg wurden bisher etwa nur 70 Meter fertig gestellt. Etwa 1,1 Kilometer befinden sich im Bau. “Verkehrsplanung ist eine langfristige und dauerhafte Aufgabe”, schreibt das Mobilitätsreferat dazu. Die Projekte des Radentscheids würden jeweils einzeln geplant und müssten separat vom Stadtrat beschlossen werden, bevor sie baulich umgesetzt werden können.
Am Mittwoch beschloss der Mobilitätsausschuss die Planung von Radwegen für 16 weitere Straßenzüge in 2024 anzugehen. Katharina Horn vom Bündnis Radentscheid wünscht sich mehr. Für die Lindwurmstraße etwa, gibt es noch keinen Zeitplan. “Das man das auf die lange Bank schiebt, stinkt uns”, sagt Horn. “Ich sehe schon Versuche, den Radentscheid umzusetzen, aber so richtig mit Schmackes ist das nicht”, sagt sie. Horn wünscht sich mehr Mut zu schneller umsetzbaren Maßnahmen, wie etwa sogenannten Protected Bike Lanes. Das sind Radwege, die nur mit einer Art Beton-Bordstein von der Fahrbahn für Autos abgegrenzt werden. Außerdem brauche es mehr Stellplätze für Fahrräder.
Bündnis Radentscheid fehlt “Schmackes” in der Umsetzung
Für Verzögerungen habe das Bündnis Radentscheid Verständnis, sagt Katharina Horn im Gespräch mit unserer Redaktion. Horn sei bewusst, wie komplex es sei, solche Projekte zu planen und umzusetzen. Auch dass die Stadt jetzt transparenter mache, wie sich die Kosten verteilen, findet sie gut. So fallen etwa ein Großteil der veranschlagten Kosten für Sanierung von Fahrbahnen und Gehwegen an und nicht nur für Radwege. Das sorge für mehr Akzeptanz. Dennoch fehlt Horn ein klares Bekenntnis zur Verkehrswende: „Die Stadt suggeriert, alles könne gleich bleiben aber so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.“ Ständig höre man aus Politik und Medien von den Widerständen der Ladeninhaber*innen und Autofahrenden gegen neue Radwege. Horn fehlen die Interessen von Fußgänger*innen und Radfahrenden im Diskurs. Zudem fehlten die Positivbezüge auf die Verkehrswende. So sagt Horn etwa: „Immer wieder muss ich darauf hinweisen, dass der Konsum in verkehrsberuhigten Zonen Studien zufolge tendenziell steigt.“
Das Mobilitätsreferat schreibt, man verstehe die Kritik aus Sicht des Bündnisses. Aber eine ganzheitliche Planung brauche Zeit. „Es ist der Anspruch des Mobilitätsreferats, alle beteiligten Personen (Anwohnerschaft, Gewerbe, Bezirksausschüsse etc.) mit einzubeziehen, die Debatte über die Varianten zu moderieren und so zu einer integrierten Planung zu gelangen, die möglichst viele Belange berücksichtigt“, schreibt eine Sprecherin.
Es ist eine Binse und dennoch richtig: Die Veränderung durch die Klimakrise kommt. Entweder gestalten wir sie oder wir liefern uns ihr aus. „Der Stadt fehlt der Mut, den Bürger*innen Veränderung zuzumuten“, sagt Katharina Horn. Horn fehlt das Gesamtkonzept. „Wir haben ein Platzproblem in der Innenstadt, ein Problem mit verschmutzter Luft und wir brauchen mehr Bäume“, sagt sie. Die Umsetzung des Radentscheides und das Neudenken von Mobilität im Stadtzentrum soll in all diesen Bereichen Verbesserungen schaffen.
Dabei gibt es bereits Positivbeispiele, was Radinfrastruktur leisten kann. Neben den Klassikern, wie Münster oder niederländischen Fahrradstädten, verweist Horn auch auf Münchner Radwege am Sendlinger Tor oder in der Von-der-Tann-Straße. „Wenn man da fährt merkt man: So geht Rad fahren, das ist cool.“
Beitragsbild: ©Foto von Şahin Sezer Dinçer auf Unsplash